6963820-1985_06_08.jpg
Digital In Arbeit

Hoffnung für die Slums

Werbung
Werbung
Werbung

„Wenn der Papst bei uns war, werden die Politiker auch etwas mehr für unser Wohl tun müssen”. Diesen lapidaren Satz formulierte ein Slumbewohner im Elendsviertel El Guasmo der ecuadorianischen Hafenstadt Gu-ayaquil, wo die Not buchstäblich zum Himmel stinkt. Der Satz brachte zum Ausdruck, daß für die verelendeten Menschen Lateinamerikas die Visite Johannes Paul II. mehr bedeutet als Meßfeiern mit Millionen, herzhafte Sprechchor-Dialoge zwischen den Massen und dem Papst und Symbolakte vom Bodenkuß bis zur Gnadenbildkrönung.

Johannes Paul II. kam als „Pilger des Friedens”, als „Pilger der Hoffnung”, als „Freund” - wie es in den Sprechchören immer wieder hieß, und wurde offensichtlich von den Menschen auch so empfunden. Dieser Besuch, der mit Peru auch das kirchlich wie politisch heißeste Pflaster des Kontinents berührte, war eine weitere Etappe in der als überdimensionale Novene angelegten neunjährigen Vorbereitung auf das 500-Jahr-Jubiläum der Entdeckung (und damit auch des Beginns der Evangelisierung) Amerikas 1992.

Der Papst hat in Venezuela, Ecuador und Peru deutlich gesprochen und Grenzen abgesteckt — aber nach allen Richtungen. Naturgemäß konzentrierte sich das Hauptinteresse auf die Haltung Johannes Pauls II. zur „Theologie der Befreiung”, lebt und arbeitet doch einer der „Gründerväter” dieser theologischen Richtung, Gustavo Gutierrez, in Peru. Der Papst äußerte sich differenzierter, als es sich in den internationalen Medien niederschlug. Johannes Paul II. zitierte die Instruktion der vatikanischen Glaubenskongregation vom September des Vorjahrs über „Einige Aspekte der Theologie der Befreiung”, warnte die Katholiken vor Lehren und Ideologien, die mit dem Evangelium nicht vereinbar seien, vor allen „Propheten des Hasses und der Gewalt”. Aber er sprach ausdrücklich von Ideologien in der Mehrzahl; Gefahr fürchtet Johannes Paul II. für Glauben und Menschenbild der Katholiken Lateinamerikas sichtlich nicht nur vom Marxismus und seiner Strategien des Klassenkampfs, sondern ebenso von der Ideologie der „Nationalen Sicherheit” — wie ja auch die lateinamerikanische Bischofskonferenz in Puebla 1979 unter dem Vorsitz des Papstes Marxismus und Kapitalismus gleichermaßen als materialistische Systeme verurteilt hatte.

Durch die Reden des Papstes auf dieser Reise zog sich ein roter Faden, der offensichtlich bereits andeutet, in welche Richtung das im September bei der Vorstellung der Instruktion der Glaubenskongregation zur „Theologie der Befreiung” angekündigte umfassende Dokument zum Thema „Befreiung aus christlicher Sicht” gehen soll. Zentraler Begriff im Vokabular des Papstes war der Ausdruck „integrale Befreiung”, Befreiung, die sich nicht auf die Uberwindung des materiellen Elends beschränkt, aber diese selbstverständlich einschließt. „Befreiung von Sünde und Ungerechtigkeit” forderte Johannes Paul II. mehr als einmal während seiner elftägigen Lateinamerikareise.

Der Papst unterstrich neuerlich die von der Kirche getroffene „Option für die Armen”, allerdings im Sinn einer „präferentiel-len, nicht ausschließlichen Option” (so zum Beispiel in der Ansprache an die ecuadorianischen Bischöfe). Im Klartext heißt das, daß die Kirche für alle da sein will, nicht nur für die ausgebeuteten Campesinos - aber gleichzeitig hämmerte Johannes Paul II. allen seinen Zuhörern ein, daß der Einsatz für die Armen und Entrechteten ihre primäre Aufgabe sei. Der Papst sprach von der Notwendigkeit einer Herzensänderung als Voraussetzung für jede Strukturänderung, aber er sagte deshalb nicht, daß die Umkehr der Herzen Strukturreformen überflüssig mache.

Kompromißlos zeigte sich der Papst in der Frage der Gewalt. Dort, wo etwa Gustavo Gutierrez doppeldeutig wird („Wer das Faktum des Klassenkampfs leugnet, schlägt sich in Wirklichkeit auf die Seite der herrschenden Klasse... Wir lieben die Unterdrücker, indem wir sie von sich selbst, das heißt aus ihrer unmenschlichen Lage, befreien”), ließ Johannes Paul II. keine Zweifel offen. So sagte er in der Ansprache an die peruanische Jugend: „Folgt nicht denen, die behaupten, daß soziale Ungerechtigkeit nur durch Klassenhaß und Anwendung von Gewalt oder anderen unchristlichen Mitteln beseitigt wird”. Für den innerkirchlichen Bereich forderte Johannes Paul II. unmißverständlich „Treue zum Lehramt”. In Peru, wo die Auseinandersetzung um die „Theologie der Befreiung” auch innerhalb der Bischofskonferenz am schärfsten ist, legte der Papst noch etwas zu: er warnte ausdrücklich vor einem „parallelen Lehramt”, das offensichtlich als im Gegensatz zum rechtmäßigen Lehramt stehend empfunden wird.

Fazit der Reise, die im Ablauf dem gewohnten Schema der Pastoralreisen folgte: Johannes' Paul II. führte eine Standortbestimmung der offiziellen Kirche Lateinamerikas durch, die sich auf die Formel „entschlossener Einsatz für die Armen und Entrechteten, aber keine Reduzierung des Evangeliums auf den sozio-ökonomischen Bereich” bringen läßt. Der Streit um die „Theologie der Befreiung” ist aber damit noch nicht ausgestanden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung