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Hinuber, heruber

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Was in aller Welt mag Italiens außenpolitische Bürokratie bewogen haben, ausgerechnet jetzt einen „anachronistischen Grenzstreit“ mit Jugoslawien vom Zaune zu brechen? Daß die Jugoslawen neue Tafeln entlang einer Grenze setzten, die von Italien nur als „Demarkationslinie“ anerkannt wird, kann wohl kaum der wahre Grund gewesen sein

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Was in aller Welt mag Italiens außenpolitische Bürokratie bewogen haben, ausgerechnet jetzt einen „anachronistischen Grenzstreit“ mit Jugoslawien vom Zaune zu brechen? Daß die Jugoslawen neue Tafeln entlang einer Grenze setzten, die von Italien nur als „Demarkationslinie“ anerkannt wird, kann wohl kaum der wahre Grund gewesen sein

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Was in aller Welt kann Jugoslawien dazu bewogen haben, auf diesen eher witzlosen Einfall diplomatisch-völkerrechtlicher Spitzfindigkeit der Italiener mit einem Panzer-und Truppenaufmarsch zu antworten, als ginge es darum, unmittelbar bevorstehende Einfälle italienischen Militärs, verbunden mit einer Erhebung der im jugoslawisch-istrischen Küstenstrich siedelnden italienischen Minderheit, abzuwehren?

Man ist nicht geneigt, bloß an Zufälligkeiten zu glauben. Wie es auch kein Zufall ist, daß die überlaute Reaktion des Parteiorganes „Borba“ — völlig grundlos — pauschale Beschuldigungen der „Rechtspresse“ in Italien, Österreich, Deutschland und Frankreich ausspricht. Was die österreichische Presse betrifft, hatte diese bis zum Erscheinen des „Borba“-Artikels den seltsamen „Grenzstreit“, der gar keiner ist, kommentarlos gemeldet! Hier werden maximale Folgerungen aus einem wahrlich minimalen „Ereignis“ herausgeholt.

Bekanntlich geht es um die beiden Zonen A und B des lange verblichenen Freistaates Triest. Die Zone B kam gemäß dem sogenannten „Londoner Abkommen“ unter jugoslawische Verwaltung, die Zone A mit der Stadt Triest „kehrte nach Italien heim“.

Jugoslawien anerkannte diese Von London protegierte Regelung vollinhaltlich, Italien nur „unter Protest“; es bezeichnete die Grenze bloß als „Demarkationslinie“, die „nicht endgültig“ sei (aber was in der Geschichte ist schon „endgültig“?). Die langjährige De-facto- und De-jure-Anerkennung dieser Linie, ob nun „Grenze“ oder „Demarkationslinie“, hat zweifellos die Rechtsfolgen der „rechtlichen Unabänderlichkeit“ geschaffen.

Durch diese Grenzziehung, für die sehr viel spricht, gegen die aber auch manches eingewendet werden könnte (wo aber ist das anders in der Geschichte?), verblieb eine italienische Minderheit auf jugoslawischem Gebiet und eine slowenische Minderheit auf italienischem. Infolge der Mischbesiedlung wäre eine „nationale Grenze“ auf einwandfreie Art such nicht zu ziehen gewesen.

Bevor noch die italienische Äußerung Furore machte, gab es eine jugoslawische; ein hoher slowenischer Parteifunktionär sprach auf einer offiziellen Kundgebung bewegte Worte des Bedauerns, daß Jugoslawien unter anderem „die befreite Küstenlandschaft wieder verlorengegangen ist“, worunter, denn nichts anderes konnte gemeint sein, das Gebiet um Triest und Görz zu verstehen war. Man mag in der feingesponnenen „Note“ der italienischen diplomatischen Bürokratie eine „Revanche“ erblicken. Daß aber ein Problem, welches im Grunde keines ist, derart „aufgeschaukelt“ wurde, weist in mehrere Richtungen:

Es mag Jugoslawien sinnvoll erscheinen, Panzer gegen eine wenn auch kaum ernst zu nehmende und bloß verbale „Bedrohung“ aufmarschieren zu lassen, um erstens allen Jugoslawen zu zeigen, wie empfindlich man auf jede Infragestellung der „Souveränität“ reagiere und zweitens dies auch gleich allen anderen Mächten (Nachbarn oder nicht) vor Augen zu führen. Diesfalls wäre der „Grenzkonflikt“ Anlaß zu einem Lehrstück gewesen, das auch irgendwelchen „Ungenannten“ gilt.

