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Höhenflug bei Abtreibungen Geburtenrate im Keller

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Seit genau zwei Jahren ist in Österreich die Schwangerschaftsunterbrechung in den ersten drei Monaten nach der Empfängnis erlaubt. Mittlerweile haben sich einige Punkte von selbst geklärt: Daß die Sozialisten nicht im entferntesten gewillt sind - trotz Abhaltung des bisher größten Volksbegehrens, jenes zur Revision des Fristenlösungs-Para- graphen zwecks Neufassung der Abtrei bungsbestimmungen in ernsthafte Verhandlungen zu treten. Daß die Geburtenrate auf den niedrigsten Wert in der Geschichte Österreichs abgesunken ist, was Statistiker- wenn auch nicht unwidersprochen - auf die Fristenlösung zurückführen. Und daß noch nie soviele Patientinnen mit der Diagnose „Fehlgeburt und Schwangerschaftsunterbrechung“ aus den Spitälern kamen.

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Seit genau zwei Jahren ist in Österreich die Schwangerschaftsunterbrechung in den ersten drei Monaten nach der Empfängnis erlaubt. Mittlerweile haben sich einige Punkte von selbst geklärt: Daß die Sozialisten nicht im entferntesten gewillt sind - trotz Abhaltung des bisher größten Volksbegehrens, jenes zur Revision des Fristenlösungs-Para- graphen zwecks Neufassung der Abtrei bungsbestimmungen in ernsthafte Verhandlungen zu treten. Daß die Geburtenrate auf den niedrigsten Wert in der Geschichte Österreichs abgesunken ist, was Statistiker- wenn auch nicht unwidersprochen - auf die Fristenlösung zurückführen. Und daß noch nie soviele Patientinnen mit der Diagnose „Fehlgeburt und Schwangerschaftsunterbrechung“ aus den Spitälern kamen.

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Dennoch schreiben sozialistische Zeitungen und Pressedienste, behaupten sozialistische Politiker: „Seit der Fristenlösung gehen die Abtreibungen zurück!“ Wie seriös diese Aussage ist, weiß man, wenn man bedenkt, daß die Sozialisten unter anderem den Namen Professor Hussleins als Beweis anbieten, obwohl Husslein energischest dementiert, jemals von einem Rückgang der Abtreibungen geredet zu haben, und wenn man bedenkt, daß an der Anstalt des SPÖ-Vorkämpfers für die Fristenlösung, Dr. Rockenschaub, der übrigens kürzlich?zum Dozenten avancierte, pro Monat mit rund 300 fast gleichviele Abtreibungen vorgenommen werden wie vor Einführung der Fristenlösung laut offizieller Statistik in allen von der Gemeinde Wien beaufsichtigten Spitälern zusammengenommen im ganzen Jahr.

Natürlich ist es ungemein schwer, ja eigentlich unmöglich, einen Gesamtüberblick über die Abtreibungsentwicklung seit Einführung der Fristenlösung zu geben, da das Gesetz keine Meldungspflicht für Schwanger- schaftsabbrüche vorsieht. Die restlos unhaltbare Behauptung, die Zahl der Abtreibungen sei zurückgegangen, läßt sich aber an Hand verschiedener Indikatoren widerlegen.

Wiener Anstalten: 8315 Abtreibungen

• Nach der vor der Reform erlaubten Indikations-Abtreibung wurden 1974 in sieben Wiener Anstalten (Rudolfsstiftung, Semmelweis-Fraue’nklinik, Wilhelminenspital, Lainz, Krankenhaus Floridsdorf und in zwei Universitätskliniken) 388 Schwangerschafts- abbrüche durchgeführt. 1975 gab es in den genannten Anstalten einschließlich des Hera-Sanatoriums und des Hanusch-Krankenhauses 8315 Abtreibungen. Quelle: Obersenatsrat Dr. Siebensohn, Leiter des Wiener Anstaltenamtes.

• Nach der KrankenbewegungsStatistik stieg die Zahl der entlassenen Patientinnen mit Diagnose „Fehlgeburt und Schwangerschaftsunterbrechung“ von 15.129 im Jahresdurchschnitt 1970 bis 1973 über 15.109 im Jahre 1974 auf 26.422 im Jahre 1975. Von der Zunahme um 11.313 Fälle entfielen 7626 allein auf Wien. Quelle: Statistische Nachrichten, 10/1976.

• Die Wirklichkeit im Bereich der Abtreibungen läßt auch ein Blick auf die Geburtenentwicklung erahnen. Hier fallt auf, daß im ersten Halbjahr 1975 gegenüber dem Vergleichsabschnitt des Vorjahres die Geburten um nur 0,9 Prozent (ehelich: 1,0; unehelich: 0,6) zurückgingen, während das zweite Halbjahr mit einem Geburtenminus von 6,7 Prozent einen ganz deutlichen Geburtenknick aufweist (die ehelichen Geburten gingen um 6,1 Prozent, die unehelichen sogar um 10,5 Prozent zurück).

Der Verfasser eines fundierten Beitrages in den Statistischen Nachrichten, Dr. Richard Gisser, weist ausdrücklich darauf hin, „daß der verstärkte Geburtenrückgang ab Jahresmitte 1975 eng mit der sechs Monate vorher in Kraft getretenen Fri: stenlösung Zusammenhängen dürfte“.

