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Hoffen und Bangen

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Am 18. Jänner wird US-Außenminister George Shultz seinem sowjetischen Amtskollegen Andrej Gromyko in Stockholm die Hand schütteln. Diese Geste wird in einer Welt ständig wachsender Spannungen gebührend vermerkt werden. Uberschätzen darf man sie nicht: In einem US-Wahljahr sind keine substantiellen Kurskorrekturen zu erwarten.

Natürlich hat US-Präsident Ronald Reagan in seiner großen Rede am 16. Jänner behauptet, daß eine solche Korrektur nicht nötig sei und er auch immer auf eine wirksame Rüstungskontrolle hingearbeitet habe, aber von einer Position der Stärke aus darüber verhandeln wollte.

Uber seine Taktik gehen die Meinungen auseinander. Tatsache aber ist, daß der Kongreß die finanziellen und Reagan nun auch die politischen Weichen gestellt hat.

Vorläufig freilich sind alle Verhandlungen über eine Beschränkung von Lang- und Mittelstrek-kenraketen (beide in Genf geführt) sowie von konventionellen Streitkräften in Mitteleuropa (Wiener Truppenabbaugespräche) einmal unterbrochen.

Die diese Woche in Stockholm beginnende Konferenz über Abrüstung in Europa, ein „Kind" des Madrider Nachfolgetreffens der Europäischen Sicherheitskonferenz, ist derzeit die einzige Plattform eines West-Ost-Gesprächs über Rüstungskontrolle. t

Präsident Reagan hatte den US-Chefunterhändler James Goodby knapp vor Konferenzbeginn noch zu einer Goodwill-Tour nach Westeuropa geschickt. Auch in Wien beteuerte Botschafter Goodby die Ernsthaftigkeit seines Regierungsauftrags und die „echte Chance", die man hätte, falls die Sowjets nicht einen „Propagandazirkus" daraus machten.

Aber auch er warnte vor unrealistischen Erwartungen: Frühestens nach der zweiten Verhandlungsrunde Ende Juni werde man sehen, wie der Hase läuft, und wohl erst 1986 sei eine Zwischenbilanz möglich; auch gehe es in Stockholm vor allem um vertrauenbildende Maßnahmen, nicht um politische Entscheidungen.

Immerhin: ein Hoffnungsschimmer in einer Zeit wachsender Militärpotentiale: Die 26.000 atomaren Sprengköpfe der USA werden, wenn die jetzige Entwicklung anhält, bis 1990 auf rund 29.000 anwachsen, prophezeit eine private US-Studie. 1967 war der bisherige Rekord mit 32.000 Sprengköpfen erreicht, zwischen 1978 und 1982 aber eine degressive Stabilisierung um 25.000 erzielt gewesen.

Es geht also wieder „aufwärts", auch wenn die NATO jetzt mit jeder neuen Pershing-Rakete und jedem Marschflugkörper eine ältere Waffe dieser Art abzieht, während die Sowjets im letzten Monat neun neue SS-20-Raketen mit 27 Atomsprengköpfen im Westen der UdSSR postiert haben.

Im Bereich der Rüstungskontrolle bleiben Geduld, starke Nerven und Phantasie unentbehrliches Marschgepäck. Für eine Entschärfung der Lage in Mittelamerika wäre im Moment vor allem Mut zum Ausbrechen aus eingefahrenen Geleisen vonnöten.

Die Contadora-Gruppe der vier lateinamerikanischen Vermittlermächte (Mexiko, Venezuela, Kolumbien, Panama) hat mehr davon gezeigt als das von Präsident Reagan eingesetzte Zweiparteienforum unter Vorsitz von ExAußenminister Henry Kissinger, der am 11. Jänner den Schlußrapport im Weißen Haus präsentierte.

Positiv daran ist, daß dieser den wirtschaftlich-sozialen Wurzelgrund des mittelamerikanischen Konfliktherdes klar anspricht und für die nächsten fünf Jahre acht Milliarden Dollar US-Hilfe zur Förderung von Reformen empfiehlt.

Phantasielos ist das Insistieren auf einem Vorrang der Militärhilfe, die für El Salvador und Honduras gesteigert, für Guatemala neu aufgenommen wird.

Begründet und realistisch ist die Kissinger-Analyse, daß die Sowjetunion versucht, nach Kuba auch Nikaragua zu einem Werkzeug seiner Expansionspolitik zu machen. Unrealistisch ist der Weg, den Kissinger anrät, um das zu verhindern: Nikaragua vorläufig keinerlei Wirtschaftshilfe zu gewähren und weiter die Konterrevolutionäre zu fördern, um durch sie Druck auf die Sandini-sten auszuüben.

Aber eine Liberalisierung erreicht man nicht, indem man das Volk zusammenschießen läßt. Je mehr man Nikaragua isoliert, um so mehr treibt man es Moskau in die Arme. Die Kissinger-Empfehlung stellt außerdem eine Mißachtung des Contadora-Pro-gramms an, das eine Entmilitari-sierung Mittelamerikas vorsieht.

Mit gutem Grund hat auch Erz-bischof Arturo Rivera y Damas von San Salvador die Dominanz der Militärhilfe kritisiert.

Diese Dominanz zeigt ebenso wie Kissingers Minderheitsvotum gegen die Mehrheitsforderung, El Salvador müsse seine Menschenrechtsbilanz jährlich nachweisen, daß der Friedensnobelpreisträger auch anderes im Kopf hat: Er biedert sich als Außenminister einer Regierung Reagan II an.

Opportunist ist Henry immer schon gewesen. Aber er soll sein Papier dann wenigstens nicht unter dem hochtrabenden Titel „Neue Allianz für Demokratie und Wohlstand" verkaufen.

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