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Hitlers Gegner

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Adolf Hitler hatte viele Gegner — und das in allen Schichten der Bevölkerung. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen: Ein großer Teil der Deutschen stand lange Zeit auf der Seite des „Führers" — zumal in jenen Zeiten, als das Nazi-Regime seine großen innen- und außenpolitischen sowie militärischen Erfolge feierte.

Freilich, diese „Erfolge" allein waren es nicht, die es Hitlers Gegnern erschwerten, eine breite Opposition in der Bevölkerung gegen die Nazi-Herrschaft zu formieren. Man rufe sich die institutionellen Merkmale der Nazi-Diktatur in Erinnerung: Parteimonopol, Organisationsmonopol und Informationsmonopol. Im Würgegriff dieser Herrschaftsinstrumente waren einer oppositionellen Massenbewegung von Anfang an enge Grenzen gesetzt. Und so mußte der Widerstand im Dritten Reich zwangsläufig von Minderheiten ausgehen, die gleichwohl an Zahl so klein gar nicht waren:

Im Anschluß an den so tragisch gescheiterten Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 ließ Hitler in grenzenlosem Rachewahn von seinen Terror-Schergen allein durch zivile Gerichte (neben Kriegsgerichten) etwa 5000 Menschen hinrichten. Etliche Hunderttausende bezahlten für ihren Widerstand gegen das Dritte Reich in den Jahren 1933 bis 1945 mit Gefängnishaft oder wurden in Konzentrationslagern zu Tode gequält.

Folgt man der Analyse des Berliner Politologen Richard Löwenthal, so lassen sich drei Grundformen des Widerstandes gegen den nationalsozialistischen Totalita-rismus unterscheiden: der bewußte politische Kampf, der die Untergrabung und den Sturz der Hitler-Diktatur anstrebte; die gesellschaftliche Verweigerung, die sich ohne politische Flagge konkret, praktisch und relativ offen gegen die nationalsozialistischen Eingriffe in das öffentliche Leben und seine Organisationen richtete; schließlich die weltanschauliche Dissidenz die sich — ebenfalls ohne politisches Etikett — in Teilen von Literatur, Kunst und Wissenschaft zeigte.

• Die politische Opposition wurde vor allem von den Linksparteien, den Sozialdemokraten und Kommunisten getragen. Zu spät erkannten jedoch die Arbeiterparteien und auch die Gewerkschaften, mit was für einem übermächtigen und rücksichtslosen Gegner sie es zu tun hatten.

Zur Schwächung dieser politischen Opposition trug darüber hinaus in der Anfangszeit der nationalsozialistischen Diktatur die unversöhnliche Feindschaft der Linksparteien bei. Der HitlerStalin-Pakt vom August 1939 führte schließlich dazu, daß der kommunistische Widerstand gegen Hitler vorübergehend aufhörte und erst mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 wieder aufgenommen wurde.

Auch in den Reihen des Militärs bildete sich ein politisch oppositioneller Kern, der freilich auch nur eine Teilbewegung war. Denn die deutsche Militärtradition bot kein tragfähiges Fundament für breiten politischen Widerstand. Zu sehr herrschte in der Wehrmacht eine „Befehl-ist-Befehl-Mentalität" vor, zu sehr fühlten sich die Offiziere zum Gehorsam gegenüber Hitler verpflichtet, nachdem sie am 2. August 1934 freiwillig den Eid auf den „Führer" persönlich geleistet hatten.

Aber immerhin: Im Sommer 1938 war eine erste militärische Oppositionsgruppe um Generaloberst Beck entstanden, die Vorbereitungen für einen Sturz Hitlers im Kriegsfall traf und Kontakt zu Nazigegnern der verschiedensten Lager aufnahm. Das Münchner Abkommen im September 1938, bei dem die Westmächte die Tschechoslowakei preisgaben, entzog diesen Umsturzplänen den Boden.

Die Kriminalisierung des Krieges und die Rückschläge der Wehrmacht in Nordafrika und Rußland ließen den Widerstand innerhalb des Militärs wieder erstarken und führten am 20. Juli 1944 zum Attentat, das Staufenberg gegen Hitler unternahm. O Die gesellschaftliche Verweigerung ging in erster Linie von der katholischen und protestantischen Kirche aus, zum Teil aber auch von der Wehrmacht und Bürokratie.

Mit der Unterzeichnung des Reichskonkordats am 20. Juli 1933 konnte sich die katholische Kirche zwar eine gewisse Autonomie bewahren, doch wurde der Katholizismus, von dem aus zuvor ein starker Widerstand gegen den Nationalsozialismus erfolgt war, im politischen Bereich praktisch neutralisiert.

Dennoch rührten sich im Katholizismus immer wieder resistente Kräfte gegen den Nationalsozialismus — vor allem in Jugendgruppen, aber auch im Episkopat.

Gegen Hitlers Versuch, die evangelische Kirche durch eine nationalsozialistische Kirchenführung gleichzuschalten, stellte sich bei den Protestanten die „Bekennende Kirche". Von ihr gingen wichtige Impulse an den deutschen Widerstand aus.

Passiven Widerstand, ob institutionell oder individuell, leisteten aber auch einzelne Offiziere und hohe Beamte, sowie Jugendgruppen außerhalb der Hitlerjugend, zum Beispiel die bekannt gewordene „Weiße Rose" in München. Propagandistische Aktivitäten, Sabotage, Kriegsdienstverweigerung, Desertion, Abhören ausländischer Sender und Weitergabe geheimer Informationen, Hilfe für Verfolgte des Regimes waren Ausdruck solcher gesellschaftlichen Verweigerung. # Die weltanschauliche Dissi-denz schließlich, die sich vor allem im Bereich der Kultur gegen Hitlers totalen Machtanspruch stellte, war gewiß die hilfloseste Form der Opposition. Richard Löwenthal dazu: „Ihr Widerstand wirkte nicht im Sinne eines aktuell-politischen Programms..., sondern im Sinne der Bewahrung der humanen und humanistischen Tradition unserer Zivilisation... Nach dem Hitlerschen Nihilismus konnte nur ein erneuerter Humanismus die Grundlage eines wiedererstandenen Deutschland sein." Bücher zum Thema:

WIDERSTAND UND VERWEIGERUNG IN DEUTSCHLAND 1933 BIS 1945. Hrsg. von Richard Löwenthal und Patrik von zur Mühlen. Verlag J. H. W. Dietz. Bonn 1984.319 Seiten. TB.. öS 76,50

OPPOSITION GEGEN HITLER. Ein erzählender Bildband von Ulrich Cartarius. Siedler Verlag, Berlin 19S4.315 Seiten, viele Abb.. Ln., öS 452,-.

DEUTSCHLAND JULI 1944. Soldaten, Zivilisten, Widerstandskämpfer. Von Georg Holmsten. Droste Verlag, Düsseldorf 1982.160 Seiten, viele Abb., kart. öS 374,50 DEUTSCHER WIDERSTAND 1938-1944. Fortschritt oder Reaktion. Hrsg. von Bodo Scheurig. dtv dokumente, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1984. 331 Seiten. TB., öS 99,80.

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