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Hoffnung in der Kirche

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So hatte ich den Wiener Stephansdom noch nie erlebt: Gesteckt voll, jubelndes Singen, strahlende Gesichter, ansteckende Freude, der Geist Gottes spürbar gegenwärtig ...

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So hatte ich den Wiener Stephansdom noch nie erlebt: Gesteckt voll, jubelndes Singen, strahlende Gesichter, ansteckende Freude, der Geist Gottes spürbar gegenwärtig ...

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Anläßlich des Katholikentages 1983 hatte der Wiener Weihbischof Florian Kuntner die Erneuerungsbewegungen (Action 365, Cursillo, Focolare, Bewegung für eine bessere Welt, charismatische Gemeindeerneuerung, Marriage Encounter...) zu einer gemeinsamen Messe eingeladen. Es war ein großes Fest, das auf dem Platz vor dem Dom seine Fortsetzung fand.

Wie* unbefangen wurde da über den Glauben gesprochen, über persönliche Erfahrungen mit der Liebe Gottes im Alltag!

Vielen mag solches suspekt, sektiererisch, emotional hochgespielt erscheinen, vielleicht geeignet für psychisch nicht ganz gefestigte Personen. Stimmt diese Einschätzung?

Jesus hat uns aufgetragen, ein Werk an seinen Früchten zu messen. Manche Bewegung kann schon auf eine relativ lange Geschichte zurückblicken. Beispielsweise feiern die Cursillistas heuer zu Pfingsten den 25. Jahrestag der Einführung dieses 3-Tage-Kurses im deutschsprachigen Raum. Die Kurse der Bewegung für eine bessere Welt gibt es sogar schon seit 1949. Welches sind also die Früchte dieser Bemühungen?

Tausende Männer und Frauen haben in diesen Jahren Kurse der Erneuerung miterlebt. Und es erging ihnen, wie es das Gleichnis vom Sämann beschreibt: Strohfeuer und Ersticken guter Vorsätze in den Alltagssorgen bei manchen, Wachstum und Fruchtbringen bei anderen. Wieviele Menschen habe ich doch kennengelernt, die durch die Erneuerungsbewegungen bleibend zu einem neuen Leben mit Christus gefunden haben!

Worum geht es diesen Bewegungen eigentlich? In den letzten Jahrzehnten an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten entstanden, unterscheiden sie sich natürlich in ihrem Zugang. Es verbindet sie aber auch eine tiefe geistige Verwandtschaft. Da ist zunächst das Bemühen, dem Menschen unserer Tage die Erfahrung zu vermitteln, daß Gott auch heute zu uns Menschen eine persönliche Beziehung sucht — und daß eine solche Beziehung auch gelingt. Angesprochen wird dabei nicht nur der Intellekt des Menschen, sondern die ganze Person.

Vermittelt wird weiters die Einsicht, daß Glaube nicht nur eine von vielen Facetten des Lebens ist, sondern die ganze Person erfassen will. Vielen wird erstmals bewußt, daß Christsein mehr als braves Absolvieren religiöser Übungen und Einhalten von Vorschriften ist. Sie beginnen zu ahnen, daß es um ein Leben mit dem auferstandenen Herrn geht, der großes mit uns vorhat — heute.

Kirche wird daher nicht als Institution und mächtiger Apparat erfahren, sondern als Gemeinschaft, für die wir alle Verantwortung tragen. Daher sind die Erneuerungsbewegungen durchwegs auch von einem sehr starken Engagement der Laien geprägt, die entdeckt haben, daß sie mehr als nur Rohmaterial für kirchliche Zeremonien sind.

In vielen erwacht daher das Bedürfnis, ihre beglückende Erfahrung anderen mitzuteilen. Sie entdecken eine neue Verantwortung für ihre Mitmenschen. Dabei passieren natürlich auch Pannen: Im Uberschwang der ersten Begeisterung meinen „Frischbekehrte” (hin und wieder auch unverbesserliche Fanatiker) sie würden nun endlich ihre Pfarre auf Vordermann bringen. Damit verärgern sie nicht nur den Pfarrer, sondern lassen auch das Anliegen der Bewegung in einem schiefen Licht erscheinen. Diese wollen sich nämlich in den Dienst der Kirche, der Pfarren stellen und nicht „Konkurrenzunternehmen” aufbauen.

In der Kirche soll das erweckt werden, was Gott den Menschen seit jeher verheißen hat: ein zutiefst erfülltes, sinnvolles Leben. Was die Erneuerungsbewegungen betonen, sind daher durchaus keine Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. Neu ist nur die Form der Vermittlung. Sie ist unserer Zeit besonders gut angepaßt.

„Neu ist nur die Form der Vermittlung”

Es soll also das wiederbelebt werden, was schon die Christen an der Urgemeinde fasziniert hat: die liebevolle Gemeinschaft, das gemeinsame Gebet, die Erfahrung der Gegenwart des Herrn (nicht nur) in den Sakramenten, die ansteckende Wirkung lebendigen Glaubens.

Höre ich Klagen über Auflösungserscheinungen der Kirche, - so bin ich sehr dankbar dafür, daß ich diese Kirche auch von einer ganz anderen Seite kennen- und hebengelernt habe. Vor 14 Jahren bin ich als Fernstehender bei einem Cursillo zu ihr gestoßen und habe seither oft und oft erlebt, wie Junge und Alte, Männer und Frauen in diese Kirche heimgeholt wurden, wie die zeitlos faszinierende Botschaft Christi auch in unserer Zeit Hoffnung weckt.

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