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Hoffnung auf Bildung

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Was ist der Mensch? Er begann als Artgenossenschlächter, sagen heute manche Forscher. Also keine Hoffnung auf Höherentwicklung? Eine mögliche Antwort: Gerade deshalb!

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Was ist der Mensch? Er begann als Artgenossenschlächter, sagen heute manche Forscher. Also keine Hoffnung auf Höherentwicklung? Eine mögliche Antwort: Gerade deshalb!

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Zunächst schafft uns das evolutionäre Menschenbild Versöhnlichkeit. Wir könnten das Schisma, den idealistisch-materialistischen Widerspruch unserer Kultur, schlichten.1

Das bedeutet nicht nur das Ende einer akademischen Kontroverse von beträchtlichem Alter. Das bedeutet mit der Wahrnehmung eines bloß kognitiven Dualismus eine neue Einheit der Natur der Dinge. Weder kann das Lebendige allein als Chemismus verstanden

Von RUPERT RIEDL werden noch als bloßer Diener des Geistigen.

Das bedeutet eine Einheit von Leib und Seele, die Bestätigung unseres zutiefst menschlichen Erlebens, daß mein Mitmensch so eins ist wie ich selber.

Wir versöhnen Empirismus und Rationalismus. Und auch hinter dieser dem Alltag verborgenen Kontroverse verbirgt sich da der Tabularasa-Standpunkt, dort der Präformismus, welche beide den Menschen als Selbstgewordenes, Selbstverantwortliches nicht enthalten können.

Wir verstehen nun auch das Wesen des Schöpferischen als die alleinige Möglichkeit wie auch das Risiko des Individuums. Ob genetische oder kulturelle Mutante: Es ist immer die alleinstehende Individualität, welche die Kreation zu wagen und zu tragen hat.

Die Population, die mit Hilfe dieser Neuschöpfungen überlebt, ist nur das konservative, kontrollierende Prinzip. Und wir wissen, daß es ohne Hilfe des Zufalls und ohne den gewagten Schritt ins Ungewisse, ohne Transzendenz ins Metaphysische nichts schafft. So anerkennen wir auch die Metaphysik als einen notwendigen Antrieb alles Menschlichen — aber als ungeeigneten Führer.

Als zweites lehrt uns diese neue Einsicht Bescheidenheit. Entgegen den Lehren der Aufklärung, mit welchen man noch heute meint, daß das Wissen unbegrenzt, alles machbar und die Menschheit dadurch ihrer Mühseligkeiten zu entheben wäre, lehren wir ,eine Abklärung.

Sie beruht auf der Einsicht, daß wir Menschen, von der genetischen Evolution im Stiche gelassen, nun deren Zauberlehrling geworden sind. Daß wir die begrenzten Möglichkeiten unserer Wahrnehmung überrannt haben; daß uns durch eine unbegrenzte Extrapolation des im kleinen Kreise des Menschlichen noch Zutreffenden eine Welt passiert ist, die von menschlichen Maßen nicht mehr ist___

Wir müssen lernen, daß wir Verantwortungen nicht fortdelegieren können, wenn vermieden werden soll, daß die willkürlichsten Entscheidungen unwiderruflich über uns hereinbrechen.

Die Bescheidenheit der Abklärung muß uns die Beschränktheit unserer unabwerfbaren kreatür-lichen Ausstattung lehren, damit aber auch den Anspruch, auf einer Welt und auf einer Gesellschaft nach unseren bescheidenen Maßen zu bestehen: einer Welt nach den erblichen Rechten aller Menschen, Schutz und Verständnis, Liebe und Sinn gleichermaßen empfangen wie geben zu können, nun aber als ein objektiv bestimmbares Erbrecht, jenseits aller Doktrin und Ideologie.

Als drittes lehrt uns dieses evolutionäre Menschenbild unsere Hoffnung. Denn was wäre auch mit einem vertieften Verständnis unserer Herkunft gewonnen, erlaubte es nicht einen vertieften Blick in unsere Zukunft?

Genetisch waren bislang noch drei unserer achtzig Organsysteme in evolutiver Entwicklung: Großhirn, Kehlkopf und Hand. Die Weiterbildung von Verstand, Gespräch und Fertigkeit mag sich fortsetzen.

Entscheidend aber wird unsere geistige Entwicklung sein. Unsere eigene Ausstattung kritisch zu sehen, ist selbst ein möglicher Schritt der Evolution geworden. Heute noch nicht mehr als eine kulturelle Mutation, wird es sich zeigen, ob unsere Population daraus Nutzen wird ziehen können ... i

So muß es der Sinn unseres Handelns sein, das menschliche Wesen zu erhalten und die Entfaltung des Menschlichen zu fördern, allem menschlichen und kulturellen Parasitismus zum Trotze, aller kollektiver Unvernunft und Unmenschlichkeit entgegen.

Dies alles durchzusetzen, wird eine Sache der Bildung sein, deren Fortschreiten wieder ein Teil dieser Evolution sein kann.

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