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Hinters Licht geführt

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Noch vor zwei Jahren wußte kaum jemand, daß es sie gibt: Rumänienflüchtlinge in Budapest. Wer es geschafft hatte, aus dem Reich des Diktators Nicolae Ceausescu hinüber ins experimentierfreudige Bruderland Ungarn zu flüchten, der hielt sich versteckt. Der versuchte sich mit Hilfe der (damals noch „illegalen“) Oppositionscliquen eine neue Existenz aufzubauen oder bei einer westlichen Botschaft in Budapest einen Asylantrag durchzuboxen

Mittlerweile wandelte sich das Bild, sind die Rumänienflüchtlinge eine politische Realität.

Anders verhält es sich mit einem neuen Flüchtlingsschwall, diesmal vom Norden kommend: Die ungari- . sehen Medien berichten kaum etwas über den Versuch hundert er DDR-Touristen, die glauben, einmal kurz über die grüne Grenze nach Österreich spazieren zu können, um endlich westliche Freiheit schnuppem zu können.

Wie vor Jahren im Fall der verzweifelten rumänischen Staatsbürger, verhalten sich die Behörden gegenüber den Ostdeutschen widersprüchlich: Einmal zeigen sie den „Spaziergängern“ den Weg über den Eisernen Vorhang, um sie los zu werden ein anderes Mal stempeln sie in ihren blauen DDR-Paß einen Flucht-Vermerk oder weisen sie direkt in Richtung CSSR aus.

* Achim und Bodo wissen davon ein Lied zu singen Bereits zwei Monate hegt es zurück, als sich der Physiker aus Jena und der Jurastudent aus Berlin in ihrem Glück versuchten. Doch bereits zehn Kilometer vor dem eigentlichen Grenzbaum erwarteten sie in aller Herrgottsfrüh Soldaten mit Gewehren im Anschlag.

Im Dickicht der unzähligen Oppositionszirkel, Parteikomitees und Altemativgrüppchen stießen die beiden auf die „Bewegung für ein freies Rumänien“ (Multumeste Ro-mania Libera, FURCHE 53/1987). Die seit kurzem als eingetragener Verein wirkende Politgruppe gab den DDRlern, was sie suchten Eine Bleibe und Schwarzarbeit. Sollte sich in den nächsten Monaten endlich in der DDR etwas bewegen -„muß ja nicht gleich so weit gehen wie in Polen oder Ungarn“ - sind beide bereit, wieder heimzukehren, ansonsten wollen sie als letzten Ausweg beim Flüchtlingshochkommissariat anklopfen, das Ende September in Budapest seine Pforten öffnet.

Auf der Budapester Margareteninsel, seit Jahren Treffpunkt der Ost-und Westdeutschen, hört man ganz andere Geschichten Da gibt es eine Familie aus der Gegend von Magdeburg, die im Vertrauen auf das Gelingen der Flucht, ihre Habe in der Heimat an Verwandte und Bekannte verteilte, da findet man ein Pärchen, sie aus Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), er aus München, die gemeinsam über grüne Wiesen ihr Glück vergebens versuchten und da stößt man auf so einfältige Touristen, die einfach mit dem Wartburg an den ungarisch-österreichischen Schlagbaum fuhren, vollgepackt und zuversichtlich, man komme schon irgendwie in besseren deutschen Landen an. . Jetzt klagen und schimpfen sie auf die ungarischen Behörden, die sie nicht reisen ließen, jetzt beschuldigen sie das einst so verehrte Westfernsehen, sie hinters Licht geführt zu haben, mit ihren reißerischen Geschichten wie doch die Ungarn den E isemen Vorhang Stück für Stück niederreißen. Und wie unbeholfene Kinder erwarten sie von Kirchenleuten materielle Hilfe.

Und der „Buschfunk“, wie die DDRler ihre Gerüchteküche nennen, arbeitet auf Hochtouren: Ab 1. September sei Schluß mit der Visavergabe nach Ungarn, dann ginge für alle, die schon im Lande seien, für zwei Tage der Schlagbaum hoch, habe der Spuk ein Ende, sei Ungarn als Reiseland für immer verloren.Andere Stimmen glauben zu wissen, Ungarns Reformfieber finde bald ein jähes Ende und der eiserne Stacheldraht werde neu gezogen.

Doch kaum ein „Tourist“ macht sich Gedanken, wie sich auf politischem Wege etwas verändern ließe. Die wenigsten haben bisher mitbekommen, daß sich seit ein paar Tagen einige der neuen oppositionellen Parteien mit Vorschlägen an die (noch immer) kommunistische Regierung wandten, die Beziehungen zum Bruderland DDR doch etwas einzufrieren; die Praxis aufzugeben, Flüchtenden in ihrem Paß einen Vermerk einzustempeln und sich mehr nach Westen zu öffnen. Unter der Hand hört man dabei aber auch, die Bundesrepub lik spiele nicht ganz fair: DDR-Bürger seien willkommen, aber rumänischen Staatsbürgern werde Asyl verweigert, wodurch sich im wirtschaftlich schwachen Ungarn der Strom der Verzweifelten aus dem Karpatenbecken problematisch anstaue.

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