6995923-1987_09_09.jpg
Digital In Arbeit

Hoffnung für unser Volk

19451960198020002020

Die Seligsprechung der jüdischen Konvertitin und Karmeliterin Edith Stein bedeutet ein neues Zeichen für das Verhältnis zwischen Christen und Juden nach dem Holokaust.

19451960198020002020

Die Seligsprechung der jüdischen Konvertitin und Karmeliterin Edith Stein bedeutet ein neues Zeichen für das Verhältnis zwischen Christen und Juden nach dem Holokaust.

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn Papst Johannes Paul II. im kommenden Mai seine zweite Pilgerreise in die Bundesrepublik Deutschland unternimmt, wird er dabei vor aller Welt erklären, daß Edith Stein, Philosophin, Konver-.titin und Märtyrerin, die Vergangenheit überwunden hat und in der Zukunft lebt.

Mit der einzigartigen Seligsprechung einer jüdischen Konvertitin und späteren Karmeliterin setzt der Papst ein eindeutiges Zeichen im Verhältnis zwischen Christentum und Judentum.

Es gibt nur wenige Menschen, vielleicht allzu wenige, von denen gesagt werden kann, daß sie durch die Kraft ihrer Wahrheit dem Holokaust des Dritten Reiches widerstehen konnten. Und doch sind es gerade diese wenigen, die die einzig berechtigte Hoffnung für ein Volk bilden, daß es auch noch nach Auschwitz hoffen darf auf Gerechtigkeit, Wahrheit und Frieden.

Vor wenigen Wochen erschien in Italien — und nicht in ihrer Heimat — das jüngste Buch über Edith Stein, das erstmals tragische Einzelheiten ihres Leidensweges aufzeigt, die in den bisherigen Biographien verschwiegen oder nur wenig berührt wurdem „Edith Stein. Dalla cattedra al la-ger”. Von Marina Vittoria Borg-hese.

Als jüngstes von elf Kindern einer strenggläubig jüdischen Familie wurde Edith am 12. Oktober 1891 in Breslau geboren. Sie studierte später Philosophie, in ihrer Heimatstadt und übersiedelte schließlich nach Göttingen, wo sie Schülerin und Assistentin bei Edmund Husserl, dem Meister der Phänomenologie, wurde.

Nach einer atheistischen Phase in ihrer Jugendzeit fand Edith durch die Freundschaft mit Adolf Reinach und Max Scheler, einem der genialsten Phänomenologen seiner Zeit, einen unmittelbaren Kontakt mit dem christlichen Glauben.

Im Alter von 31 Jahren hatte sie sich endgültig von ihrer jüdischen Tradition losgesagt und sich taufen lassen. Gleichzeitig begann ihre wissenschaftliche Karriere. Sie verfaßte in dieser Zeit ihr bedeutendstes Werk „Endliches und ewiges Sein”, in dem sie die thomistische Seinslehre und die augustinische Metaphysik mit der Methode der Phänomenologie zu deuten versuchte, und auch ihre Studie „Kreuzeswissenschaft”.

1934, nach zwölfjähriger Wartezeit, hatte sich Edith entschlossen, ihre Karriere aufzugeben, und trat in den Karmel in Köln ein, wo sie den Namen Schwester Teresia Benedicta a Cruce erhielt.

Inzwischen erweckte aber die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die beginnende Verfolgung der jüdischen Mitbürger in Edith Stein, die sich trotz ihrer Taufe als Jüdin fühlte, düstere Vorahnungen für die Zukunft.

Adolf Hitler hatte für den 10. April 1938 eine Volksabstimmung im ganzen Deutschen Reich angeordnet, durch die er sich endgültig als „Führer” bestätigen lassen wollte.

Im Karmel zu Köln waren die Schwestern über die politischen Ereignisse äußerst bestürzt. Sie diskutierten lange darüber, ob sie an der Wahl teilnehmen und ob sie mit „Ja” oder „Nein” stimmen sollten. Die Mehrheit dachte schließlich, daß es am besten sei, geschlossen mit „Ja” zu stimmen, um etwaigen Verfolgungen zu entgehen.

Nur Schwester Benedicta a Cruce wehrte sich mit aller Gewalt gegen eine derartige Entscheidung: „Ich flehe euch an, nicht für Adolf Hitler zu stimmen. Denkt an euer Gewissen und nicht an die Konsequenzen für das Kloster. Es ist besser zu sterben, als mit ,Ja' zustimmen. Hitler ist der größte ”Feind Gottes ... Stimmen wir deshalb gemeinsam alle mit .Nein'.” Ihre Bemühungen blieben aber letztlich ohne Erfolg.

Am Morgen des 10. April erschien eine dreiköpfige Wahlkommission der Nazis im Kloster mit einer Namensliste aller Schwestern. „Wo ist die Stimme von Stein?” fragte am Ende einer der drei, als alle ihre Stimme mit „Ja” abgegeben hatten.

Da gab die Priorin die unfaßbare und verhängnisvolle Antwort: „Sie ist keine Arierin.” Die drei Wahlhelfer zuckten unweigerlich zusammen. „Schreiben Sie: sie hat nicht gewählt, weil sie nicht arisch ist.” Damit war das Schicksal von Edith Stein besiegelt.

Bald darauf war auch ihre Schwester Rosa ins Kloster gekommen, die sich ebenfalls taufen hatte lassen, da die übrigen Familienmitglieder bereits ausgewandert oder verhaftet worden waren. Noch in der Silvesternacht wurden aber Edith und Rosa über die Grenze nach Holland gebracht, wo sie Aufnahme im Kloster Echt fanden.

1940 besetzten aber die Deutschen auch die Niederlande, und beide Geschwister waren damit wieder in tödlicher Gefahr. Daher wurden Verbindungen zum Kloster Le Päquier im schweizerischen Jura aufgenommen, um Edith und Rosa dort in Sicherheit bringen zu können.

Die erste Antwort war jedoch abschlägig, man könne nur Edith aufnehmen, da Rosa keine Ordensschwester sei und die strengen Ordensregeln nicht erlaubten, daß zwei in einer Zelle wohnen dürfen. Edith war aber fest entschlossen, nur mit Rosa das Land zu verlassen.

Durch den langen Briefverkehr verstrich aber wertvolle Zeit. Als endlich die ersehnte Zustimmung kam, war es bereits zu spät. Am Morgen des 2. August 1942 wurden Edith und Rosa von einer Abteilung der Nazis abgeholt und ins Durchgangslager Westerbork gebracht. Beim Verlassen des Klosters tröstete. Edith noch Rosa: „Komm, wir gehen für unser Volk.” Eine Woche später wurden beide Geschwister Stein in die Todeskammern von Auschwitz ger bracht.

Edith Stein hätte aber gerettet werden können. An ihrem Fall läßt sich erkennen, daß viele sogar 1942 in Deutschland und außerhalb noch nicht den vollen Ernst der Lage für die jüdische Bevölkerung erkannt hatten. Die Versäumnisse der Klöster lasten als eine schwere Hypothek auf der Glaubwürdigkeit der Kirche bis zum heutigen Tag.

EDITH STEIN. Dalla cattedra al lager. Von Marina Vittoria Borghese. Edizione messa-gero, Padova 1986. ca. öS 60,-.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung