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Hoffnung für Jugoslawien

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Der 14. außerordentliche Kongreß der Kommunisten Jugoslawiens ist geplatzt: Die Partei-Dogmatiker sind zwar unterlegen, die Refor­mer aber haben nicht ge­wonnen.

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Der 14. außerordentliche Kongreß der Kommunisten Jugoslawiens ist geplatzt: Die Partei-Dogmatiker sind zwar unterlegen, die Refor­mer aber haben nicht ge­wonnen.

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Wenn der Kongreß des „Bundes der Kommunisten Jugoslawiens", wie angekündigt, wieder aufgenom­men werden sollte, wird die Partei nicht mehr dieselbe sein. Für viele ihrer Mitglieder mag die neue Si­tuation eine Katastrophe sein - für Jugoslawien aber bietet sie eine neue Möglichkeit, den Weg aus der Krise zu finden.

Das äußere Bild und der Verlauf dieses Kongresses waren ungemein aufschlußreich. Schon die Bezeich­nung „außerordentlicher" und zugleich die Demonstrierung der Kontinuität als 14. in der Reihe der Parteitage waren Folgen von vor­angegangenen heftigen Streitigkei­ten und einem wenig glücklichen Kompromiß. Die Reformer hatten einen vorgezogenen Parteitag ver­langt, die Dogmatiker, das heißt die serbischen Genossen, wollten dies um jeden Preis vermeiden - denn es war zu erwarten, daß es zu einem Eklat kommen könnte, der den Auszug eines Teiles der Delegier­ten bedeuten würde.

Ein ordentlicher Parteitag wäre auf diese Weise regelrecht geplatzt und die Partei offiziell gespalten. Der außerordentliche hätte für eine solche Situation die Möglichkeit geboten, ein neues Quorum der verbliebenen Delegierten zu bilden. So - meinten die Dogmatiker -würden sie geeint und gestärkt die Krise überwinden können. Genau das Gegenteil war nun der Fall. Es zogen die Slowenen aus, die Kroa­ten blieben und stärkten innerhalb des Kongreßpräsidiums die Front der Reformer, sodaß der Kongreß zumindest nicht fortgesetzt wer­den konnte. Da jedoch kein Wort über den Stand der Dinge an die Öffentlichkeit gerichtet worden war, ist eher eine Pattsituation zu registrieren als etwa ein Sieg der Reformer.

Und doch ist Jugoslawien, dessen „führende Kraft" die Partei bisher zu sein behauptete, seit dem 23. Jänner in einer vollkommen neuen Situation. Denn das Monopol die­ser Partei ist jedenfalls vorüber. Neue Parteien werden jetzt in allen Landesteilen wie die Pilze aus dem Boden sprießen, ist die allgemeine Erwartung. Vor allem solche, deren Programme in Richtung Sozialde­mokratie gehen werden, mit dem deklarierten Ziel des Anschlusses an die europäischen Traditionen, um damit dem Beispiel der Ent­wicklungen in den bis vor kurzem noch kommunistisch regierten Ländern Europas zu folgen. Es wird sicher auch weiterhin eine kommu­nistische Partei geben - aber eine Mehrheit kann sie kaum zu reprä­sentieren erwarten.

Der Kongreß zeigte, daß die Spal­tung zwischen reformistischen Bewegungen und den Reaktionä­ren nicht nur zwischen Republiks­parteien manifest ist, sondern be­reits quer durch jede Delegation verläuft. Darin liegt ein Hoffnungs­schimmer für die Zukunft. Wenn neue politische Gruppierungen Gemeinsamkeiten finden über die regionalen Grenzen hinweg, dann wird es auch leichter werden, na­tionalen Streit zu entschärfen.

Wenn es nicht mehr eine allein­herrschende Partei, zum Beispiel in Serbien, gibt, die einen Wirtschafts­boykott über sl6wenische Produk­te verhängen kann, der große Teile der Wirtschaft auf beiden Seiten lähmt, dann ist schon viel gewonnen. Die neuen Parteien werden im Laufe des Frühjahres ihre Dele­gierten für das Bundes-Parlament wählen, das am 15. Mai seine Ar­beit aufnehmen soll.

