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Hoffen auf den Geist

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„Das Evangelium muß heute in einer Welt verkündet werden, in der einer von vier Menschen ein Chinese ist, zwei von drei Menschen Hunger leiden, einer von dreien unter atheistischer Herrschaft lebt und ein Christ von zweien kein Katholik ist. Das Evangelium muß verkündet werden in einer Welt, wo*die Kräfte der Hoffnung und der übersteigerten Bedürfnisse Gefahrlaufen, ihre Befriedigung allein in dem von der Technik gewährleisteten Komfort zu suchen.“

Diese knappe Zeitdiagnose, vom französischen Dominikaner Yves Congar vor allem zum Gebrauch für Christen formuliert, nennt die großen Probleme, die heute die Globalzonen Westen, Osten und Süden und ihr Verhältnis zueinander bestimmen: Hunger, Rassenkonflikte, Verfolgung von Menschen wegen ihrer religiösen oder sonstigen Überzeugungen, imbewältigter Wohlstand als Vorrang des Habens gegenüber dem Sein.

Vor solchem Hintergrund drängt sich die überkommene Rede von „geistlosen Zuständen“ auf. Religion sei der „Geist“ solcher Zustände, meinte Karl Marx geringschätzig. Wo man aber in seinem Gefolge Religion bekämpft oder abschafft, hört der „Seufzer der bedrängten Kreatur“ inmitten einer als herzlos empfundenen Welt dennoch nicht auf.

Den Christen - zumindest jenen, die Nachfolge Christi ernsthaft versuchen - geraten solche geistlosen Zustände allemal zur Frage nach dem Geist, zur Bitte unj ihn, zur Bereitschaft, seiner gestaltenden Kraft ihre intellektuellen und moralischen Reserven zu überlassen. Gemeint ist der Heilige Geist. Christlicher Glaube sieht ihn von jeher am Werk: Schwebend über dem Urchaos am Morgen der Schöpfung, redend aus den Propheten und wirksam auch außerhalb Israels und der Kirche, weil Gottes Liebe an den Grenzen der von ihm erwählten Gemeinschaft nicht aufhört. Endgültig gegeben ist dieser Geist in Welt und Geschichte hinein um der Selbstentäußerung Jesu willen. So wurde er offenbar an Pfingsten in Jerusalem, als er wie springendes Feuer auf die Ur- gemeinde fiel und Menschen aus vielen Völkern und Sprachen befähigte, einander zu verstehen.

„Veni Creator Spiritus“ singen die Christen seit mehr als tausend Jahren: „Komm Heiliger Geist, du, schöpferisch!“ Sie rufen so zu Pfingsten, zur Eröffnung von Konzilien und Synoden, bei der Erteilung von Weihen und auch dann, wenn sie erschrocken erfahren, daß sie Gottes Geist betrübt oder ausgelöscht haben.

Vielgestaltig sind die Gaben dieses Geistes und entsprechen so dem jederzeit vielgestaltigen Mangel. Eine dieser Gaben ist unbequem, wird da- herkaum erbeten. Es ist der Weg in die Wüste, in die Vereinzelung, ins

Schweigen. Jesus hat diese Gabe angenommen. Bevor er anfangt öffentlich zu reden - umlagert, bedrängt, betastet von Menschen, die verirrten Schafen gleichen -, treibt ihn der Geist in die Wüste, in die Fastenzeit vierzigtägiger Versuchung. Und lange vorher hatte der Prophet Oseas dem Volk Israel einen Gottesspruch mitgeteilt: „Siehe, ich will dich verlocken und in die Wüste führen. Da werde ich dir zu Herzen reden!“

Auch in unserer Epoche, die - nach einem Wort von Manös Sperber - als redseligste von allen sich unaufhörlich äußert und sich dennoch nicht zu Wort bringt, treibt der Geist einzelne Christen und die Christenheit ganzer Länder in die Wüste, in das aufgezwungene Schweigen. Für sie mag gelten, was Reiner Kunze kürzlich von sich gesagt hat: „Ich muß schweigen, damit das Wort in mir wachse.“ Im verborgenen wächst ein neues Wort. Zu seiner Zeit wird man es hören.

„Du, der die Zungen reden macht!“ So ruft der Pfingsthymnus der Kirche den Geist an. Der Geist treibt nicht nur in die Wüste, er führt auch wieder heraus. Er bindet die Zunge und löst sie auch, überwindet Sprachnot und Sprachgrenzen, wirkt verzücktes Reden und prophetischen Aufschrei.

Als der Papst Johannes zu Beginn des jüngsten Konzils diesen Hymnus anstimmte, erhoffte er für Kirche und Welt ein neues Pfingsten. Und entgegen einer hier und heute herrschenden öffentlichen Meinung hat sich diese Hoffnung bei und nach dem Konzil auf mancherlei Weise erfüllt: Die getrennten Kirchen gehen nach jahrhundertelang konstanter Distanz aufeinander zu und dies nicht nur an der Basis. In nicht wenigen Ländern gibt es geistgewirkte Aufbrücke, fungieren einzelne Christen und Kirche im ganzen als öffentliches Gewissen, prägt sich eine neue religiöse Sprache aus, die aufhorchen läßt und verwandelnde Kraft hat, vermag Glaube neuerlich Kultur zu inspirieren, gibt es christliche Dichtung. Solches begibt sich in Lateinamerika, aber auch in Spanien und in Polen. „Gott lebt bei den Polen. Polens Kirche hat sich nie auf dem prallen Kissen kathoüscher Gläubigkeit ausgeruht. Die Priester kämpfen um jede verlorene Seele. Auf seine polnischen Jünger kann Er wohlgefällig herabschauen.“ Dies las man vor kurzem und nicht ohne Staunen im Magazin der Hamburger „Zeit“.

Wo ist Geist? Auf Österreich bezogen, gilt diese Frage vor allem jenen Menschen, die in diesem Land künstlerisch, pädagogisch oder politisch tätig sind. Als Frage nach dem Heiligen Geist aber trifft sie die Christen: Wo ist Heiliger Geist? Antwort gibt das tausendfache christliche Zeugnis einzelner und kleiner Gruppen - erkennbar mindestens auf den zweiten Blick und von manchen Medien nach Kräften totgeschwiegen. Diese Träger wenig auffallender Gaben wie Güte, Geduld und Friedfertigkeit gehören zur gar nicht so geheimen Essenz jener Volkskirche, deren „Gesundprügelung“ von einigen Gebildeten unter ihren Verächtern mit Eifer betrieben wird. Sie, die Gar-Nicht-Auswahlchristen, stützen den Glaubensversuch vieler Kirchenmitglieder in Österreich, denen Adolf Holls diagnostische Formel „traditionell gottlos“ nicht gerecht wird. Sollte man nicht glauben dürfen, daß die entschiedenen, dem Zeitgeist- sofern sie ihn als Ungeist erkennen - trotzenden Christen hierzulande nicht Nachhut einer entschwindenden Gesellschaft sind, sondern eine Vorhut: der „neue Mensch“, den Verächter des Christentums seit langem verheißen, aber nicht zum Vorschein gebracht haben?

Jene, die sich von Gottes Geist leiten und ihn anrufen - „Veni Creator Spiritus“ - erhoffen als seine Gabe auch die Allianz mit Menschen, die (noch?) nicht glauben können, aber unablässig Geist, Sinn suchen. Es wäre eine Allianz des Geistes gegen sich ausbreitende geistlose Zustände: Furcht, Aggression und Gleichgültigkeit.

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