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Hin und Her

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Auf Grund eines FURCHE-Beitrages über die Beratungen zur sogenannten Rechtschreibreform (Nr. 28/1976) hat sich nun das Unterrichtsministerium — nach ursprünglichem Schweigen — doch gemeldet. Tatsache ist, daß eine Kommission im Unterrichtsministerium für die Einführung der Kleinschreibung gestimmt hat (siehe unser Gespräch mit dem Unterrichtsminister).

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Auf Grund eines FURCHE-Beitrages über die Beratungen zur sogenannten Rechtschreibreform (Nr. 28/1976) hat sich nun das Unterrichtsministerium — nach ursprünglichem Schweigen — doch gemeldet. Tatsache ist, daß eine Kommission im Unterrichtsministerium für die Einführung der Kleinschreibung gestimmt hat (siehe unser Gespräch mit dem Unterrichtsminister).

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Von den in Österreich gemachten wissenschaftlichen Versuchen, so berichtet der Geschäftsführer der Or-thographiereformkammission, Ministerialrat Sachers, wurden vor allem die Untersuchungen von Professor Haberl, Univ.-Assistent Vanecek, Frau Professor Hornung und Professor Wüster bei den Arbeiten der Orthographiekommission berücksichtigt. Haberl und Vanecek kamen zu ähnlichen Ergebnissen, wobei jedoch die Untersuchungen von Haberl mehr für die Einführung einer Klein-

schreibung sprechen, während Vanecek vor allem die Schwierigkeiten der Untersuchung an Versuchspersonen in den Vordergrund stellt, die seit vielen Jahren die jetzige Großschreibung benützen. Haberl zog aus den Ergebnissen seiner Untersuchung folgendes Resümee: „Die großen Anfangsbuchstaben der Substantiv« , gliedern den Text sinnwidrig und wirken sich daher beim Lesen störend aus ... Die Erfassung des Inhaltes wird durch die Kleinschreibung nicht beeinträchtigt.“

Sachers schließt sich eher der kritischen Stellungnahme von Vanecek an: „Es kann heutzutage nichts über die Gleichwertigkeit der Kleinschreibung ausgesagt werden, wenn sie nicht jahrelang geübt werden kann. Aus begreiflichen- Gründen fehlen hier jegliche Erfahrungswerte. Allerdings geben tachistoskopis,che Experimente Hinweise dafür, daß man sehr gut in der Lage sein dürfte, den Entfall der Hilfsfunktion von Versalien durch Heranziehen anderer 'Wortmerkmale zu kompensieren.“

In der von allen Seiten hitzig geführten Diskussion, die sich schon seit längerer Zeit hinzieht, wird in letzter Zeit der politische Aspekt dn den Vordergrund gespielt, so daß andere Seiten des Problems, linguistische, pädagogische und wirtschaftliche Argumente, außer Sichtweite zu geraten drohen.

Professor Möcker, Mitglied des Instituts für österreiohkunde, selbst im Lehramt an einer Allgemeinbildenden Höherah Schule, sieht die Problematik unter pädagogischem und sprachwissenschaftlichem

Aspekt. „Die gemäßigte Kleinschreibung, etwa nach englischem Vorbild, könmlte absurde Auswüchse mit sich bringen, so daß zum Beispiel in Titeln und Uberschriften jedes einzelne Wort groß geschrieben werden müßte (also etwa: „Karl Der Große“). Auch wäre der Wert dieser Regelung als Propädeutik für den Fremdsprachenunterricht in Zweifel zu ziehen, da jede Weltsprache in der Schreibung von Eigennamen;, Titeln, Wochentagen usw. anders verfährt. Eine klare Definition des „Eigennamens“ bereitet ähnliche Schwierigkeiten wie jetzt die Definition des Hauptwortes; nach der vorgeschlagenen Neuregelung müßte man schreiben: „die firma Mercedes“, aber: „er fuhr einen mercades“ — eine Umkehrung, die mehr Verwirrung stiftet, als Erleichterung bringt.

Sinnvoller wäre nach Meinung von Experten eine Reform innerhalb des gegenwärtigen Systems, die auf keinen Fall die Großsehreibung bei Worten dort vorschreibt, die bisher klein geschrieben wurden.

Die erstrebte „Chancengleiaheit“, die das Schreiben erleichtern soll, erschwert jedenfalls das Lesen — visuell werden orthographisch differenzierte Wortbilder besser und unmißverständlicher wahrgenomen. Nicht anders, als jetzt ausländische Leser Schwierigkeiten mit deutschen Lettern haben, würde die Lesbarkeit zeitgenössischer Druckwerke in einigen Jahrzehnten stark vermindert, also der Zugang zu unserem Bildungsgut erschwert werden. Und die Position des Deutschen als Weltsprache (zweitgrößte Bücherprodiuk-tion nach der englischen, zweitwioh-tigste Wissenschaftssprache) würde schlagartig verschlechtert werden.

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