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Hochschul-Nostalgie

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Am 16. und 17. Jänner 1974 sind in ganz Österreich Hoohsehülerschafts-wahlen. Der Wahlkampf läuft bereits auf Hochtouren — gekämpft wird nach wie vor in erster Linie mit „studentischen“ Mitteln: Flugzetteln, „teach-an“, Plakaten und bescheidenen Aktionen. Dennoch gibt es keinen Zweifel, daß das Ergebnis dieses Wahlganges nicht nur von den Studenten aufmerksam analysiert werden wird. Vor allem für die studentische Linke — die weltweit von Erfolg zu Erfolg eilte — stellen diese Wahlen einen Stichtag dar, denn anläßlich der letzten Wahlen im Jahre 1971 War das Abschneiden dieser Gruppen eher beschämend gewesen (siehe Kasten).

Kein Wunder also, daß der VSStö (Verband Sozialistischer Studenten Österreichs) mit allen Mitteln versucht, diesmal das akademische Steuer herumzureißen. Am Geld fehlt es nicht — vor den Sommerferien 1973 wurde sogar eine IFES-Umfrage über die politische Einstellung der Studenten durchgeführt. Nur die beginnenden Sommerferien verhinderten einen Skandal: die Umfrage wurde nämlich nicht anonym durchgeführt, sondern es wurde jedem Studenten für die Beantwortung des Fragebogens eine „Entschädigung“ in Höhe von 100 Schilling in Aussicht gestellt. Fazit dieser „Aktion“ ist, daß der VSStö nunmehr über eine umfangreiche Kartei verfügt; ein nicht zu unterschätzendes Wahlkampfinstrument.

Obwohl der VSStö nicht gerade das ist, was man als Lieblingskind der SPÖ bezeichnen könnte (interne Fraktionsstreitigkeiten haben geradezu mit Regelmäßigkeit Funktionäre der Mutterpartei verärgert), werden zu Wahlzeiten ideologische Zwistigkeiten beseite geschoben. Die SPÖ braucht Erfolg auf akademischem Boden.

Auf der äußersten Linken hat ein inkohärentes Konglomerat den Kampf um Stimmen und Prozente aufgenommen. Da gibt es u. a. die MLS (Marxistisch-Leninistischen Studenten), den kommunistischen VDS (Verband Demokratischer Studenten), die GRM (eine trotzkisti-sche Nachfolgepartei der „Aktion“), einen KSV (Kommunistischen Studentenverband) sowie eine Unzahl von Namenslisten, Gruppen umd Wahlgemeinschaften.

Spitzenreiter aber ist nach wie vor die ÖSU (österreichische Studenten-Union), deren ÖVP-nahe politische Praxis in der Vergangenheit nicht nur von der Mehrheit der Studenten honoriert wurde, sondern auch den Beweis lieferte, daß Progressivität nicht synonym mit „links“ zu verstehen ist. Trotz der geringen Wahlbeteiligung im Jahre 1971 — die traditionell der studentischen Linken Vorteile bringt — gelang der ÖSU ein nahezu erdrutschartiger Erfolg.

Als — derzeit noch — zweitstärkste Fraktion tritt der RFS (Ring Freiheitlicher Studenten) auf. Der „Ring“ folgte bei Wahlen bislang dem Trend seiner Mutterpartei, der FPÖ: er verliert ständig an Stimmen. Die Gruppe, die einstmals ein Drittel der Studenten für sich begeistern konnte, ist mittlerweile auf 25 Prozent abgesunken. Hauptgrund für diesen Abwärtstrend dürfte die Tatsache sein, daß die Kerntruppe des RFS, die „schlagenden“ Korporationen, stark an Attraktivität und Mitgliederzahlen verloren haben.

Während der Entwurf zum Uni-versitätsorganisationsgesetz (UOG) des Firnberg-Ministeriums starkem Beschuß seitens der ÖSU ausgesetzt war, mußte in der Folge auch der VSStö mitziehen. Wenn sich die Jungsozialisten auch radikaler Töne enthalten, so üben sie doch im offiziellen Organ „rot-press“ herbe Kritik: „Die derzeitige Hochschulreform entspricht nicht dem Interesse der Studierenden und aller Lohnabhängigen nach umfassender Qualifikation. Im Gegenteil, durch Verschu-lunig, verschärften Leistungsdruck usw. wird das Fachidiotentum gefördert.“

Die listenführende ÖSU hält es weiterhin mit ihrem probaten Erfolgsrezept: grundsätzliche Arbeit bei der Konzepterstellung („Demokratische Leistungsuniversität“, „Hochschuldidaktikkonzept“ und „Gesamtbildungsplan“) sowie Umsetzung dieser Vorstellungen in die Praxis. Während die meisten studentischen Gruppen nur zu Wahlzeiten aktiv werden, ist es die ÖSU, die in Permanenz zu 80 Prozent die Arbeit in der österreichischen Hochschülerschaft besorgt.

Der RFS dürfte sich mit seinem Schicksal irgendwie abgefunden haben und kämpft — etwas banal — mit Schlagworten „für mehr Studienqualität“ und gegen eine „Hoch-schul-Nostalgie“.

Daß das Hochschuibudget 1974 eine gewichtige Rolle im Wahlkampf spielen wird, steht außer Zweifel; fraglich ist lediglich die Rolle des VSStö, der bereits bei den letzten Demonstrationen Abstinenz übte.

Eine Studie des österreichischen Cartellverbandes (ÖCV) erbringt den Nachweis, daß die reale Leistung des Staates pro Student einen neuen Tiefpunkt erreicht hat; gleichzeitig wird in einer Aussendung darauf verwiesen, daß die Gemeinde Wien den Bund zwar bei Renommee-Bauten (UNO-City) kräftig unterstützt, bei der Errichtung von Hochschulbauten jedoch Zurückhaltung zeigt.

Auf die Frage nach Wahilprogno-sen winken Vertreter aller Gruppen ab; zu viele unbekannte Faktoren werden das Wahlergebnis beeinflussen:

• Erstmals findet die Wahl an 2 Tagen statt, wobei ein Tag vorlesungsfrei ist (bisher stand nur ein Wahltag zur Verfügung).

• Bisher wurden nur Vertreter für die einzelnen Fachschaften, Hauptausschüsse sowie für den Zentralausschuß gewählt, diesmal werden außerdem Vertreter in die Institutsvertretungen sowie in die Studienrichtungsvertretungen entsendet.

• Erstmals werden auch ausländische Studenten die Möglichkeit haben, das — allerdings nur aktive — Wahlrecht auszuüben.

Ob auf der Hochschule in Klagenfurt gewählt werden kann, ist derzeit noch unsicher, das größte Fragezeichen jedoch ist wie immer die Ungewißheit über die Höhe der Wahlbeteiligung, die alle wahlwerbenden Gruppen in Unruhe versetzt. In einem Flugblatt heißt es: „Besserwissen üben und verschämte Kritik hinter vorgehaltener Hand ist ebenso unproduktiv wie Zeichen mangelnder demokratischer Reife.“

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