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Höheres ist Männersache

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Ein Seminar über Grundfragen philosophischer Frauenforschung, abgehalten von Cornelia Klinger, wird verinnerlichte Unterdrückungsmechanismen durchleuchten.

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Ein Seminar über Grundfragen philosophischer Frauenforschung, abgehalten von Cornelia Klinger, wird verinnerlichte Unterdrückungsmechanismen durchleuchten.

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„Vom Fehlen des Wortes männlich kann keine Absicht, Frauen einzuschließen, abgeleitet werden.“ Mit dieser Begründung verwehrte man 1932 in Massachusetts einer Frau den Zutritt zu einem juridischen Amt.

Eine Diskrepanz zwischen formaler Gleichberechtigung der Frau und deren realer Diskriminierung hat es immer gegeben. In vielen Bereichen besteht sie noch heute. Gerade die Wissenschaft, die vorgibt, alles Subjektive eliminiert zu haben, ist Männersache. Den wenigen unermüdlichen, forschenden, dichtenden und malenden weiblichen Wesen war meist ein jämmerliches Dasein im Schatten männlicher Expertenschaft gegönnt. Kein Wunder, daß die Ausgrabungsarbeiten nach vergessenen Frauen im Zuge der Frauenforschung in Kunst und Wissenschaft ein blühender Zweig sind.

Nicht einmal die über soziale und historische Bedingungen erhabene Philosophie ist ein geschlechtsneutrales Geschäft. Der Ausschluß von Frauen hat gerade hier gründlich funktioniert. Cornelia Klinger vom Institut der Wissenschaft vom Menschen wird dies im Seminar „Grundfragen philosophischer Frauenforschung“ an der Wiener Universität vor Augen führen.

So irrt man gewaltig, wenn man Kants kategorischen Imperativ für ein allgemeingültiges Prinzip hält, das über jeden geschlechtsspezifischen Zweifel erhaben sei. Anhand der kleineren anthropologischen Schriften Kants führt Cornelia Klinger den Nachweis, daß Frauen in den Augen Kants zwar über das Schöne urteilen konnten, zu moralischem Handeln jedoch kaum fähig seien.

Gleichstellungstendenzen gab es erstmals so richtig in der Aufklärung - und natürlich auch Frauen, die gleiches Recht für sich beansprucht haben. Diese Prinzipien haben bei der Mehrzahl der Aufklärer selbst freilich nicht Fuß gefaßt. Die pädagogischen Ideen Rousseaus in „Emile“ entsprechen genau der traditionellen Weitsicht, was das Frauenbild anbelangt. Neue, noch krassere Geschlechterpolarisierungen werden Ende des 18. Jahrhunderts anders begründet: anthropologisch und psychologisch.

Dieser „Verinnerlichungspro-zeß“, der bereits richtungweisend für unsere moderne Geschlechterdifferenzierung ist, wird im Rahmen der Veranstaltungen analysiert werden.

In Wissenschaft, Kunst und Politik scheint es, allen gegenteiligen Meinungen zum Trotz, keine geschlechtsneutralen Normen zu geben. Das Männliche wird zum Objektivierten, zum Menschlichen schlechthin. Mit dem Stigma der Ohnmacht behaftet, bleibt Frauen der Zugang zu den wahren Erkenntnissen meist sozial verwehrt. Der Mann ist nur in bestimmten Augenblicken Mann, während eine Frau immer auf ihr Frausein reduziert bleibt. Abseits vom Kleinkram des Alltags und Familienlebens legen Männer ihre geschlechtsspezifische Rolle ab, um sich mit voller Konzentration in das Wesentliche, das Erhabene zu versenken, während sie dazu prädestiniert ist, ihre Fähigkeiten im häuslichen Dienstleistungsbetrieb zu entfalten.

Fühlt sich eine Frau berufen, männliches Terrain zu erobern, ist es meist eine Gratwanderung zwischen Eigenständigkeit und Anpassung. Auf akademischem Boden kann gerade bei ihr jedes Beharren auf Standpunkten karrierefeindlich wirken. Weiblicher Erfolg hat oft mit Können und Talent wenig gemein, sondern wird wiederum auf das Geschlecht reduziert.

Ob es denn nun ein weibliches Denken gibt, welchen Geschlechts der Ursprung der Erkenntnis sei, ist eine vieldiskutierte Frage, über die es verschiedenste Auffassungen gibt. Die Antwort scheitert eben bereits daran, daß

wissenschaftliches Denken bisher eine männliche Prägung hatte und sämtliche Vorstellungen über weibliches Denken männlich besetzt sind. Einerseits gibt es innerhalb der Wissenschaft geschlechtsneutrale Werte, Erkenntnisse und Normen. Wer würde leugnen, daß „3x3 = 9“ für Mann und Frau gültig ist? Andererseits ist unbestreitbar, daß vieles nicht so wertfrei und geschlechtsneutral ist, wie es scheint.

„Als männliches Geschäft ist Wissenschaft in ihren Inhalten und Methoden geprägt, was für die Ergebnisse nicht folgenlos sein kann. Welche Richtung die Wissenschaft geht, hängt mit der Ausrichtung des Blickes zusammen — und dieser war bisher der männliche“, formuliert Cornelia Klinger. Kreativität ist auch abhängig von Projektionen und Wünschen, die der eigenen Person verpflichtet sind.

Es ist klar, daß eine Befreiung der Geschlechter aus ihren sozial und kulturell festgelegten Rollen nicht so schnell vonstatten geht. Frauen müssen jedoch einen Raum beanspruchen können, in dem sie noch etwas über ihr Geschlecht hinaus sein dürfen und sozusagen als geschlechtsneutrale, eigenständige Personen anerkannt werden. Dabei geht es in den Wissenschaften nicht um Anpassung an Vorrechte und Lebensweisen, sondern um Einfluß und Mitwirkung in allen wissenschaftlichen Bereichen. Wenn diese Hürden der Rollenverteilung und Geschlechterpolarisie-rung wegfallen, wird man in einigen Jahrhunderten vielleicht feststellen, daß „weibliche Wissenschaft“ ganz andere Wege gegangen ist.

Cornelia Klinger, „gelernte Philosophin“, meint, daß Frauen gerade in der Philosophie — wo sie heute einen besonders schweren Stand haben — eine viel größere Rolle spielen sollten.

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