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Hochschulpolitik bedeutet immer auch Gesellschaftspolitik

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Die Frage nach dem Stellenwert, der Rolle, der Funktion der Wissenschaft in der heutigen Gesellschaft erweist sich als aktuell und brisant. Die Interdependenz, Korrelation und Phasenverschiebung zwischen wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung zählt zu den gegenwärtigen und wohl auch künftigen Forschungsgebieten. Das ungeheure Wachstum der Wissenschaften kann vorläufig nur zum Teil in gesellschaftliche Information umgemünzt werden.

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Die Frage nach dem Stellenwert, der Rolle, der Funktion der Wissenschaft in der heutigen Gesellschaft erweist sich als aktuell und brisant. Die Interdependenz, Korrelation und Phasenverschiebung zwischen wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung zählt zu den gegenwärtigen und wohl auch künftigen Forschungsgebieten. Das ungeheure Wachstum der Wissenschaften kann vorläufig nur zum Teil in gesellschaftliche Information umgemünzt werden.

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Dennoch übt die Wissenschaft auf die Gesellschaft bereits einen weitaus größeren Einfluß aus als geläufig bekannt ist. Denke man sich alle wissenschaftlichen Ergebnisse und deren Niederschlag im täglichen Leben, alle akademischen Berufe und alle Akademiker aus der Gesellschaft weg. Wie würde es ohne Ärzte, Priester, Juristen, universitär ausgebildeten Wirtschaftsfachleuten, ohne Ingenieure, Mittelschulprofessoren aussehen und gehen?

Die moderne technisierte Gesellschaft produziert einen immer höheren Bedarf an,wissenschaftlich ausge-

bildeten Fachkräften, die Verwissenschaftlichung des Lebens bedarf der Spezialisten, die mit der verfeinerten Technologie nicht nur zurechtkommen, sondern die Spezialisierung noch immer weiter vorantreiben.

Die Idee und Konzeption der Hum- boldtschen Universität besteht in der geschichtlich schwer erkämpften Autonomie, im Forschen und Wissenwollen um seiner selbst willen, in der zweckfreien Erkenntnis, mehr oder minder unabhängig von den Bedürfnissen des Lebens, der Gesellschaft, unabhängig von der Nützlichkeit, der Verwertbarkeit, der Sozialrelevanz der Wissenschaft.

Die Frage wird gegenwärtig heftig diskutiert, ob mit dieser Humboldt- schen Idee allein die Wissenschaft der Gesellschaft und dem Staat am besten dient, oder ob der Staat Themen und Aufträge von gesellschaftlicher Relevanz der Universität erteilen soll.

Ist der Staat national, so die Wissenschaft übernational, ja international ausgerichtet. Darin steckt ein differenziertes Problem und die Gefahr einer vorschnellen Adaptierung und Reduzierung der Wissenschaft auf gesellschaftliche oder nationale Programme im Rahmen eines Staates, um so mehr eines kleinen Staates.

Angesichts der direkten und diffizilen Symbiose zwischen Wissenschaft und Gesellschaft muß darauf hingewiesen werden, daß Gefahr und Qualitätsverlust an der Universität gleich-

zeitig und automatisch Gefahr und Qualitätsverlust für die Gesellschaft bedeuten. Auch unter diesem Gesichtspunkt müßte die Frage der Wertneutralität der Wissenschaft wie überhaupt des Verantwortungsbewußtseins der Universitätsangehörigen gesehen und neu geprüft werden. Die Universität hat ihre Führungsrolle aus dem Geiste zu vollziehen. Die Universität soll kein elfenbeinener Turm, sondern ein Leuchtturm sein.

Eine engere Verbindung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, zwischen Theorie und Praxis kann unter kontrollierbaren Voraussetzungen durchaus beiden Seiten dienlich sein. Die Selbstreflexion der Wissenschaft wird die Reflexion der Gesellschaft über die Wissenschaft in sich aufnehmen müssen.

In diesem Zusammenhang sei auf das politische und ethische Problem der Käuflichkeit der Wissenschaft, auf die Gutachtertätigkeit hingewiesen. Dabei handelt es sich leider manchmal um ein von beiden betroffenen Seiten korrumpiertes Nahverhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft. Für einen leider nicht ganz kleinen Seitenarm der wissenschaftlichen Gutachten wird seitens der Nutznießer oder der Politiker des Flußbett vorgegraben und die Richtung des Gutachtens gewiesen.

Mit dem Wissenschaftsbegriff wird überhaupt von außeruniversitärer Seite von Medien, Geschäft, Politik, Werbung und manchmal auch von universitärer Seite Schindluder getrieben. Triviale Überlegungen und Untersuchungen werden oft als Wissenschaft verkauft, Käuflichkeit der Wissenschaft, Publicitysucht und manchmal Showbusineß dürfen in das Haus der Wissenschaft nicht eingelassen, müssen nötigenfalls daraus vertrieben werden.

Die Universität geht bereits in einem weitaus höheren Maß auf gesellschaftliche, politische und soziale Bedürfnisse ein als dies gemeinhin erkannt und anerkannt wird. Der Grund für die teilweise Unkenntnis mag auch darin liegen, daß der Wissenschaftsjournalismus bei manchen österreichischen Zeitungen noch zu wenig ausgebaut ist.

