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Hilfe gegen Unsicherheit

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Ein vom Arbeitsamt in Wien initiierter Kurs soll arbeitslosen Akademikern ausländischer Herkunft Hilfestellung für die Jobsuche bieten - nicht nur in bezug auf die Sprache.

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Ein vom Arbeitsamt in Wien initiierter Kurs soll arbeitslosen Akademikern ausländischer Herkunft Hilfestellung für die Jobsuche bieten - nicht nur in bezug auf die Sprache.

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Von seiner Umgebung unterschieden ihn nur noch kleine Dinge: der leichte Akzent, der fremdländisch klingende Name, vielleicht der dunkle Teint.

Vor zwanzig Jahren war er nach Österreich gekommen, hatte Architektur studiert, eine Familie gegründet und die meiste Zeit bei ein und derselben Firma gearbeitet. Die Kollegen schätzten seine fachliche Qualifikation. Dann gingen die Aufträge zurück und in der Personalabteilung erinnerte man sich plötzlich seiner ägyptischen, also ausländischen Herkunft. Er war einer der wenigen, die gekündigt wurden.

Seit einem halben Jahr ist Mu-hammed L., 50jähriger Vater dreier schulpflichtiger Kinder, nun arbeitslos. Sechs Monate schweigendes Warten in den kalten Gängen des Arbeitsamtes. Dann: „Herr Diplomingenieur? Tut mir leid, nichts."

Wenn doch, ist die Stelle schon vergeben. Und am nächsten Tag findet sich das gleiche Inserat in der Zeitung mit einem Zusatz: Deutsch als Muttersprache.

Die Verantwortung für seine Familie lastet auf Muhammed L. Bisher hat er die Hoffnung nicht aufgegeben. Eine Reihe von Eigeninitiativen liegen hinter ihm. Er wollte Erfahrungen mit Schicksalsgenossen austauschen — in der gewollten Anonymität des Arbeitsamtes kaum möglich.

Er wollte irgend etwas tun, sich weiterbilden, sich dem Druck beugen und seine Sprachkenntnisse verbessern — eine Kostenfrage. Jetzt besucht er mit zwölf anderen den vor wenigen Wochen ins Leben gerufenen Sprachkurs für Akademiker ausländischer Herkunft.

Neben ihm sitzt einer der jüngsten, der Tscheche FrantiSek V. Der ausgebildete Soziologe ist seit drei Jahren in Österreich und wartet nun auf den Erhalt seiner Staatsbürgerschaft.

Während der ganzen Zeit war er bis auf kurze — berufsfremde — Unterbrechungen ohne Beschäftigung. Zuletzt bemerkte er schon die ersten Symptome der psychischen „Arbeitslosenkrankheit" an sich: „Am Morgen die Frage: Wozu soll ich überhaupt aufstehen? Dann das Gefühl, nicht gebraucht zu werden..." Mit seiner Frau lebt er jetzt in Scheidung. Der Kurs stellt eine Art Rettungsanker für ihn dar. Nach Osterreich ist er ohne Illusionen gekommen.

In seinem Heimatland hatte Frantisek V. einen sicheren Posten an der Akademie der Wissenschaften. In seinem Spezialgebiet, der Sozialpathologie, galt er als Fachmann. Er hatte eine gute berufliche Zukunft vor sich — bis er die Charta '77 unterschrieb. Es folgte die Entlassung, er mußte Gelegenheitsarbeiten annehmen. Bis auch das nicht mehr ging.

„Jetzt bin ich wenigstens unter Leuten", sagt er und verbessert sein Deutsch. Dafür sorgt Yvonne Tomenendal, selbst keine gebürtige Österreicherin, in zwölf Wochenstunden Grammatik und Konversation. „Die Gruppe ist sehr inhomogen, ich muß gleichzeitig Fortgeschrittene und blutige Anfänger unterrichten."

Auf mehr Gemeinsamkeiten stößt Hubert Vogl, der für die restlichen acht Stunden pro Woche zuständig ist. Er übernimmt die psychologische Betreuung sowie das Verhaltenstraining. Dieses soll zu mehr Sicherheit im Auftreten besonders vor Personalchefs verhelfen.

Und immer neue Hoffnungen werden genährt: in wenigen Tagen wird ein Vertreter der Industriellenvereinigung vor der Schar Arbeitsloser referieren. Vogls Ankündigung löst Applaus aus.

Bewilligen mußte den Sprachkurs erst ein sozialpartnerschaftliches Gremium des Arbeitsamtes. Für seine Dauer von zwölf Wochen erhalten die Teilnehmer ein um 35 Prozent höheres Unterstützungsgeld Verlangt werden neben regelmäßigem Erscheinen auch Pünktlichkeit und Interesse. Was den positiven Nebeneffekt hat, daß sich der Betreffende den Tag wieder einteilen muß.

Rund 700 Akademiker sind am Wiener Esteplatz als arbeitslos gemeldet. Ungefähr ein Zehntel dürfte ausländischer Abstammung sein. Ihr Hauptproblem, die mangelhaften Deutschkenntnisse, brachten Rosemarie Dorrer auf die Idee zu dem Kurs.

Den Anlaß zu der Initiative lieferte ein Dutzendfall: „Da war eine fachlich hervorragende technische Übersetzerin rumänischer

Abstammung. Man hätte sie überall genommen, nur an ihrem Deutsch haperte es." Dorrer durchschritt in Windeseile die vorgesetzten Instanzen, schrieb 57 Leute an, von denen sie meinte, „daß ihre Deutschkenntnisse etwas aufpoliert gehören".

34 erschienen zu einer Vorbesprechung, doch ein Kurs sollte maximal 18 fassen. So mußte ausgesiebt werden: „Nach Dringlichkeit, ob beispielsweise Anspruch auf Beihilfe besteht."

Anfang Februar startete der Kurs, ein zweiter läuft seit April. Im Herbst soll es weitergehen. Wenn die Zustimmung erfolgt.

Den Akademikern, für die die Sprache meist eine wichtigere Rolle spielt als in anderen Berufen, bedeutet der Kurs mehr als bloßer Unterricht. Zwar können manche Probleme nicht ausgemerzt werden: was rät man einem im Iran ausgebildeten Juristen, der nur peripher mit unseren Gesetzten in Berührung gekommen ist? Was hilft gegen Personalchefs, die von Schwierigkeiten mit der Mentalität reden?

Der Kurs ist eine gruppendynamische Waffe gegen Angst und Minderwertigkeitsgefühl. Das Prinzip heißt Hoffnung. Das Mittel: sie zu stärken.

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