• Die aktuellsten statistischen Werte zeigen übrigens, daß der Geburtenrückgang als vermutliche Folge der Fristenlösung - es sei freilich betont: der Rückgang der Geburten hat viele Ursachen; eine davon ist die Fristenlösung - auch heuer ungebrochen anhält: Im September 1976 gab es in Österreich 7155 Geburten, im Sep tember des Vorjahres waren es noch 7962. Das heißt: Die Geburtenziffer ging neuerlich um 10,14 Prozent innerhalb Jahresfrist zurück.

Zahlenbeispiele allein sind natürlich immer mit Vorsicht zu genießen. Denn vor Einführung der Fristenlösung gab es unbestritten eine sehr große Dunkelziffer von Abtreibungen im Dunkeln, während dafür heute die Zahl der Abtreibungen im Halbdunkel rasant zu steigen scheint - oder seit 1. Jänner 1975 gestiegen ist. Auch Obersenatsrat Siebensohn bestätigt, seit Einführung der Fristenlösung seien Dutzende „Abtreibungs-Unternehmungen“ gewissermaßen wie Schwammerln aus dem Boden geschossen.

Für jeden Arzt erschwinglich…

Dazu kommt noch, daß die zumeist praktizierte Saug-Küretage ein Eingriff ist, der ambulant auch in jeder Privatordination vorgenommen werden kann. Die Einrichtung dafür kommt auf rund 50.000 Schilling, ein Posten also, den jeder Arzt für Steuer-Abschreibungszwecke brauchen kann. Die Behauptung, die Zahl der Abtreibungen sei seit der Fristenlösung zurückgegangen, scheint einem Traumbüchl entnommen zu sein, dem eigentlich längst das Lebenslichtlein ausgeblasen sein sollte.

Nach den Recherchen der „Aktion Leben“ präsentiert sich die Lage in den Bundesländern recht differenziert: In den SPÖ-regierten Ländern Wien, Burgenland und Kärnten gab es kaum Schwierigkeiten mit der Durchführung von Schwangerschaftsunterbrechungen, in Oberösterreich gibt es mittlerweüe drei Spitäler. Die Grazer Universitätsfrauenklinik hat sich nach dem jüngsten Chef-Wechsel ebenfalls mit der Fristenlösung angefreundet.

Der Meinungsterror in Sachen Fristenlösung scheint sich übrigens nur zu verstärken. Der der SPÖ nahestehende Linzer Arzt Dr. Meixner beispielsweise sollte vor dem Sonderausschuß des Parlaments über seine Erfahrungen berichten (auf Wunsch der ÖVP, die von Meixners Fristenlö- sungs-Gegnerschaft wußte). Im letzten Moment lehnte Meixner jedoch jede Stellungnahme ab. Lückenlos aber funktioniert das System offenbar nur in Wien, wo - angeblich - kein Arzt gegen die Fristenlösung sein darf, weü ihm sonst die Krankenkassen entzogen werden (was freilich im selben

Atemzug dementiert werden muß, weil ja nichts beweisbar ist - was ist schon beweisbar?), wo keine Operationsschwester den Mund aufmachen darf, weil sie um ihre Stelle bangen muß.

Einer der zahlreichen wunden Punkte in der Fristenlösung ist zweifellos auch, daß die Beratungsstellen nicht als Beratungsstellen, sondern höchstens als Anmeldeschalter fungieren. Freilich werden auch manchmal Ratschläge erteilt, und es gibt nicht wenige tüchtige Fürsorgerinnen, die sich dieser Mühe unterziehen. Aber: Spezielle Hilfen, abgesehen von frommen Worten, sind bei den Beratungsstellen für Abtreibungs-Interessentinnen nicht vorgesehen.

Zu den Hauptargumenten der Sozialisten zählt übrigens auch, daß nach der Fristenlösung nun die Frau endlich „frei von Druck“ sei und gänzlich allein entscheiden könne. Renata Erich von der „Aktion Leben“ sieht die Sache umgekehrt: „Gerade die Fristenlösung setzt die Frauen unter Druck. Die Frau, die nicht abtreiben lassen will, muß sich oft gegen ihre ganze Verwandtschaft durchsetzen.“

Nicht selten ist es der Fall, so erzählen manche Fürsorgerinnen, daß Schulkinder (rund 10 Prozent der Abtreibungen werden an Mädchen unter 18 vorgenommen) mit ihrer Mutter zu den Beratungsstellen kommen, wobei gerade die Mutter zur Abtreibung drängt. So ist auch zu erklären, daß etwa im Burgenland im zweiten Halbjahr 1975 die Anzahl der unehelichen Geburten um über 24 Prozent zurückging. Häufig wird auch von echten Wohlstandsabtreibungen berichtet, von Eltern, denen ein Flug nach Teneriffa vor dem Wunsch nach einem Kind rangiert.

Aktion Leben: Motivenerhebung

Renata Erich gelobt vorerst, solange nicht zu ruhen, bis eine Motivenunter- suchung über die Abtreibungsmotive vorliegt. Denn, so argumentiert sie, die fünf Hauptargumente der SPÖ für die Fristenlösung - Kostenfrage, Gesundheit der Frau, keine Dunkelziffer, Entscheidungsfreiheit, Beratung ohne Angst - seien bis heute gänzlich unerfüllt. „Daß die Anzahl der Abtreibungen seit 1975, seit Abtreibungen generell ermöglicht wurden, zurückgegangen sei, das ist eine brüllende Unlogik!“

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