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Hinterhältiges im Schwejk

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Alfred Polgar lieferte das überspitzt witzige Stichwort für Schwejks Abenteuer und Anekdoten, die angefüllt seien mit einer „Mischung aus Powidl und Ekra-sit“. Max Brod dagegen, der eminente Kenner Prags und seiner Literatur, der Hasek persönlich kannte, urteilte über Schwejk: „Er ist derb, aber fügsam, gar nichts von Ekrasit ist an ihm, durch beflissenes Ja-Sagen führt er den Krieg, den Militarismus grinsend ad absurdum. Er siegt durch seine Weichheit, in der unauffällig das gesunde Empfinden des Volkes und eine Dosis wurschtiger Hinterlist steckt.“

Dieser Jaroslav Hasek, der immer den Tonfall der Straße und der kleinen Leute im Ohr hatte, war kein gewöhnlicher Witzbold, und sein Schwejk bei aller Heit-terkeit und grotesken Komik keine bloße Witzfigur. Schwejk ist der Mensch, der täglich sich irrt, der täglich getreten wird, der sich immer noch einmal beugen muß, der nie handeln darf, wie er möchte und der zwischen Vorschrift und Verordnung wie zwischen hohen Mauern marschiert. „Es ist schon viel, wenn man überhaupt noch da ist heutzutage. Da ist man leicht so beschäftigt mit Überleben, daß man zu nix anderm kommt.“ Nein, dieser gelegentlich doch auch recht feige und ordinäre Opportunist vollbringt keine Sabotageakte, steigt auf keine Barrikaden, um bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen. Brecht, der sich mit der Gestalt eingehend beschäftigt hat, schrieb in sein Arbeitsbuch: „Auf keinen Fall darf Schwejk ein listiger Saboteur werden, er ist lediglich der Opportunist der winzigen Opportunitäten, die ihm geblieben sind.“ Sobald er sich in einer bürokratischen Talle''befindet, auf der Polizei, im Garnisonsgefängnis oder im Irrenhaus, stimmt er regelmäßig ein Lob der Falle an — und findet sich bald aus ihr befreit, als amtlich beglaubigter Idiot entlassen. Brod spricht ihm das „Zweideutige, Hintergründige, Gemischte“ zu, „das alle unsterblichen Gestalten der Weltliteratur auszeichnet“.

Interpreten entnahmen diesem Buch, was sie jeweils brauchten. Sie entnahmen Pazifismus und Antimilitarismus, tschechischen Nationalismus, Haß auf Österreich und Antikapitalismus. Das alles trifft nur Stränge und nie das Gewebe. Schwejk ist ein Erdenwanderer. Hinter ihm ist nicht die Lehre des Klassenkampfes, sondern der unwissende Widerstand des kleinen Mannes gegen alles, was von oben kommt, der Wunsch, die Oberen, wer sie auch seien, zu überlisten mit Hilfe des unwiderstehlichen Tricks der Unterwerfung, die zu nichts verpflichtet. Nie hört dieser fanatische Individualist auf, seiner Pfeife und seinem Wanst zu dienen. Die anderen, nicht Schwejk, haben die klare Absicht auf das Mehr-als-Private, und ihnen dankt er es, daß er nach dem Krieg sein Krügel Bier im Gasthaus „U Kalicha“ trinken darf.

Ist diese Verkörperung tschechischen Mutterwitzes als Schwejk-Natur den Tschechen eingeboren, wie so oft behauptet wird? Sie ist es wohl so viel und so wenig wie die Natur des „Herrn Karl“ den Österreichern. Immerhin bezeichnete es der Prager Philosoph Ivan Svitäk nach den Erfahrungen der vollzogenen Okkupation von 1968 als „historisch wichtig“, „daß die Freiheit nicht ,erschwejkt' werden kann und daß wir uns durch die Geschichte nicht .durchschwejken' können“. Wobei freilich das Hinterhältige an Schwejk bleibt, daß, wenn man ihn wegräumt, ein solches Loch klafft, daß man erst recht merkt, wo er gestanden ist.

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