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HOFFNUNG AUF FÖDERALISTISCHES EUROPA

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Südtirols italienischer Landeshauptmannstellvertreter Remo Ferretti steht unter Korruptionsverdacht und ist zurückgetreten. Die Lega Nord fischt auch unter den Italienern Südtirols. Momentan sieht Landeshauptmann Durnwalder keine Gefahr für die Einheit Italiens.

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Südtirols italienischer Landeshauptmannstellvertreter Remo Ferretti steht unter Korruptionsverdacht und ist zurückgetreten. Die Lega Nord fischt auch unter den Italienern Südtirols. Momentan sieht Landeshauptmann Durnwalder keine Gefahr für die Einheit Italiens.

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FURCHE: Hat die Tatsache, daß sich die „ separatistische ” Lega Nord großen Zulaufes erfreut, konkrete Auswirkungen auf Ihre „Außenpolitik”?

LANDESHAUPTMANN LUIS DURNWALDER: Wohl keine. Tatsache ist, daß wir bestrebt sind, mit dem deutschen Sprachraum und ganz besonders mit Österreich zusammenzuarbeiten, und diesbezüglich hat die Lega eigentlich keine direkten Aussagen gemacht. Wir haben aufgrund des Autonomiestatutes genaue Zuständigkeiten, die wir recht eigenständig verwalten können. Die Lega Nord will im Grunde genommen nichts anderes, als daß auch die anderen italienischen Regionen Italiens mehr oder weniger diese Zuständigkeiten bekommen, daß der zentralisti-sche Staat in einen föderalistischen Bundesstaat umgewandelt wird. So gesehen können wir sagen, daß ihre Politik in die Richtung geht, die wir bereits seit langem eingeschlagen haben. Wir werden uns in unserer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit deshalb von der Politik der Lega in keiner Weise beeinflussen lassen.

FURCHE: Stellt ßr Sie die Lega-Bewegung eine echte Gefahr für den italienischen Staat dar, droht eine Spaltung?

DURNWALDER: Ich glaube nicht, daß die Lega-Bewegung so stark werden kann, daß sie den Staat in mehrere Teile aufspalten kann. Wohl aber wird die Politik der Lega dazu beitragen, daß Rom Zuständigkeiten auf die einzelnen Regionen übertragen muß, aber nicht in der Form, daß Italien in mehrere Kleinstaaten zerfällt.

FURCHE: Welche Vorstellungen entwickelt die Lega in Richtung Südtirol?

DURNWALDER: Leider sind diese Vorstellungen noch nicht ganz klar. Ich habe aufgrund der jüngsten Äußerungen von bestimmten Lega-Expo-nenten den Eindruck, daß die Lega in Südtirol vor allem in den italienischen Wählerschichten Stimmen holen will, insbesondere im rechten Lager, in der starken Wählerschaft des neufaschistischen MSI. Die Lega Nord übernimmt - so mein Eindruck - mehr und mehr dieses Ideengut. Einzelne Vertreter der Lega haben sich auch dahingehend geäußert, daß sie in Südtirol gegen den ethnischen Proporz und die Zweisprachigkeit sind. Dies sind Grundpfeiler unserer Politik und jeder, der diese Schutzbestimmungen für die Südtiroler in irgendeiner Form anzweifelt oder in Frage stellt, wird unsere Unterstützung nicht haben und mit unserer Opposition rechnen müssen.

FURCHE: Ist das Aufleben eines wirtschaftlich begründeten „Nationalismus ” - reicher italienischer Norden gegen armen Süden, politisch verkauft mit dem Kampf gegen den römischen Zentralismus - eine Perspektive, die zu verfolgen zunehmend auch für Südtirol wichtig und notwendig werden kann?

DURNWALDER: Die Tatsache, daß wir in Südtirol eine ziemlich weitreichende, wenn auch keine vollständige Autonomie haben, müßte eigentlich ausreichen, damit wir die Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik unseres Landes selber gestalten können. Der Autonomiegrundsatz, wonach das Landesgesetz das Staatsgesetz bricht, sollte es uns ermöglichen, daß wir einen ziemlich eigenständigen Weg gehen können, der natürlich immer von der politischen und wirtschaftlichen Lage in Italien tangiert bleiben wird. Wir haben aber bereits in den vergangenen Jahren einen eigenen Weg gehen können, der auch Erfolg hatte und sich - um nur ein Beispiel zu nennen - darin niedergeschlagen hat, daß wir in Südtirol eine Arbeitslosenrate von 2,3 Prozent haben, während diese im übrigen Staatsgebiet über zehn Prozent beträgt (siehe Seite 10, Anm. d. Red.).

FURCHE: Droht dem neuen Europa von regionalistischen Tendenzen her eine innere Spaltung?

DURNWALDER: Nein, wohl das Gegenteil wird der Fall sein. Die jüngste Entwicklung in Europa zeigt, daß die Idee eines föderalistischen Europas, eines Europas, in dem die Regionen auch mitentscheiden können, immer mehr Zustimmung findet. Wir Südtiroler sind der Auffassung, daß es für Europa sehr schlecht wäre, wenn der römische Zentralismus durch jenen von Brüssel vertauscht würde. Brüssel sollte in einigen wichtigen Bereichen, wie zum Beispiel Verkehr und Umwelt, Richtlinien erteilen, deren Anpassung und Durchführung aber den Regionen übertragen werden. Die einzelnen Regionen müssen ihren engeren Lebensraum gestalten können, da sich die Bürger nur auf diese Art und Weise wohlfühlen können und werden. Wir hoffen auch, daß das Europa von morgen von direkt gewählten Vertretern regiert wird, das heißt, daß das Europäische Parlament entsprechende Zuständigkeiten bekommt, eine Regierung wählen kann und daß auch die Regionen durch eine Länderkammer ihre Interessen vertreten können und in die europäische Gesetzgebung eingebunden werden.

FURCHE: Altlandeshauptmann Silvius Magnago hat in einem FUR-CHE-Interview davon gesprochen, daß bei veränderten Verhältnissen -beispielsweise wenn ein Staat zerfällt - das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler, auf das nie verzichtet wurde, konkret eingefordert werden kann. Würden Sie diesbezüglich initiativ werden, sollte sich die Chance bieten?

DURNWALDER: Die heutige Führung der Südtiroler Volkspartei und auch ich als Landeshauptmann sind der Auffassung, daß die Südtiroler niemals auf das Selbstbestimmungsrecht verzichten können, wenn es auch zur Zeit nicht konkret anwendbar ist. Sollten sich aber die Verhältnisse in Italien derart verändern, daß wir der Auffassung sind, daß unsere Recht eingeschränkt werden und nicht mehr ausreichen, um unsere politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Belange zu wahren, so würden wir uns an die bisherigen Abmachungen nicht mehr gebunden fühlen. In diesem Falle müßten wir einen neuen Weg zur Verteidigung unserer Rechte beschreiten. Dieser könnte selbstverständlich auch in der konkreten Anwendung des Selbstbestimmungsrechtes bestehen.

Die Fragen stellte Franz Gansrigier.

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