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Historie, lebendig präsentiert

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Zuvor: Der 1913 geborene Benjamin Britten, der ein immenses kompositorisches Opus vorzuweisen hat, wird von „Fachleuten“ oft unterschätzt. Nicht nur, weil er so viel und mühelos produziert, sondern auch, weil seine Musik gefällt und entsprechenden Erfolg hat. Aber der Opernkomponist Britten, der zwischen „Peter Grimes“ von 1945 und seinem vorläufig letzten großen Werk, „Der Tod in Venedig“, ein halbes Dutzend Stücke für die Bühne schrieb, hat auch „Les Illuminations“ von Rimbaud und Michelangelo-Sonette vertont. Und mit gutem Grund hat ihn der bekannte Berliner Musikolqge, Schönberg-Biograph und Verfasser zahlreicher bedeutender Musikbücher in seine Essaysammlung „Schöpfer der neuen Musik“, die von Busoni bis Henze reicht, aufgenommen.

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Zuvor: Der 1913 geborene Benjamin Britten, der ein immenses kompositorisches Opus vorzuweisen hat, wird von „Fachleuten“ oft unterschätzt. Nicht nur, weil er so viel und mühelos produziert, sondern auch, weil seine Musik gefällt und entsprechenden Erfolg hat. Aber der Opernkomponist Britten, der zwischen „Peter Grimes“ von 1945 und seinem vorläufig letzten großen Werk, „Der Tod in Venedig“, ein halbes Dutzend Stücke für die Bühne schrieb, hat auch „Les Illuminations“ von Rimbaud und Michelangelo-Sonette vertont. Und mit gutem Grund hat ihn der bekannte Berliner Musikolqge, Schönberg-Biograph und Verfasser zahlreicher bedeutender Musikbücher in seine Essaysammlung „Schöpfer der neuen Musik“, die von Busoni bis Henze reicht, aufgenommen.

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Nun lernten wir eines der repräsentativsten Werke Brittens, „Gloriana“, nach dem bekannten Büch „Elisabeth und Essex“ von Lytton Strachey kennen, das William Plo-mer durch ein gutproportioniertes dramatisches Libretto operngerecht umgeformt hat. — Ob Brittens op. 53, im Jahr und anläßlich der Krönungsfeierlichkeiten für Elisabeth .II. geschrieben und in Covent Garden uraufgeführt, als Akt der Courage, der Taktlosigkeit oder als Hudligung zu werten ist — dies zu entscheiden kann nicht unsere Aufgabe sein. Es geht in dem Libretto nämlich um die Liebe der alternden Königin zu dem jungen, schönen und impulsiven Grafen Essex, den sie zwar liebt, aber aus Gründen der Staatsräson absetzen und zum Tod verurteilen muß. (Das Sujet ist ja aus Schillers „Maria Stuart“ mit dessen sehr einseitiger Sympathie für die Titelheldin weidlich bekannt). — Diese Handlung nun gliedert der Textautor in drei Akte von je einstündiger Dauer mit je zwei bis drei Szenen, und der Ausstatter Colin Graham hat sie, vor ein Renaissanceportal, in ein Einheitsbühnenbild gestellt, in dem die Farben Braun und Mattgold dominieren.

Sowohl die Szenerie wie die Ka-stüme, bei denen an Samt, Seide Brokat und kostbaren Stickereien nicht gespart wurde (man bedenke den Anlaß!) kann man mit den Worten „nobler Prunk“ charakterisieren. Aber nie hatte man den Eindruck des Überladenen, Protzig-Bombastischen. — Das gleiche gilt auch für die Musik Es wurde eine Krönungsoper bei Britten bestellt, und niemand wird erwartet haben (zumal Britten dies auch nicht liegt), ein szenisches Experiment mit knatternden Geräuschen vom Tonband zu erhalten. — Man darf, beim Anhören dieser Musik, Wohlklang und einen gewissen orchestralen und Chorälen Prunk, Anklänge an englische Renaissance-Musik, speziell solche an Purcell, Byrd und Dowland, nicht mit billiger und zeitgemäßer „Nostalgie“ (wir werden dies Wort so bald nicht mehr gebrauchen!) verwechseln. Brittens Partitur entspricht in hohem Maß

auch dem Ensemble, für das es geschrieben wurde und . das er genau kennt.

Das hindert ihn nicht, an einigen Stellen seine Krallen zu zeigen: an drei oder vier recht dissonanten, triumphal klingenden Vorspielen sowie in der Anwendung ganz raffinierter Tricks, etwa: daß er eine längere A-capella^Partie tanzen läßt — wonach das Orchester dann wieder ganz wie neu, wie zum ersten Mal an diesem Abend klingt... Denn „Gloriana“ ist eine Ensembleoper, die zwar an alle beteiligten Ausführenden hohe, ja höchste (aber eben „dankbare“) Anforderungen stellt, den Einzelnen aber trotz der auf Protagonisten gestellten Handlung kaum hervorhebt. Zum Beispiel nicht durch Arien oder Duette und Terzette (die, von wem auch geschrieben und von wem gesungen, für empfindliche Ohren meist empfindliche Intonationsfehler haben, ganz davon abgesehen, daß man da vom Text überhaupt nichts mehr versteht. — Dies also vermeidet Britten, der nicht nur ein guter, sondern auch ein sehr intelligenter Komponist ist. Er war auch klug genug, seine erste Fassung 1966 zu überarbeiten und zu kürzen, und damit ging inzwischen die British National Opera auf Tournee und spielte das Werk bisher in fünf europäischen Städten.

Dieses Ensemble, von Charles Mackerras unauffällig, aber dezidiert geleitet, kann nicht genug gelobt werden. Denn es ist ja keinem Regisseur möglich, einer ganzen Truppe so gute Manieren beizubringen, und kein Kapellmeister der Welt kann aus in der halben Welt zusammengefangenen Solisten ein klanglich so homogenes Ganzes machen. Und darum, vor allem darum, beneiden wir die Engländer: diese Truppe und ihr Publikum. Vielleicht ist es auch wichtig, daß der Regisseur Colin Graham am Bühnenbild mitwirkte.

Die Hauptrollenträger entsprachen durchaus den nicht geringen Anforderungen. Ava June als Königin Elisabeth I., Anne Evans — Pene-lope, Lady Rieh, Schwester des Grafen Essex, Shirley Chapman — Gräfin Frances, Anne Conoley — Kammerfrau. Reith Erwen — Graf von Essex (ein wenig füllig von Gestalt, als einziger unvorteilhaft gekleidet: in schwarz wäre er schlanker erschienen) Malcolm ' Rivers, — Lord Mountjoy, John Kitschiner — Gefolgsmann des Essex, der blinde Balladensänger, der Stadtrichter, Zeremonienmeister, Moreskentänzer, Stadtrufer, Masken, LandmäTdchen und Bauernburschen und 'alle übrigen waren mit hauseigenen Kräften besetzt: kein einziger fremder Name befindet sich auf dem Programm. Besonderes Lob gebührt dem Chor, den Choreographen Darreil und Kinson sowie dem Beleuchter, Charles Brisiow. — Ein Tadel lediglich dem Wiener Publikum, das sich die Bekanntschaft mit einem so repräsentativen Werk und einem Musterensemble entgehen ließ (Zumindest am ersten Abend war die Vorstellung sehr schlecht besucht). Aber für die Briten war's ein Triumph, der den Titel „Gloriana“ rechtfertigte.

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