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Hilflosigkeit, die nachdenklich stimmt

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Von Napalm-Bomben verbrannte Leiber und Gesichter, sich auf der Flucht dahinschleppende Alte, elternlose Kinder... Erschütternde Berichte von der Kurdentragödie. Wo die Kamera hinschwenkt, ist Elend, Hunger, Obdachlosigkeit, Kälte. Voll Bitterkeit denke ich an jene, die kürzlich noch vom „gerechten" Krieg gesprochen haben. In meinem Fauteuil vor dem Bildschirm überfällt mich ein Gefühl lähmender Hilflosigkeit.

Schnitt. Nachrichtensendung: Wieder ist ein Riesentanker gesunken - diesmal vor der ligurischen Küste. Italiens schönste Strände sind von einer gigantischen Umweltkatastrophe bedroht. Wieder dasselbe Gefühl wie vorher: Ratlosigkeit. Seit Jahren kennt man die Gefahren dieser schwimmenden Bomben.

Und noch eine Meldung: Diesmal aus dem wiedervereinigten Berlin. Vergessen ist die Euphorie, als die Mauer fiel. Fest etabliert scheint hingegen die Trostlosigkeit. Bis zu 40 Prozent Arbeitslose im Osten - eine Katastrophe für die Jugend. Eine 16jährige wird wegen eines Spraydosen-Attentats auf ein Kind verhaftet. Warum sie es getan habe? Aus Spaß. Die Polizei ist hilflos: die Gesetzlosigkeit im Osten der Stadt nimmt überhand... Und wieder das Gefühl der Hilflosigkeit. Wer wird die Probleme des ehemaligen Ostblocks lösen, wenn schon die Deutschen, die wohl die besten Voraussetzungen haben, so anstehen? /

Dieses Bombardement mit Problemen ist kaum auszuhalten. Immer dasselbe: Treffende Analysen, aber keine Perspektiven. Was bleibt, ist ein Gefühl der Ohmacht, der Sorge, der Hilflosigkeit.

Mit dem Abdrehen des Fernsehers ist es aber nicht getan. Die Sendung war ja nur ein Mosaikstein in einem größeren Bild. Die Gedanken laufen weiter: Sind wir nicht überhaupt mit immer mehr Problemen konfrontiert, denen wir hilflos gegenüberstehen? Ich denke an die Umweltprobleme, die Meldungen aus der Sowjetunion, das Elend in der Dritten Welt, die wachsenden Schuldenberge... Wie kommt es dazu? Seit fast 50 Jahren wird mit einer in der Geschichte nie dagewesenen Konsequenz die Lösung der Menschheitsprobleme (Beseitigung von Hunger, Krankheit, Ungeborgenheit) angesteuert und dennoch scheinen wir weiter denn je von diesen Zielen entfernt zu sein.

Ich habe den Verdacht, daß gerade dieses unbedingte Wollen der Kern des Problems ist. Wissenschaft und Technik haben Triumphe gefeiert. Sie folgten von Anfang an dem Ziel, die Menschen zu „Herren und Eigentümern der Natur" zu machen. So wies Rene Descar-tes schon im 17. Jahrhundert den Weg des wissenschaftlichen Strebens.

Das zielgerichtete Eingreifen in Ordnungen und Abläufe schien das Erfolgsrezept schlechthin zu sein. Wir sind zu einer Generation der Macher geworden, der Manager. Hast Du ein Problem? Geh' zur richtigen Stelle und man wird Dir eine Lösung anbieten.

Das ist unser Denken: Gewußt wie! Und tatsächlich: Wir machen und managen, planen und gestalten, entscheiden und lösen Probleme. Ubersehen wird dabei, daß sich der Rhythmus dieses Tuns laufend steigert. Je mehr Probleme wir lösen, umso zahlreicher türmen sie sich vor uns auf.

Eigenartig, daß eine Welt, die 45 Jahre lang erfolgreich Wirtschaftswachstum zum Ziel ihrer Bemühungen gemacht hat, mit immer mehr wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Kann ein Grundkonzept, das solche Folgen hat, so richtig sein?

Wissenschaft vermittelt nämlich immer nur Teileinsichten. Sie kann nicht anders. Daher

sind alle technischen Lösungen immer nur Teillösungen, die sich in ein großes, insgesamt nicht durchschautes Ganzes einzufügen haben. So gestalten wir zwar zielgerichtet das, was wir überblicken, produzieren damit aber an den Schnittstellen zum nicht durchschauten Rest Wirkungen, die wir meist nicht vorhersehen. Unsere Problemlösungen sind stets Wegbereiter neuer Probleme.

Je machtvoller wir eingreifen, je länger und konsequenter wir ausschließlich nur auf unsere Teillösungen starren, umso großflächiger und massiver müssen sich die Probleme rundherum auftürmen. Der Zusammenbruch im Ostblock zeigt, welche Verheerungen ein lang genug durchgezogenes Lösungskonzept, der Marxismus, rund um sich anrichtet. Und ähnliches geschieht auch im Westen als Folge der eindimensional verstandenen Heilslehre Wirtschaftswachstum durch Technisierung.

So gesehen könnte dieses Erlebnis der Hilflosigkeit Wegweiser aus dem Dilemma sein. Setzen wir uns dieser Erfahrung aus, verzichten wir einmal auf die naheliegende Flucht in die nächste wichtige Aktivität. Wir könnten folgendes begreifen: Trotz aller neuzeitlichen Errungenschaften bleiben wir Menschen notgedrungen auf Hilfe angewiesen, weil wir unter Bedingungen leben, die mit dem Verstand nie ganz durchschaubar sind.

Ei Größerer hat uns und die Welt rund um uns geschaffen. Nur er kennt die Zusammenhänge. Ohne ihn bleibt alles letztlich Pfusch. Ihn gilt es, bei der Suche von Lösungen ein-zubeziehen.

Erfahren können dies aber nur jene, die ihre eigene Begrenztheit erkennen und das Erlebnis der Hilflosigkeit als Hilfsbedürftigkeit zu deuten bereit sind. Ihnen gilt die zeitlose Zusage: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich (Mt 5,3). Einer Welt, die das als frommen Spruch abgetan hat, kommt diese Wahrheit als erfahrbare Einsicht entgegen.

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