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Höchstens drei Prozent Unentschlossene

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Wenn sich der Sekundenzeiger der ORF-Studio-uhr am 6. Mai auf genau 17 Uhr schiebt, wird Statistik-Professor und Fernseh-Hochrechner Gerhart Bruckmann in wenigen Sekunden das sagen, was früher Gegenstand langer Wahlnächte war: Er wird wieder einmal mit respektgebietender Präzision das Wahlergebnis voraussagen.

Dreieinhalb Wochen vor diesem politischen „Tatort“ sind wir auf

Spekulationen angewiesen. Auszugehen ist bei all diesen Überlegungen stets davon, daß auf Grund der Organisationsdichte der Österreichischen Parteien und des historisch verwurzelten Lagerdenkens um den Hauptteil der Wahlberechtigten gar nicht erst gekämpft zu werden braucht: Ernst Gehmacher vom Meinungsforschungsinstitut IFES ist der Meinung, daß etwa zwei Drittel aller Wähler in ihrem ganzen bisherigen Leben immer die gleiche Partei gewählt haben.

Die Werbung der Parteien schränkt sich damit von vornherein auf höchstens ein Drittel der Wähler ein, wobei ein Teil dieses Drittels vermutlich nicht als Wechselwähler im engeren Sinne zu bezeichnen ist; viele Wähler, die ihre Wahlentscheidung ändern, tun dies nicht aus einer momentanen Empörung oder Begeisterung heraus, sondern auf Grund reiflicher Überlegung und mit dem Vorsatz, für einen längeren Zeitraum bei dieser Entscheidung zu bleiben.

Ein anderer Teil der nicht von vornherein Festgelegten besteht aus Wechselwählern, die je nach Entscheidungsebene (Gemeinde, Land oder Bund) die Liste wechseln, aus Wählern, die in der heimischen Parteien-Landschaft keinen festen Wohnsitz haben, so wie aus politischen Hasardeuren, die nach den ins Politische übertragenen Kriterien von der Wahl der ,M\ß Austria“ ihr Kreuzerl machen.

Nach Ansicht des angesehenen

Meinungsforschungs-Instituts Fessel sind derzeit nur noch zwei bis drei Prozent aller Wähler unentschlossen. Daher gilt auch für die Entscheidung vom 6. Mai: Der-weitaus überwiegende Teil aller Wähler hat sich schon während der Legislaturperiode festgelegt.

Für diese Gruppe gab es in der abgelaufenen Parlamentsperiode genügend Anhaltspunkte: Es gab eine Reihe gesellschaftsverän-dernder Maßnahmen (Familienpolitik), die vor allem bei Wählern mit religiösem Hintergrund auf Widerstand stießen. Es gab wirtschaftspolitische Maßnahmen, welche die Allmacht des Staates gestärkt, Subsidiarität und Freiheit des einzelnen geschwächt haben. Jene Wähler, für die Individualität mehr zählt als jede Art von Kollektiv, können sich daher an der Schuldenpolitik, den steuerlichen Maßnahmen und dem zunehmenden wirtschaftlichen Dirigismus orientieren. Für andere Wähler wiederum ist Österreichs Abschneiden in der Arbeitsplatzfrage oder der Preisstabilität im internationalen Vergleich ausschlaggebend.

Auch in anderen Bereichen (Kernkraft, Schulpolitik, Wohnungsbau, politischer Stil usw.) konnte sich der rational überlegende Wähler bis Ende 1978 ein präzises Bild machen.

Ist die Wahl also schon gelaufen, der „heiße“ Wahlkampf überflüssig?

Sicherlich nicht. Auf Grund unseres sehr ausgeprägten Verhältnis-Wahlsystems sind starke absolute Mehrheiten etwas kaum Denkbares. Auch derzeit verfügen die Sozialisten „nur“ über 93 Mandate - gegenüber 90 Oppositions-Mandaten (80 ÖVP, 10 FPÖ). Deshalb also spielen die zwei oder drei Prozent Unentschlossenen, um die es jetzt noch geht, eine so große Rolle.

Für diese zwei oder drei Prozent verkauft die SPÖ noch einmal Kreiskys staatsmännische Keckheiten, läßt die ÖVP Blumen erblühen, streicht Alexander Götz sein silbergraues Haar zurecht. '

Daß es im Wahlkampf kaum sachliche Auseinandersetzungen gibt, wird immer wieder bedauert. Dies liegt weniger an den Politikern und den Parteien als am eben skizzierten Umstand, daß eher sachlich entscheidende Wähler während der Gesetzgebungsperiode genügend Anhaltspunkte geliefert bekommen und sich daran auch orientieren.

Für sachliche Auseinandersetzungen finden die Parteien nach Auflösung des Parlaments kaum interessierte Zuhörer. Auch traditionelle Grundsätze, die für die Kernschichten sehr wichtig sind, stehen nicht im Vordergrund. Das tzeigt sich nicht zuletzt an den Wahlplattformen, die vorrangig auf noch Unentschlossene und Wechselwähler abzielen.

Die Themen, die in den letzten Wochen behandelt wurden, tauchten eher zufällig auf: Die Atom-Debatte, weil in Amerika ein Unglück passiert ist, die Diskussion über Höchstgehälter, weil ein im Glashaus sitzender Bank-General auf Kreisky einen Stein geworfen hat, die Debatte über die Fristenlösung, weil ÖVP-Frauenchefin Herta Haider der SPÖ-Propa-ganda offensichtlich in ihrer Nervosität auf den Leim gegangen ist. Freilich hat letzterer Punkt dazu geführt, den Wählern noch einmal bewußt zu machen, wer die Abtreibung unter welchen Umständen im Nationalrat durchgepeitscht hat.

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