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Hoffnung in der Überlebenskrise

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Religion und Wissenschaft treten in einen neuen Dialog. Das von Kardinal König im Frühjahr gemeinsam mit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften initiierte Symposion „Glaube und Wissenschaß“ gab den Startschuß. Der Leiter der Salzburger Humanismusgespräche, Oskar Schatz, griff die Anregung auf und führte sie nun in der Festspielstadtfort.

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Religion und Wissenschaft treten in einen neuen Dialog. Das von Kardinal König im Frühjahr gemeinsam mit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften initiierte Symposion „Glaube und Wissenschaß“ gab den Startschuß. Der Leiter der Salzburger Humanismusgespräche, Oskar Schatz, griff die Anregung auf und führte sie nun in der Festspielstadtfort.

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Die Salzburger Humanismusgespräche haben sich seit ihrer Gründung 1965 noch nie über einen Mangel an Aktualität zu beklagen gehabt. So fand die diesjährige Veranstaltung nur wenige Wochen vor der Volksabstimmung über Zwebendorf statt. Daß ihr damit in der Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern der Kernenergie eine ganz bestimmte meinungsbildende Rolle zufiel - unabhängig davon, ob dies vom Veranstalter beabsichtigt war oder nicht - verstand sich von selbst. Gewiß konnten weder die Befürworter noch die Gegner aus dieser Tagung unmittelbares politisches Kapital schlagen. Auf der anderen Seite war es aber auch völlig ausgeschlossen, daß sich dieses 9. Salzburger Humanismusgespräch in den üblichen Bahnen akademischer Unverbindlichkeit bewegen würde. So lag auch der meinungsbildende Beitrag dieser Tagung nicht in einseitiger Stellung- oder gar Parteinahme. Vielmehr ging es darum, das isolierte Problem der Kernenergie, das in der öffentlichen Meinung geradezu zum Symbol für die Gefahren des ungehemmten wissenschaftlichtechnischen Fortschritts geworden ist, vor dem Hintergrund der globalen Uberlebenskrise zu sehen, der in den aktuellen Auseinandersetzungen meist ausgeblendet wird. Die Titelformulierung „Hoffnung in der Uberlebenskrise?“ war deutlich genug.

Karl Friedrich von Weizsäcker schrieb im August im „Merkur“ unter dem Titel „Gehen wir einer asketischen Weltkultur entgegen?“, die heutige Menschheit wandere durch eine Zone tödlicher Gefahr. Was ihn bewegt, ist vor allem die Frage nach dem tieferen Grund der augenscheinlichen Unfähigkeit der heutigen Menschheit, mit jenen technischen und politischen Instrumenten umzugehen, die sie selbst geschaffen hat. „Es ist letztlich das zügellose Verfolgen ökonomischer Ziele, das unbegrenzte, ja sogar ideologisch geforderte Wirtschaftswachstum, das für dieses Versagen verantwortlich ist.“

Der Freiburger Genetiker Karsten Bresch sagt in seinem Schlußwort: „Die Krise ist größer, als die meisten in diesem Raum nach dieser Tagung annehmen. Die Krise hat eigentlich noch gar nicht richtig angefangen. Sie entstand dadurch, daß der Mensch aus einer biologischen Vergangenheit kommt und Eigenschaften, Zielvorstellungen und Wertvorstellungen besitzt, die in dieser biologischen Vergangenheit richtig und gültig waren.

Wissenschaftliche Rationalität allein, so notwendig und unentbehrlich sie auch ist, genügt heute nicht mehr. Unser Uberlegen verlangt eine Neuordnung nicht nur der zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern auch- jener, zwischen Mensch und Erde, Mensch und Natur. Das bedeutet letztlich eine Neuordnung nicht nur der Gedankensysteme und Meinungen, sondern auch der emotionalen Bindungen, Neigungen und Werte, kurz des zentralen geistigen Führungs- und Steuerungssystems.“

Eben darum brachte das Salzburger Humanismusgespräch die Religion als den einen Hauptadressaten, der von der gegenwärtigen Krise ausgehenden Herausforderung ins Spiel. Das mag zunächst verwundern, sei doch, einer immer noch weit verbreiteten Uberzeugung zu Folge, der Einfluß der Religion weltweit im Schwinden. Die Religionskritik der Aufklärung meinte, daß die Religion

unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Zivilisation keinerlei Zukunftschancen habe und im Zuge des Fortschritts zum Absterben verurteilt sei. Noch in den sechziger Jahren hat man unter Anknüpfung an diese aufklärerischen Restbestände unter dem Stichwort „Säkularisierung“ die Frage diskutiert, ob die Religion überhaupt noch eine Zukunft habe. Wenn bei dieser Tagung die Frage nach der Zukunft der Religion erneut aufgegriffen wurde, so vor allem in dem größeren Zusammenhang der durch die Krise provozierten Frage nach der Zukunft der Menschheit.

Der Züricher Philosoph Hermann Lübbe sprach von einem völlig neuen Verhältnis von Religion und Wissen-

schaft. Vieles spreche dafür, daß die Zukunft der Religion unter den Bedingungen einer sich rapide beschleunigenden wissenschaftlich-technischen Zivilisation gesichert sei, zumal die - trotz aller Futurologie - wachsende Einsicht in die Ungewißheit, auch nur der nächsten Zukunft im Grunde nur das bestätige, was die großen Religionen immer schon gesagt haben.

Der zweite Hauptadressat der von der heutigen Überlebenskrise ausgehenden Herausforderung ist die moderne Wissenschaft, die unsere Daseinsbedingungen in revolutionärer Weise verändert hat und weiterhin verändert. Ein Gespräch zwischen diesen beiden geistigen Mächten der Gegenwart ist heute notwendiger denn je.

Kardinal Franz König sagte in seinem Eröffnungsvortrag „Die gemeinsame Verantwortung von Religion und Wissenschaft für eine menschenwürdige Zukunft“, der „systemimmanente Zwang“ zu immer neuen Technologien bekomme eine klare Ausrichtung auf den Menschen hin. Es sei die große Aufgabe des

Christentums, solche Fragen der Wissenschaft nicht zu überhören, sondern sich ihr als Bundesgenosse im Ringen um den gesunden und glücklichen Menschen anzuschließen.

Obwohl der Frankfurter Marx-Forscher Iring Fetscher angesichts dieser Uberlebenskrise nur von einer skeptischen Hoffnung sprach, zu der der Mensch berechtigt sei, räumte er doch dem Christentum ein, Korrektive zu finden, die alles wieder in Ordnung bringen können, was durch eine einseitige, vor allem im 16. und 17. Jahrhundert durchgeführte Anpassung der christlichen Religion an den expansiven Frühindustrialismus zerstört worden ist.

Naturwissenschafter, Philosophen, Soziologen und Theologen, die nach den Gesetzen des normalen Wissenschaftsbetriebs in der Regel getrennt, unter Abschirmung voneinander und unter Verfolgung der verschiedenen Erkenntnisziele arbeiten, waren sich in Salzburg darüber einig, daß die Verfolgung eines neuen Weges nicht ohne Veränderung des individuellen und öffentlichen Bewußtseins vonstatten gehen könne. So sehr wir heute vor der Notwendigkeit stehen, die Entwicklung von Technik, Naturwissenschaft und Wirtschaft auf neue Ziele hin zu orientieren und entsprechende gesellschaftliche Prozesse in Gang zu setzen, so notwendig ist auf der anderen Seite das Umdenken jedes einzelnen, das man auch ohne romantische Untertöne als neue „Erneuerung der Herzen“ bezeichnen kann.

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