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Hoffnungslos gefangen ?

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Wolf Donner wies in einem FURCHE-Beitrag (Nr. 18/ 85) auch den Machtha-bern in den Entwicklungsländern einen großen Teil derSchuld an ihrerschlim-men Lage zu. Zu Recht?

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Wolf Donner wies in einem FURCHE-Beitrag (Nr. 18/ 85) auch den Machtha-bern in den Entwicklungsländern einen großen Teil derSchuld an ihrerschlim-men Lage zu. Zu Recht?

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Eine gültige Antwort auf die Frage nach den Ursachen der Armut in vielen Ländern der Dritten, Vierten und Fünften Welt kann niemand geben. Man kann bloß versuchen den Prozeß zu begreifen, der sich in zahllosen Varianten auf jedem Kontinent, in jedem Land und jeder Region anders abspielt. Nur einige Grundstrukturen lassen sich herausarbeiten, wie die systematische Gewalt, die unterworfene Gesellschaften zu Parias des internationalen Systems macht.

Natürlich haben sich die äußeren Einflüsse in den Sozial- und Wirtschaftsstrukturen der bedrängten Länder niedergeschlagen und sind strukturell verinner-licht worden. Heute sind schon über 100 Länder an die Peripherie gedrängt, mehr als 800 Millionen Menschen sind ununterbrochen vom Hunger bedroht.

Was bedeutet dies für die Verteilung?

• 30 Prozent der Weltbevölkerung in den Industrieländern Europas, Nordamerikas, Australiens und Japans verfügen über 82 Prozent der Weltproduktion, über 91 Prozent aller Weltexporte, 85 Prozent aller Rüstungsausgaben und

98 Prozent aller Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen.

• Ein Nordamerikaner verbraucht doppelt soviel Energie wie ein Deutscher, dreimal soviel wie ein Schweizer oder Österreicher, 60mal mehr als ein Inder, 160-mal mehr als ein Tanzanier und HOOmal mehr als ein Bewohner von Ruanda.

• Die sechs Prozent Amerikaner auf der Erde verbrauchen mehr Energie als zwei Drittel der Weltbevölkerung in den Entwicklungsländern.

• InLateinamerikaziehenfürje-den angebotenen Industriearbeitsplatz sieben Landarbeiter in die Stadt. Einer bekommt diesen Arbeitsplatz zu niedrigstem Lohn, sechs bleiben arbeitslos und landen in den Slums. In afrikanischen Städten nahmen die Slums innerhalb weniger Jahre von einem Fünftel auf die Hälfte der Stadtbevölkerung zu.

Ist also mehr Industrialisierung notwendig, damit die Bevölkerung nicht arbeitslos in den Slums herumsitzt und unter Umständen in die Kriminalität abgedrängt wird? Erhard Eppler bewies durch ein Beispiel, daß Industrialisierung nicht immer Arbeitsplätze bringt. In Ecuador ( Südamerika) gab es vor einigen Jahren 5000 Schuhmacher, die in Handarbeit Lederschuhe herstellten und verkauften. Von dem Verdienst ernährten sie ihre Familien. Ein ausländisches Unternehmen gründete eine Schuhfabrik. 40 Arbeiter produzierten Plastiksandalen mit modernen weitgehend automatischen Maschinen. Am Markt setzten sich die Sandalen durch und machten die Schuhmacher arbeitslos, viele von ihnen zogen ins Elendsviertel von Quito und hofften einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Vierzig neu geschaffene Arbeitsplätze zerstörten 4.960 traditionelle.

Zu viele Exporte

1981 berichtete die FAO, die Er-nährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO, daß die Produktion von Nahrungsmitteln pro Kopf im Gesamtdurchschnitt der Entwicklungsländer stagnierte, während die gesamte agrarische Produktion um ein Mehrfaches-gesteigert wurde. Das heißt, daß die Entwicklungsländer ihre Agrarexportproduktion auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion gesteigert haben. Noch 1967 produzierte das Sahel-Land Mali für seine eigene Ernährung 60.000 Tonnen Feldfrüchte. Zur Zeit beläuft sich die Produktion für den eigenen Bedarf nur noch auf 15.000 Tonnen, während sich die mit Baumwolle und Erdnüssen bepflanzten Flächen drastisch ausgedehnt haben. Die Erlöse reichen nicht für die Bezahlung der nötigen Nahrungsmittelimporte, von den Industriegütern nicht zu reden.

Die nach dem Kolonialismus herrschende Elite setzte die Politik so fort, wie sie es von ihren ehemaligen Herren gelernt hatte. Wie hätte die Entwicklung auch anders verlaufen können? Haben die Menschen doch ihre eigene Kultur als rückständig vermittelt bekommen. Dies ist in allen Ländern der Dritten Welt so.

Modernität und Tradition werden nicht als zwei Seiten ein und derselben Lebensform dargestellt, sondern Tradition ist eine Untugend, der ein übler Geruch von Rückständigkeit anhaftet, von dem man sich so schnell wie möglich trennen sollte.

Andererseits brach der Kolonialismus häufig gewachsene Traditionen, um sie durch eine Pseudotraditionalität zu ersetzen. Zahlreiche Probleme des Triba-lismus lassen sich auf dieses Erbe zurückführen. Die Bedeutung der kulturellen Unterdrückung und Beherrschung kann gar nicht überschätzt werden, die Industrienationen, allen voran die. USA und die ehemaligen Kolonialmächte, mischen sich intensiv in die Gestaltung der Fernseh- und Rundfunkprogramme und schaffen dadurch Bedürfnisse, die in dem „grausam verwobenen Netz von Lebensverhältnissen”, wie Robert McNamara formulierte, nicht gestillt werden können.

Mit Schuldzuweisungen werden die Probleme der Hungerkatastrophen, Verelendung weiter Bevölkerungskreise in den ehemaligen Kolonien, Umweltzerstörungen, um nur drei große Brocken zu nennen, nicht zu lösen sein. Daß sich aber die Europäer und auch jene, wie die Österreicher, die nie oder kaum Kolonien im klassischen Sinn hatten, nicht aus der Geschichte und damit aus der Verantwortung stehlen können, ist auch klar.

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