Im Zusammenhang mit dem geplanten Forschungsorganisationsgesetz, das in den nächsten Jahren beschlos-

sen werden soll und daher zu den Schwerpunkten hochschulpolitischer Tätigkeit für die nächste Zukunft- zählt, seien einige Grundanliegen aufgezählt:

Es besteht die Gefahr, daß unter der Flagge der gesellschaftlichen oder sozialen Relevanz der Forschung von politischer Seite Forschungsaufträge an Institute oder Institutionen erteilt werden, die wissenschaftlich zu wenig abgesichert, die von parteipolitischer Relevanz sind. Wenn die Vorrangigkeit und Vorgängigkeit der wissenschaftlichen gegenüber der politischen Entscheidung gewahrt wird, läßt sich sicher ein Modus procedendi finden. Eine gewisse Koordination und Konzentration der Kräfte und Mittel erweist sich sicher als sinnvoll. Eine verstärkte Kooperation zwischen den einzelnen wissenschaftlichen Instituten und Hochschulen, zwischen universitärer und außeruniversitärer, zwischen nationaler und internationaler Forschung wird als allgemeines Anliegen zu verfolgen sein.

Weiters besteht der Trend und die Gefahr, die Forschung teilweise von der Universität weg in außeruniversitäre Einrichtungen zu verlagern. Die Universität hat drei Primäraufgaben zu erfüllen: Forschung, Lehre und Verantwortung, wobei die Reihenfolge Rangordnung bedeutet. Nach dem vierten Durchführungserlaß zum UOG aber hat die Teilnahme an Sitzungen Vorrang gegenüber den anderen Verpflichtungen: also eine völlige Umwertung und Verkehrung an sich richtiger universitärer Werte.

Die Praxis sieht für Funktionäre an der Universität auch dementsprechend aus. Die Verbürokratisierung läßt vielleicht noch Zeit für die Lehre,

nicht aber für die Forschung. Die Konsequenzen sind - gewollt oder ungewollt - klar und unerfreulich. Man hätte, so man ihn brauchte, einen Grund mehr, Forschung von der Universität abzuziehen. Daher gibt es für uns die unabdingbare Forderung nach Freiheit von Forschung und Lehre, nach Verbindung von Forschung und Lehre.

Der moderne Staat weiß um den Stellenwert der Forschung, der Wissenschaft für die Gesellschaft, und möchte seinen Einfluß sichern. Denn Wissen ist Macht, Politik ist Macht. Wer wird sich durchsetzen?

Der Staat übt einen direkten, auch politisch relevanten Einfluß auf die Universität aus:

• Durch Gesetze und Erlässe, etwa das UOG mit dem damit verbundenen Rattenschwanz von Erlässen,

• durch das Budget und die Finanzierung,

• durch Berufungen und Besetzungen von Professorendienstposten und die übrige Personalpolitik,

• durch eine über das notwendige Maß hinausgehende auferlegte Demokratisierung der Universität; Demokratisierung bedeutet Politisierung; so gut oder so schlecht Demokratie immer auch sein mag; vor allem im Zuge der Durchführung des UOG wurde mehr Verpolitisierung in die Universitäten getragen als gut und notwendig ist,

• durch die Überbürokratisierung - hier liegt ein dialektisches Moment vor. Die politisch relevante Demokratisierung der Universität, die Gruppenuniversität, hat einerseits zu übertriebener Verwaltungsaufblähung geführt. Anderseits kann mit dieser Hypertrophie - bewußt oder unbewußt?

- die Universität vollbeschäftigt und beinahe lahmgelegt werden, um die eigentlichen Fäden von außen leichter in der Hand halten zu können oder zu erhalten, um die wahre und eigentliche Politik für die Universität nach außen zu machen.

Hochschulpolitik - wie jede Politik - bedeutet seitens des zuständigen Ressorts, des Staates, zumindest in den gegenwärtigen Zeitläufen, immer auch Gesellschaftspolitik. Man kann um so leichter im Trüben fischen und im Dunkeln munkeln, je unbekümmerter, weit- und gesellschaftsferner, je individualistischer Universitätslehrer leben. Die Stubengelehrten sollen sicher in keine Parteistuben einziehen, wohl aber realpolitisch reagieren. Eine Einrichtung ist um so leichter instrumentierbar, je weniger Führung sie hat.

Dem Vorwurf, mit solchen Auffassungen eine gefährliche, unnotwendige, der Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre widersprechende Verpo- litisierung der Universität zu betreiben-, muß ich begegnen: Diese Entwicklung wurde uns von außen aufgedrängt. Dies ist die adäquate Reaktion für die laufende Aktion. Wir müssen heraus aus einer bloß defensiven und oft verzögerten Reaktion und fortschreiten zur Aufstellung eines Konzeptes, eines Programms, eines Modelles. Wir wollen nicht nur ergriffen werden, sondern wollen und sollen selber ergreifen und begreifen. Wir wollen sehen, um vorauszusehen, voraussehen, um vorauszuplanen.

Der Universität geht es ähnlich wie der Kirche. Es geht nicht um eine Äquidistanz, sondern um eine Sachdistanz zu politischen Parteien, Kritik an der Politik ist keine Parteipolitik. Kritik an der Gesellschaft läuft vielleicht auf Gesellschaftspolitik, nicht aber auf Parteipolitik hinaus. Man kann die Philosophie nicht aufheben, ohne sie zu begründen, sagt Marx. Man kann die Politik nicht aufheben, ohne sie zu begründen. Billigen Sie der Universität Distanz und Kritik zu!

(Auszug aus der Inaugurationsrede des Rektors der Universität Graz)

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