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Hochrechnen unerwunscht

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In den Hauptquartieren der Parteien in Niederösterreich laufen die Vorbereitungen für den im Wonnemonat Mai kuliminierenden Wahlkampf auf Hochtouren. Der „Salzburger Schnürlregen“ war vor allem für die Sozialisten Anlaß, ihre Strategie nochmals zu überdenken. Erreicht die „Westwetterfront“ am 9. Juni auch Niederösterreich? Läßt sich auch im Lande unter der Enns ein Erdrutsch zugunsten der ÖVP erwarten?

Nun, die Prognosen der Spitzenpolitiker sind betont zurückhaltend. Landeshauptmann Maurer ist vorsichtig optimistisch, hat keineswegs — wie „General“ Kohlmaier auf Bundesebene — den Salzburger Trend für Niederösterreich hochgerechnet. Vizelandeshauptmann Czet-tel hat sein Ziel, den Vorsitz in der Landesregierung in der Herrengasse zu übernehmen, als ein langfristiges erklärt.

In den Ostertagen legen die beiden Spitzenpolitiker, die bereits in der Vorwahlzeit landauf und landab zu Parteiveranstaltungen, Grundsteinlegungen und Eröffnungen — in Niederösterreich wird jetzt sehr schnell gebaut — unterwegs waren, eine kleine Ruhepause ein. Damit das Wahlvolk in spe nicht etwa beim Eierpeeken auf den bevorstehenden Urnengang vergißt, lächeln sie vielerorts von den Plakatwänden: Landeshauptmann Maurer mit einem Baustein, sein Gegenspieler Czettel mit der Pfeife in der Hand.

Es ist natürlich keine Frage, daß das Fußvolk der ÖVP in Niederösterreich aufgeatmet hat, als das Salzburger Wahlergebnis feststand. Aber die politische Konstellation der Parteien zwischen Enns und Leitha ist nicht mit jener an der Salzach zu vergleichen. Andreas Maurer glaubt zwar auch an einen für ihn günstigen Bundeswind, aber die politische Erosion war hierzulande nie so groß wie im Westen. Während man nämlich in Oberösterreich und Salzburg bei den Landtagswahlen in der Klaus-Ära empfindliche Niederlagen hinnehmen mußte, trotzte die ÖVP Niederösterreichs 1969 dem sozialistischen Ansturm. Der Verlust eines einzigen Mandates war — auch angesichts der befürchteten Nachwehen zur Müllner-Affäre — noch ein halber Erfolg.

Vergleicht man die verschiedenen Landtagswahlergebnisse in Niederösterreich und anderen Bundesländern, so zeigt es sich, daß die Gewinn-und Verlustkurven im Lande unter der Enns viel flacher verlaufen als etwa in Oberösterreich oder Salzburg. Fast könnte man in Niederösterreich von einer Versteinerung der politischen Fronten sprechen.

Die Sozialisten — Minderheitspartei seit 1945 — haben allerdings seit den Landtagswahlen im Jahre 1954 eine stete, leicht steigende Tendenz zu verzeichnen. Bis zu den Landtagswahlen nach dem Abschluß des Staatsvertrages waren im Landhaus auch drei kommunistische Mandatare vorhanden. Nach ihrem Ausscheiden konnte die SPÖ um zwei Sitze mehr verbuchen, die Volkspartei um einen. Der Stimmenanteil der KPÖ ist seit 1954 von 5,8 Prozent auf rund 1 Prozent zusammengeschrumpft. Die Freiheitlichen haben in Niederösterreich noch niemals die Hürde eines Grundmandats in einem der vier Viertel überspringen können.

Seit 15 Jahren ist in Niederösterreich das Zwei-Parteien-System fest verankert. Das Mandatsverhältnis zwischen Volkspartei und Sozialisten im Landtag lautete zweimal 31 zu 25 und einmal (1969) 30 zu 26.

Die Stabilität, die ja zu allererst eine solche der ÖVP ist, hat also bereits einen Generationswechsel und offenbar auch eine bedeutende Strukturänderung in Richtung Industrielandschaft überdauert.

Welcher Realpolitiker kann in einem solchen Land einen Erdrutsch prophezeien? „Das Halten des Mandatstandes vom 30 wäre ausgezeichnet, der Gewinn eines Landtagsitzes sogar ein grandioser Erfolg“, erklärte Landeshauptmann Maurer in einem Interview mit den „Nö. Nachrichten“ nach (!) den Salzburger Wahlen. Und sein Gegenspieler Landeshauptmannstellvertreter Czettel gibt sich noch bescheidener: „Wenn wir unsere 26 Sitze behaupten können, so ist das ein echter Erfolg.“

Wenn sich die innenpolitische Situation bis zum 9. Juni nicht ändert, wird der Trend sicher auch in Niederösterreich kein Genosse sein, das steht ja fest. Nach den Erfahrungen der letzten 20 Jahre zu schließen, würde das bedeuten, daß das Pendel leicht nach rechts ausschlägt. Also, den Gewinn eines Mandates durch die ÖVP.