Es mag, eine Duplizität des Falles, sowohl Jugoslawien als auch Italien nützlich erscheinen, in einer frühen Phase von Abrüstungs- und Entspannungskonferenzen ein „Problem“ ins Spiel zu bringen, das in Ost und West möglicherweise vergessen wurde und damit auf einen „neuralgischen Punkt“ hinzuweisen, der sowohl dem einen wie dem anderen Staat eine „gehobenere Rolle“ im Rahmen dieser Konferenzen zuweisen könnte. Denn soviel ist klar: wo „Grenzkonflikte“ bestehen, wo Notenwechsel Panzer auf den Plan rufen und Volkskundgebungen auslösen, dort gibt es einiges zu „entspannen“, was den Beteiligten eine höhere Bedeutung verleiht als Staaten, um die herum es weniger oder nichts zu „entspannen“ gibt. Da Italien der NATO angehört, Jugoslawien aber blockfrei ist, dafür aber im Bereich „besonderer Aufmerksamkeiten“ sowohl der NATO wie der Warschauer-Pakt-Staaten liegt, erhält diese „Rollenerhebung'.' eine zusätzliche Dimension.

Ob auch die bevorstehende Touristiksaison, womöglich sogar nicht ganz unabsichtlich, in Mitleidenschaft gezogen werden soll, darf man zumindest erwägen. In das augenblickliche Bild der ideologischen Straffung Jugoslawiens mag es vielleicht nicht ganz passen, diese Entwicklung durch von der Massentouristik immer ausgehende Impulse beeinträchtigt zu sehen. Besonders Istrien ist ein von Touristen „überschwemmtes“ Gebiet. Diesen Strom abzulenken, oder aber den heimischen Landesbewohnern emotional bedingte „Zurückhaltung“ zu empfehlen, etwa im Umgang mit Fremden, wäre so ein „Teilaspekt“. Gerade in einem Gebiet, das in besonderem Maße von Italienern aufgesucht wird, darunter viele, die früher einmal hier beheimatet waren.Istrien ist zu einem Teil slowenisches, zu einem anderen Teil kroatisches Gebiet. Indem es unverhofft — und wiedereinmal, möchte man schmerzlich ausrufen — zum „bedrohten Land“ wird, mag man auch jenen partikulären „Nationalismus“ des Vielvölkerstaates, der ihm stets einiges zu schaffen macht, viel von seiner Wirkung zu nehmen hoffen und ihn zu brüderlichen und gesamtstaatlichen Gefühlen und Kundgebungen umformen.

Der merkwürdige Vorgang besitzt außerdem eine gewisse „Signalfunktion“ nach Österreich hin. Auch in Kärnten gibt es ein „befreites Gebiet“, das späterhin nicht Jugoslawien zugefallen ist, und in diesem Gebiet, dessen staatliche Zugehörigkeit allerdings unbestritten österreichisch ist, gibt es ein zwar vertraglich geregeltes, in der Durchführung aber unvollständig gelöstes „Minderheitenproblem“, dessen laxe Behandlung durch Österreich immerhin den Keim nur wenig anders gelagerter „Konflikte“ in sich birgt.

Dies alles sind Möglichkeiten und Erwägungen, die man anstellen muß, um den Sinn des sonst unerklärlichen Vorganges zu ergründen und aus dem Sinn die Schlußfolgerungen zu ziehen.

Man darf hoffen, ja, man muß erwarten, daß, was soeben hochgespielt wurde, schon morgen wieder heruntergespielt wird. Doch der Vorgang sollte in der Erinnerung haften bleiben. Denn überall in Europa — wie anderswo auch — und ganz besonders im Küstenland zwischen der Adria und den Alpen schlummern Möglichkeiten, die einem „normalerweise“ nicht einmal im Traume erscheinen — bis sie dann plötzlich als neueste Aktualität in den Zeitungen stehen.

Freilich sollten sich jene, die diese Aktualität — aus wie wohlweislich erwogenen Gründen auch immer — herbeiführen, selbst sagen oder doch wenigstens sagen lassen, daß es eine Art von „kaltem Feuer“ gibt, mit dem man nicht spielen sollte. Rasch könnte ein „heißer Brandherd“ daraus werden, den die jeweils heimischen „Feuerwehren“ womöglich nicht mehr löschen könnten. Und gerade die kleinen oder die kleineren Staaten Europas haben geringe Ursache, irgendwo irgend etwas „anzuzünden“, was dann die großen Brüder“ löschen müßten. Denn daß diese selbst, ganz im Hintergrund, es gewesen sind, die da ein wenig an den Drähten gezogen haben sollten, wurde zwar auch gelegentlich ausgesprochen, sollte aber besser gar nicht erst vermutet werden ...

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