„Jugoslawien kann ohne eine kommunistische Partei leben", sagte der Kroate Ante Markovic, Ministerpräsident der Bundesregie­rung, noch in der Nacht vom 22. auf den 23. Jänner. Er und seine Regie­rung sind verantwortlich für die vor wenigen Monaten vom Parla­ment nach langen, fast ein Jahr wäh­renden Diskussionen und Wider­ständen angenommenen Wirt­schaftsreform-Maßnahmen, die zur Zeit langsam und mühsam in die Praxis umge­setzt werden.

Der erste Schritt war die Umwandlung des inflationären Dinars in eine „feste" Währung (ein Schil­ling = ein Dinar). Zum allgemeinen Erstau­nen ist es Markovic -durch ein außeror­dentliches persönli­ches Engagement -gelungen, in weiten Kreisen der Bevölke­rung Vertrauen für seine Politik zu ge­winnen, obwohl gera­de die schlecht ver­dienenden Jugosla­wen als erste unter den unmittelbaren Folgen einer Rationa­lisierung und Libera­lisierung der Wirt­schaft zu leiden ha­ben werden. Diese Bundesregierung kann daher mit Recht von sich behaupten, daß sie die erste im Nachkriegsjugoslawien ist, die eine politische Autorität besitzt - unabhängig von der Partei. Auf grund der Verfassung ist eine Bundesregierung de facto stets nur ein Werkzeug der Parteipolitik gewesen. Da es aber eine solche Politik im konstruktiven Sinne seit geraumer Zeit nicht mehr gibt, konnte diese Regierung an Bedeu­tung gewinnen.

Eine neue Verfassung soll neben zahlreichen anderen wesentlichen Änderungen auch die jetzige Funktion der Regierung legalisieren.

Die Reaktionen der Bevölkerung während des Kongresses und nach­her aber haben noch etwas gezeigt.

• Erstens wurden die Ereignisse am Bildschirm aus der Kongreß­halle - mehr als 1.000 Redner im Laufe von zweieinhalb Tagen! - als „Kriminalfilm", als „surreales Theater", als „Tollhaus" kommen­tiert, und der Untergang der Partei als absolut logische Folge ihrer seit langem unter Beweis gestellten Un­fähigkeit begrüßt.

• Zweitens aber mischt sich in die­ses Gefühl auch eine gewisse Trau­er, ein Bedauern. Denn die Kom­munistische Partei in Jugoslawien ist unlösbar verbunden einerseits mit den Befreiungskämpfen im Zweiten Weltkrieg, der im wesent­lichen von den Partisanen organi­siert, geführt und gewonnen wor­den war; und andererseits ist es Tito und seiner Politik zu verdan­ken, daß Jugoslawien nach dem Krieg eine beachtliche Reputation in der Weltöffentlichkeit besaß.

• Nicht zuletzt das seit Jahrzehn­ten gepflegte Bewußtsein der Dank­barkeit gegenüber den Opfern und den Helden jener Zeit. Heldentum ist - bei den in Jugoslawien zahlen­mäßig überwiegenden Serben vor allem - ein Bestandteil ihres Selbst­verständnisses. Lebende und tote Menschen (auch Städte) wurden zu „Heroen des Partisanenkrieges" erklärt - und erhielten unzählige, weitreichende Privilegien, die sich auch auf die Familienmitglieder erstrecken. Die Partisanen-Vetera­nen wurden so zu einer neuen „Aristokratie", die wie ein Netz das Land überzog, wichtige Posten einnahm, unantastbar blieb von Gerichten und Kritiken; die jugo­slawische Kommunismus-Varian­te war ein „Feudalkommunismus" geworden. Das erklärt zum Teil auch, warum es den Kommunisten hier so besonders schwerfällt zu akzeptieren, daß ihre Zeit vorbei ist: Sie fühlen sich in ihrer führen­den Rolle legitimiert; sie kamen nicht zur Macht durch die Präsenz sowjetischer Panzer - sie haben ihren Platz mit Blut und Patriotis­mus erkämpft.

Der Parteikongreß brachte eine große Ernüchterung - die jugosla­wischen Kommunisten müssen ab jetzt anders leben.

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