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Digital In Arbeit

Hinter dem Zaun

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Kein Problem hat die österrei- Lchischen Gemüter in letzter Zeit so erhitzt wie das Thema Flüchtlinge. Die Diskussion war lei- der oft deprimierend. Das ist inso- fern recht traurig, als sich Öster- reich in vergangenen Jahrzehnten diesbezüglich mustergültig verhal- ten hat. Jetzt gerät man wegen 20.000 Flüchtlingen in Panik.

Das Hauptmalheur besteht dar- in, daß sich Österreich nie als Ein- wanderungsland gesehen hat. Vie- len fällt es daher schwer, von der Mentalität des „Durchfütterns und Durchschleusens" wegzukommen und mit qualitativ neuer Arbeit zu beginnen. Das Schlagwort dafür müßte Integration heißen.

Aus meiner täglichen Praxis weiß ich, wie schwer es ist, diesen Be- griff mit lebendigem Inhalt zu fül- len. Ablehnung, Intoleranz und Un- verständnis sind allgegenwärtig. Die öffentliche Meinung ist stark polarisiert und läßt sich nur sehr mühsam ändern. Vorurteile entste- hen aber nur dann, wenn man sich zu wenig mit der ganzen Wahrheit auseinandersetzt, wenn man die Probleme nur aus den Schlagzeilen von Boulevardzeitungen kennt.

Vor einiger Zeit vermittelte ich einer Frau, deren Mann verstorben ist, ein polnisches Ehepaar. Es fiel ihr nicht leicht, eine fremde Fami- lie aufzunehmen. Jetzt ist aber wie der Leben und Freude im Haus. Aus der Patenschaft durch Part- nerschaft wurde Freundschaft.

Die Übernahme von Patenschaf- ten könnte viel Leid lindern helfen. Die wichtigste Voraussetzung da- für - die Wohnung - würde dann bei den Integrationsbestrebungen der Flüchtlinge eine große Rolle spie- len. In der jetzigen angespannten Wohnungssituation haben leider die cleveren „Wohnungsvermittler" das Sagen. Schamlose und skrupel- lose Ausbeutung der Flüchtlinge ist die traurige Folge.

Bei verschiedenen Anlässen und aus verschiedenen Richtungen sind Stimmen zu hören, die Pfarren soll- ten sich intensiver mit der Flücht- lingsproblematik beschäftigen. Würde jede Pfarre - meinen die Optimisten - nur eine Flücht- lingsfamilie aufnehmen, könnte man das Flüchtlingsproblem lösen. Das bleibt freilich nur ein frommer Wunsch. Regelmäßige Kontakte zu den Flüchtlingen in diversen Pen- sionen zeigen, daß das Engagement der Pfarren noch viel besser und effizienter sein könnte.

Bei dieser Gelegenheit sollte man darauf hinweisen, daß es in Öster- reich eine Vielzahl von Organisa- tionen gibt, daher die Betreuung der Flüchtlinge keine Alleinveran- staltung kirchlicher Stellen sein sollte. Das Leben in Pensionen und Flüchtlingslagern dürfte allerdings nicht die Alternative sein, wenn- gleich sie bittere Wirklichkeit ist.

Die Unterbringung der Flücht- linge in entlegenen Pensionen ist eine unglückliche Lösung. Begrenz- tes Arbeitsangebot und geringe Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung stumpfen ab und trei- ben Flüchtlinge in die Lethargie.

Das Wohnen im Lager Traiskir- chen wird von vielen Flüchtlingen aus verschiedenen Gründen bevor- zugt. Seit die Anzahl der Flüchtlin- ge im Lager auf 1.000 herabgesetzt wurde, kann man beobachten, daß das Leben dort erträglicher gewor- den ist. Die Animositäten zwischen den Ansässigen und den „Menschen hinter dem Zaun" dürften sich seit den heißen und zornigen Tagen gelegt haben.

Für alle, die in diese Problematik involviert sind, ist das gute wech- selseitige Verhältnis zur Lagerlei- tung sehr wichtig. Die Bundesbe- treuung sollte reibungslos in die Integrationsphase übergehen. Die Betonung fällt auf „sollte". Beglei- tet man die Flüchtlinge auf ihren Behördenwegen, weiß man bald, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben - ein wahrer Spieß- rutenlauf für den Flüchtling wie für den Betreuer. Da ist so viel Präpotenz, Ignoranz und sogar Menschenverachtung zu spüren. Manchmal gewinnt man den Ein- druck, daß die Beamten einfach auf die Flüchtlinge losgelassen werden: Pässe können nach dem Verlassen der Bundesbetreuung nicht gefun- den werden, die Arbeitsbewilligung wird aus unverständlichen Grün- den nicht erteilt, die Flüchtlinge werden einfach abserviert, der Ton wird scharf. Man lernt allerdings auch Beamte kennen, die den Flüchtlingen das Schönste zu ge- ben bereit sind: Zeit.

Gegenwärtig gibt es eine Menge handfester Argumente, um von der Notwendigkeit der verstärkten In- tegration von Flüchtlingen in Öster- reich zu sprechen. Die besorgniser- regende demographische Entwick- lung müßte schon als Argument aus- reichen. Und außerdem: Wenn Asylanten endlich arbeiten dürfen, liegen sie uns auch nicht mehr auf der Brieftasche. Sie erzeugen eine enorme Kaufkraft, die auch dazu dient, den Arbeitsplatz eines Be- amten von der Fremdenpolizei zu erhalten, dem Flüchtlinge Rede und Antwort stehen müssen.

Der Tag des Flüchtlings sollte hierzulande - gerade angesichts der Umgestaltungen im Osten - zur Ein- sicht führen, daß es in Österreich seinerzeit durchaus auch anders hätte kommen können. Uns ist es erspart geblieben, als lästige Asyl- bittsteller anderswo auftreten zu müssen.

Der Autor ist seit eineinhalb Jahren als Mitar- beiter der Caritas und des Referates für fremd- sprachige Gemeinden der Erzdiözese Wien Be- treuer und Berater für Flüchtlinge.

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