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Hilfe fur die Masse der Armen

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Seit Jahren klagen in der Entwicklungszusammen- arbeit Tätige über eine unbefriedigende österreichische Entwicklungshilfepolitik. Bahnt sich jetzt etwas Neues an?

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Seit Jahren klagen in der Entwicklungszusammen- arbeit Tätige über eine unbefriedigende österreichische Entwicklungshilfepolitik. Bahnt sich jetzt etwas Neues an?

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Mit der Zusage der Regierung, den staatlichen Entwicklungshilfebeitrag im laufenden Jahr um 500 Millionen Schilling zu erhöhen, scheint zumindest ansatzmäßig ein positiv zu wertender Prozeß in Gang gesetzt worden zu sein. Und der kürzlich stattgefundene Besuch von Vizekanzler Alois Mock in Afrika und seine damit verbundenen Besuche österreichischer Entwicklungsprojekte dokumentieren ein

wachsendes Interesse und eine zunehmende inhaltliche Auseinandersetzung mit entwicklungspolitischen Problemen.

Im vergangenen Juli haben sich zehn österreichische nichtstaatliche Organisationen (NGOs) zusammengeschlossen, um gemeinsam einen Beitrag zur entwicklungspolitischen Diskussion in Österreich und wirksamen Verbesserung der Situation in diesem Bereich zu leisten. Dazu gehören auch einige kirchliche Entwicklungshilfeorganisationen, wie die Koordinierungsstelle der österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission, die Katholische Jungschar (Sternsingeraktion), der ÖED (österreichischer Entwicklungsdienst), die Katholische Frauenbewegung (Familienfasttag) und die Katholische Männer bewegung (Bruder in Not).

Es sollen nicht nur entwicklungspolitische Grundsätze erarbeitet, sondern auch aktuelle Probleme aufgearbeitet werden. Ein solches Problem ist die Frage der „Hilfe zur Selbsthilfe“, ein Prinzip, das schon viele Jahre im Vordergrund der Bemühungen nichtstaatlicher und vor allem kirchlicher Hilfswerke steht, die sich mit Entwicklungszusammenarbeit befassen.

Immer wieder haben diese darauf verwiesen, daß es ihnen bei ihren Bemühungen um die Armen in der Dritten Welt nicht darum geht, diese zu „entwickeln“, sondern daß versucht werden muß, im Rahmen der von ihnen finanzierten und geförderten Projektarbeit Anstöße zu geben, um die eigenständige Entwicklung der benachteiligten, unterdrückten und ausgebeuteten Volksgruppen in diesen Ländern in Gang zu setzen.

Auch die Verantwortlichen der heute, 17. Februar, neuerlich stattfindenden Aktion „Familienfasttag“ (erstmals 1958) haben dieses Ziel stets vor Augen gehabt. Dabei wurde ihnen aber immer deutlicher, daß sie auf dem Weg zu diesem Ziel mit vielen schwierigen Problemen konfrontiert werden, und daß sie daher ihre Arbeit nicht nur immer neu überdenken, sondern auch neue Konzepte der praktischen Durchführung ihrer Vorhaben erstellen müssen.

Die wichtigste Frage, die sich NGOs und daher auch die Familienfasttagsverantwortlichen immer wieder stellen müssen, lautet: „Wie erreichen wir die Armen?“ Die Erfahrungen haben gezeigt, daß der Erfolg in dieser Hinsicht, trotz redlicher Bemühungen und zunehmender partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Betroffenen in den Entwicklungsländern, verhältnismäßig gering war.

Sie erreichen allein nützt ja auch nur wenig, denn dadurch können nur allzuoft Abhängigkeiten entstehen. Man könnte sagen, daß die Armen nach der Flaschennahrung der Hilfsorganisationen verlangen — wodurch eine Verselbständigung und das so notwendige Selbstbewußtsein, das allein den Armen die echte Chance eigenständiger Entwicklung bietet, in die weite Ferne gerückt werden. Das soll nicht heißen, daß Hilfswerke keine Verteilerrolle übernehmen sollen.

Diese müßte aber unterstützend und nicht autoritär ausgeübt werden und sollte dazu führen, daß

die armen Bevölkerungsschichten, die erreicht und denen geholfen werden soll, in die Lage versetzt werden:

• ihre eigenen Bedingungen vorzutragen,

• mit dem Respekt der Hilfsorganisationen rechnen dürfen,

• diese mit den ihnen am wichtigsten erscheinenden Prioritäten konfrontieren zu können.

Gleichzeitig muß klar sein, daß die Armen tatsächlich noch von außen her Hilfe brauchen, um einen von ihnen konzipierten Entwicklungsprozeß in Gang setzen zu können, daß Personen vonnöten sind, die die Rolle des Katalysators übernehmen und fördernd aktiv sein müssen, bis die Armen selbst in der Lage sind, sich selbst zu organisieren, um ihre wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rechte durchsetzen zu können.

Hilfswerke können die Armen positiv unterstützen, etwa bei der Suche nach Möglichkeiten, ihre Ressourcen zusammenzulegen, bei der Identifizierung realistischer profitabler wirtschaftlicher Aktivitäten, bei der Entwicklung von Systemen, die der Förderung von Führungskräften dienen, aber auch bei der Veranschaulichung einfacher Finanzierungs

vorgänge und buchhalterischer Grundsätze.

Für die kleinen Leute, die Masse der Armen, die erreicht werden müßten, sind gerade solche Angebote essentiell, auch wenn technische und finanzielle Hilfe im vernünftigen Ausmaß, vor allem in ländlichen Regionen, weiterhin dringend benötigt wird.

Das Problem der Hilfswerke, sowohl der Sammelorganisationen des Westens als auch einheimischer Organisationen, die in den Entwicklungsländern selbst tätig sind, ist das hohe Ausmaß des mit solchen Programmen verbundenen Personaleinsatzes und der bestehende Mangel an nötigen Fachkenntnissen. Hier wird noch vieles unterschätzt. Und bevor praktische Hilfe geleistet werden kann, müssen die theoretischen Konzepte stimmen, die erst zu vernünftigen Diskussionen führen können.

Die Aufgabe aller in diesem Bereich Tätigen ist es, engen Kontakt zu den betroffenen Bevölkerungsgruppen zu pflegen, zu versuchen, sich mit deren Anliegen zu identifizieren, und zu erkennen, daß Selbsthilfe nicht unbedingt nur Individuen, sondern auch eine ganze Gruppe betreffen kann.

Entwicklungszusammenarbeit — die sich aus dem früheren Begriff Entwicklungshilfe entwik- kelt hat — muß erlernt werden; ein langer Weg, den Hilfsorganisationen gehen müssen, wenn sie gewissenhaft tätig sein wollen.

Die Autorin war langjährige Referentin für Entwicklungsförderung der KFBÖ.

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