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Hinaus aus der Hofburg!

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1. Der Bundespräsident soll nicht der starke Mann im Zentrum des politischen Systems sein. Würde er dies versuchen, so wäre der Konflikt mit dem Bundeskanzler schon vorprogrammiert, und ein solcher Konflikt würde an den Grundannahmen des parlamentarischen Systems rütteln.

2. Der Bundespräsident soll aktiv sein. Er soll, für die Bürger der Republik erkennbar, sich in die gesellschaftlichen Konflikte hineinbegeben — nicht als Amtsträger, nicht als Staatsoberhaupt, sondern als Bürgerpräsident.

3. Der Bundespräsident soll politisch sein. Er soll in allen wichtigen Spannungsfeldern unserer Gesellschaft Partei ergreifen — nicht im Sinne von Regierung oder Opposition, sondern für die sozial Schwächeren, für die gesellschaftlich zu kurz Gekommenen, für die politisch Sprachlosen.

4. Der Bundespräsident soll sensibel sein. Er soll das Bewußtsein für die verdrängten Untergründe unserer Gegenwart schärfen helfen, er soll uns immer wieder erinnern, auf welchen Bruchlinien unsere — vermeintliche — Sicherheit aufbaut.

5. Der Bundespräsident soll ge-schichtsbewußt sein. Er soll insbesondere an den großen, langen, blutigen Bürgerkrieg erinnern, der zwischen 1938 und 1945 Österreicher gegen Österreicher gestellt hat; in dem „arische“ Österreicher jüdische Österreicher massenhaft ermordet haben; in dem Österreicher in einem falschen Krieg, in der falschen Uniform, unter der falschen Fahne, in falschen Ländern gegen die Unabhängigkeit Österreichs gekämpft haben.

6. Was diese Republik, was ihre Bürger brauchen, das ist nicht die österreichische Version eines Hindenburg, eines De Gaulle, eines Kekkonen. Was Österreich, was die Bürger dieser Republik brauchen, ist die österreichische Version eines Heinemann, eines Pertini, eines Weizsäcker.

7. Was uns der Bundespräsident vermitteln soll, das ist die Abkehr vom Josephinismus. Der Bundespräsident soll uns nicht den Fortschritt von oben mitteilen, er soll uns vielmehr helfen, selbst den Fortschritt zu erarbeiten.

8. Was unsere Demokratie nötig hat, das ist der Abschied von der politischen Personalisierung. Der Bundespräsident soll aus der Rolle des Ersatzkaisers in die Rolle des ersten Bürgers unter Gleichen hineinwachsen.

9. Den Österreichern würde ein Bundespräsident zum Anfassen guttun. Der Bundespräsident soll stärker als bisher aus den vergoldeten Amtsräumen der Hofburg hinaustreten — nicht zu den Eröffnungen von Autobahnteilstücken, sondern zum Direktgespräch, zum Direktkontakt mit seihen Wählern.

10. Wir brauchen weniger einen Garanten der Demokratie — die beste Garantie müssen wir uns selbst sein. Wir brauchen stärker einen Bundespräsidenten, der uns die Demokratie tagtäglich vorlebt — als einer von uns, als unser Vertreter und Gesprächspartner.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck.

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