Aber vielleicht nimmt die Wählermobilität auch in Niederösterreich zu? Während sich nämlich bei den Landtagswahlen 1969 das „schwarze“ Stimmungstief für die ÖVP in Niederösterreich nur schwach auswirkte, ist der Vorsprung der Mehrheitspartei im Lande unter der Enns bei den letzten Nationalratswahlen auf 15.000 Stimmen zusammengeschrumpft. Erstmals gab es in Niederösterreich offenbar mehr Wechselwähler. Gilt das jetzt auch für Landtagswahlen? Damals hieß es „Laßt Kreisky und sein Team arbeiten!“ Und Kanzler Kreisky, nieder-österreichischer Abgeordneter, Initiator des Nö.-Planes und eine Zeitlang auch Landesparteiobmann der SPÖ, konnte offenbar auch hierzulande Randschichtenwähler in Bewegung setzen.

Theoretisch muß Andreas Maurer zuerst die verlorenen Schäflein zurückholen. Der Landeshauptmann hat daher bereits beim Landesparteitag der ÖVP im Herbst vergangenen Jahres Dr. Kreisky aufgefordert, „zwischen Enns und Leitha in den politischen Ring“ zu steigen. Maurer gab recht deutlich zu verstehen, daß die Volkspartei nicht daran denke, die Bundespolitik aus dem Wahlkampf auszuklammern.

Nun hat auch die SPÖ Niederösterreich den bundespolitischen Fehdehandschuh aufgegriffen. Dr. Kreisky sagte bei einer Veranstaltung im Industrieort Traisen, „wenn Landeshauptmann Maurer die Bundespolitük in den Wahlkampf hineinziehen“ wolle, so stehe er gerne zu einer Diskussion zur Verfügung. Kreisky steigt also in den Ring. So gesehen, wird der Kanzler auch seine Äußerung, die Landtagswahlen in Niederösterreich seien kein bundespolitischer Test, nicht länger aufrechterhalten können.

Es ist keine Frage mehr, daß im Wahlkampf — offiziell wird er Anfang Mai eröffnet — neben der Landespolitik so gut wie alle wesentlichen bundespolitischen Themen in der Auseinandersetzung zwischen Enns und Leitha eine Rolle spielen werden. Der Bogen spannt sich hier von den verschiedenen Forderungen der Bauern bis zur Teuerung und Steuerprogression. Niederösterreichs Bauernbündler im Landtag werden übrigens dafür sorgen, daß die Landwirtschaftspolitik der Bundesregierung auch in der letzten Sitzung des Regionalparlaments Ende April nochmals Gegenstand der Konfrontation werden wird. Sie haben nämlich einen Resolutionsantrag in den Landtag eingebracht, in dem vom Kabinett Kreisky Maßnahmen zur Verhinderung eines unkontrollierten Importes aus den Oststaaten verlangt werden.

Nun, die Agrarpolitik ist seit Monaten auch außerhalb des Regionalparlaments ein Schwerpunkt der politischen Auseinandersetzung. Czettel hat den Bauembund als einen Hauptangriffspunkt der Sozialisten im Wahlkampf bezeichnet. Er spricht immer wieder von der „feudalen Agrarstruktur“, die es — seiner Meinung nach — „zu überwinden“ gelte.

Auf der anderen Seite ist der Nö. Bauernbund einer der heftigsten Gegner und Kritiker der Bundesregierung. Das zeigte sich bei der jüngsten Unterschriftenaktion und bei den Bezirkskonferenzen des Bauem-bundes.

Nun, von der Landwirtschaftspolitik der Regierung wird sich Czettel kaum Rückenwind erwarten können, aber er erhofft sich einen „Ankündigungseffekt“ von der Einigung über die Steuerreform. Er brauche sie noch im April, erklärte der SP-Spitzen-kandidat vor Pressevertretern. Czettel braucht offenbar auch den baldigen Abschluß der schon fast ausgehandelten Grenzlandhilfe des Bundes. Es ist klar, daß Kreisky und Czettel alle Trümpfe ausspielen, um die drohende Niederlage zu verhindern.

Landeshauptmann Maurer und sein Team gehen als klare Favorits in den Kampf, können vor allem auf Erfolge in der Raumordnungs- und Grenzlandpolitik verweisen und verspüren den für die ÖVP angenehmen Klimawechsel auf Bundesebene. Verfrühte Siegesfreude würde aber vielleicht zur Frühjahrsmüdigkeit im Funktionärskader führen. Und die Landtagswahl ist für die Volkspartei durchaus noch keine „gmahte Wiesn“ — hieß es dieser Tage in einer Aussendung der niederösterreichischen ÖVP.

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