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Hitler für Anfänger

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„Anmerkungen zu Hitler“ von Sebastian Haffner (1907 in Berlin geboren, 1938 nach England emigriert, Publizist, seit 1954 in der Bundesrepublik), ein Taschenbuch, sozusagen das Hitlerbild in Taschenformat, handlich, einprägsam, vor allem aber ohne besondere Vorkenntnisse begreiflich: Resümee und Nachwort für eine zu wenig informierte Nachwelt.

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„Anmerkungen zu Hitler“ von Sebastian Haffner (1907 in Berlin geboren, 1938 nach England emigriert, Publizist, seit 1954 in der Bundesrepublik), ein Taschenbuch, sozusagen das Hitlerbild in Taschenformat, handlich, einprägsam, vor allem aber ohne besondere Vorkenntnisse begreiflich: Resümee und Nachwort für eine zu wenig informierte Nachwelt.

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Der Verfasser hat nicht nur die Zeit erlebt, er hat die historiographisch-do-kumentarischen Wälzer studiert, ist gut orientiert, was Innen- und Außenpolitik anlangt, und glossiert eingängig auf nur 200 Seiten den Mann, Fähigkeiten und Unfähigkeiten, seine europäische Umwelt und die Nachrede, die man ihm angedeihen läßt. Haffner widerspricht den Interpreten da und dort oder ergänzt ihre Aussagen mit seinem originellen und meist einleuchtenden Kommentar.

Gut und leicht lesbar, ist das Buch in sieben Kapitel eingeteilt: Leben, Leistungen, Erfolge, Irrtümer, Fehler, Verbrechen, Verrat. „Adolf Hitlers Vater war ein Aufsteiger.“ So der erste Satz. Und in der vierten Zeile: „Der Sohn begann als Absteiger.“ Der Dreißigjährige, der sich nach dem Ersten Weltkrieg entschloß, Politiker zu werden, hatte bekanntlich bis dahin nie einen Beruf ausgeübt, war auch später und bis zuletzt, zwischen seinen aufsehenerregenden Auftritten, immer wieder über längere Zeiträume „faul“. Er hat zum Beispiel als Reichskanzler von 1938 bis zum Ende, sieben Jahre lang, keinen einzigen Ministerrat abgehalten. Das Werk überschüttet den Leser nicht mit einer Lawine von Einzelheiten wie viele andere Werke, es konzentriert sich auf das, was als bezeichnend erscheint, konfrontiert es mit der Weltlage und leitet Schlüsse ab.

Es könnte verwundern, daß ein vormaliger Bohemien, dilettantischer Maler und simpler Weltkriegssoldat (trotz EKI und II war er „wegen mangelnder Führungsfähigkeiten“ nicht über die Gefreitencharge hinausgekommen) „auf einmal“ zum beispiellos durchschlagskräftigen Politiker und Staats-

führer wird. Doch ganz so war es nicht. Hitler erwies sich zwar gleich als besonders guter Versammlungsredner, doch der Putsch 1923 („Feldherrnhalle“) ging blamabel daneben und endete mit Festungshaft für den Anstifter. Auch nach der Entlassung war das Aufsehen zunächst größer als das Ergebnis: Die Radaupartei kam über zwei Prozent der Wähler nicht hinaus. Erst 1930, als die Republik abgewirtschaftet hatte, begann sich die Zahl der Anhänger zu multiplizieren. Kurzum: Es war keine Großtat, 1933 die Parteien zu erledigen, sie hatten sich bereits selbst erledigt. Nachher freilich verblüffend, für Neutrale wie für Gegner, wie Hitler binnen drei Jahren sechs Millionen Arbeitslosen wieder Platz schaffte in der Wirtschaft. Auch die außenpolitischen und kriegerischen Siege 1938 bis 1941 kamen ähnlich zustande: Hitler überwand nicht eine Ubermacht von Gegnern, er bewies nur die totale Ohnmacht Europas zum damaligen Zeitpunkt. Als man sich endlich aufraffte, war es rettungslos dahingerafft.

Da Hitler, bei allem Organisationstalent und unleugbaren militärischen Kenntnissen, überhuapt kein „Staatsmann“ war, mußten sich „Fehler“ und „Irrtümer“ katastrophal auswirken. 1938 wurden seine Usurpationen von Frankreich und England vertraglich anerkannt, trotzdem zettelte er einen ganz unnötigen Krieg an. 1940 beherrschte er fast ganz Europa; statt Frankreich einen großmütigen Frieden zu gewähren und damit England (gegen das er gar nichts hatte) vor die Wahl zu stellen, einen gleichen einzugehen, wollte er es - völlig vergeblich -mit Bomben friedensbereit machen

und steuerte dann wahnwitzig auf sein altes Traumziel zu: Raumgewinn im Osten. Er blieb Taktiker, wurde nie Stratege, sah zwar Ende 1941 schon die Niederlage voraus, machte aber Deutschland dafür verantwortlich, nicht sich. „Die Vernichtung Deutschlands war das letzte Ziel, das Hitler sich setzte.“

Einwände gäbe es genug, doch das Buch ist diskutabel. Es bietet eine brauchbare und markante Ansicht, sowie viele Fakten, deren Kenntnis heute den meisten (zumal jüngeren) Leuten fehlt. Es ist instruktiv.

ANMERKUNGEN ZU HITLER. Von Sebastian Haffner. Kindler Verlag, München 1978, 204 Seiten, öS 115,50.

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