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Hoffen statt rüsten

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Zwei Wortmeldungen zum Thema Frieden: Der Erzbischof von Seattle, engagierter Gegner der Atomrüstung, sowie eine exilierte russische Bürgerrechtskämpferin.

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Zwei Wortmeldungen zum Thema Frieden: Der Erzbischof von Seattle, engagierter Gegner der Atomrüstung, sowie eine exilierte russische Bürgerrechtskämpferin.

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Eine persönliche Antwort auf die Friedensfrage ist die Entscheidung für ein Leben der Gewaltfreiheit. Diese Lebensform kommt aus der innersten Mitte des Evangeliums, ihr Vorbild ist Jesus. Es geht nicht nur um Vermeidung von Krieg und ein Moratorium für Atomwaffen, sondern darum, uns selbst zu entblößen von Worten, die verwunden; von Macht und Privilegien, die beherrschen und ausbeuten; und von einer Habgier, die von den Gütern der Erde den Löwenanteil an sich reißt.

Es ist nicht zu leugnen, daß jeder gewaltlose Prozeß seine eigene Art von Leiden und selbst Tod bringt. Das Unterscheidende gegenüber jenem Leiden und jenem

Tod, die der Krieg verursacht, ist, daß es aus dem Nein zum Töten anderer entsteht. John McKenzie, der amerikanische Bibelwissenschafter, sagte: „... wenn Jesus uns überhaupt etwas gelehrt hat, so war es zu sterben, nicht zu töten.“

Verweigerung des Tötens, Entwaffnung für den Frieden, schafft eine verwandelnde, gewaltlose Macht — allerdings um den Preis des Leidens, einem Leiden aus Liebe.

Der Preis für den Frieden ist nicht weniger hoch als jener für den Krieg. Wenn wir Frieden wollen, müssen wir bereit sein, dafür zu leiden und vielleicht zu sterben — aus Liebe zu unseren Brüdern und Schwestern ...

Persönlicher Einsatz für den Frieden bedeutet auch Eintreten für die Heiligkeit des Lebens, nicht nur für das Leben der ganzen Menschheits-Familie, sondern für die Heiligkeit jedes einzelnen Menschen. Alle Friedensfragen sind verknüpft in der Achtung jedes menschlichen Lebens. „Du sollst nicht töten“, lehrt uns die jüdisch-christliche Tradition — mag die Gewalt noch so „zivilisiert" sein. Weil jeder von uns nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, ist menschliches Leben heilig. Jesus nahm lieber seinen Tod am Kreuz auf sich, als seinen Jüngern zu erlauben, das Schwert zu nehmen und zu seiner Verteidigung zu töten ...

Vom moralischen Standpunkt aus, von dem, was wir in unserer Tradition als „Naturrecht“ bezeichne, ist es ganz klar für unser aller Herz und Sinn, daß wir kein Recht haben, anderen das Leben zu nehmen. Leben — in all seinen Phasen und all seinen Formen — ist heilig.

Ich gebe zu, daß wir Christen für ungeheuerliche Verletzungen dieser selbstverständlichen Wahrheit verantwortlich waren. Die Wahrheit, daß wir die Heiligkeit menschlichen Lebens achten müssen, gehört zum innersten Kern unseres Glaubens, wie er uns durch Leben, Tod und Auferstehung Jesu vermittelt ist.

Die Heiligkeit menschlichen Lebens ist eine Wahrheit, von der ich glaube, daß sie in unser aller Herzen eingegraben ist, allerdings verdunkelt durch Jahre unkritischer Annahme der Kriegspropaganda, durch gesellschaftliche Anpassung wie das Gesetz über Schwangerschaftsunterbrechung, durch die Zunahme von Kindestötung und aktiver Euthanasie.

Viele praktizieren heute in unserem Land eine Art selektiven Respekt für das Leben: Die einen sehen den Irrsinn des Krieges, sind aber blind für die systematische Zerstörung des Lebens der Ungeborenen; andere sind entsetzt über die Abtreibung, finden jedoch ihre Sicherheit in der möglichen Zerstörung von Millionen von Menschen durch die Verwendung atomarer Waffen.

Wie können wir als Nation erwarten, daß unser Schrei nach Frieden in den Augen der Welt glaubwürdig sei, wenn wir diese schizophrene moralische Haltung aufrechterhalten?

Eine persönliche Antwort zum Thema Frieden ist auch das Vertrauen. In seiner großen Enzyklika „Pacem in terris“ sagt Papst JohannesXXIII.,daß „das oberste Gesetz, worauf der Friede sich heute stützt“, nämlich das Gleichgewicht der Rüstungen, nach und nach durch ein anderes ersetzt werden kann, „wonach der wahre Friede unter den Völkern nicht durch die Gleichheit der militärischen Rüstung, sondern nur durch gegenseitiges Vertrauen fest und sicher bestehen kann.“

Abrüstung und Frieden werden in dem Maße möglich, als wir lernen, Schritt für Schritt, vom Vertrauen auf das Gleichgewicht oder die Überlegenheit der Waffen fortzuschreiten zu einem Prozeß des alleinigen gegenseitigen Vertrauens. ..

Und schließlich ist eine persönliche Antwort auf die Herausforderung des Friedens die Bereitschaft, Zeugnis zu geben für Glaube, Hoffnung und Liebe, wofür Christus ein für allemal das Beispiel gegeben hat.

Aus: WIDER DIE TÖDLICHE SICHERHEIT. Katholische Sozialakademie Oster- reichs (Hrsg.), mit Beiträgen von Raymond G. Hunthausen, Herwig Büchele SJ und Raymund Schwager SJ, Wien 1983, 87 Seiten, öS 20,-.

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