6815234-1973_04_16.jpg
Digital In Arbeit

Hokuspokus mit Lu st gewinn

Werbung
Werbung
Werbung

„Denn der Sonnenstand allein sagt zuwenig. Die Einbeziehung von Mond, Aszendenten und Planeten ins persönliche Horoskop ist für jeden seriösen Partnerschaftsvergleich unerläßlich.“

Solch Köstliches war vor einer Woche in einer großen österreichischen Tageszeitung zu lesen; gerade um die Jahreswende werden allerlei Scharlatane munter, um eine offenbar informationsbegierige Öffentlichkeit mit ihren Prognosen zu überschwemmen. Über eher harmlose Spinnereien dieser Art wird wohl niemand ernsthaft besorgt sein; anders jedoch, wenn man sich vor Augen hält, daß in westlichen Ländern vor einigen Jahren ein Astrologie-Boom einsetzte, der sich in der Zwischenzeit zu einer wahren Renaissance des Okkultismus entwickelt hat.

Die Beschäftigung mit dem Geheimnisumwitterten feiert fröhliche Urständ:

• Eigene Spezialbuchhandlungen in den USA handeln mit düsteren Werken und auch „normale“ Buchläden haben Abteilungen für „mystische Literatur“ eingerichtet. Kurse im Kartenlegen, Handlesen und Wahrsagen werden angeboten, und auch Kristallkugeln können wohlfeil erworben werden (die große Kugel um 25 Dollar, die kleine Ausführung um 16.50 Dollar). Daneben gibt es noch Spezialgewänder, Weihrauch und andere notwendige Utensilien. Reinkar-nationssitzungen und Seancen mit Astral-Projektionen finden regen Zuspruch.

• Die Fluggesellschaft PANAM bietet eine eigene „Psychic Tour“ nach Großbritannien an, im Preis inbegriffen sind: ein Tag in Stonehenge, dazu eine Seance; die günstigen Flugzeiten werden nach astrologischen (!) Gesichtspunkten errechnet.

Das Geschäft blüht also; mit der ihnen eigenen Gründlichkeit haben sich die cleveren Amerikaner auf diesen neuen Wirtschaftszweig gestürzt, der mit so harmlosen Filmen wie „Roemary's Baby“ seine Anfang genommen hat.

• In England nahm die Hexerei solche Formen an, daß eine kirchliche Kommission die Empfehlung aussprach, für jede größere Gemeinde einen eigenen Teufelsaustreiber zu ernennen.

• In Frankreich hat die Seherin Madame Soleil ihre wöchentliche Radiosendung; die Abhaltung schwarzer Messen für „Tout Paris“ gehört zum guten Ton.

• In der deutschen Bundesrepublik haben sich — nach vorsichtigen Schätzungen — 3 Millionen bereits in irgendeiner Form dem Okkultismus verschrieben, daneben dürfte es noch rund 7 Millionen Sympathisanten geben.

• Die Schweiz quillt von obskuren Szenen und Zirkeln über. Der Fall, daß ein „besessenes“ Mädchen zu Tode gefoltert wurde, ist noch in Erinnerung.

• In Italien ist neben dem harmlosen primitiven Aberglauben der eher ungebildeten Schichten eine moderne Form des inellektue'Jen Okkultismus aufgetaucht.

Den größten okkulten Anhang hat in den USA heute die 1966 gegründete „Church of Satan“, deren Ideologie auf einer pervertierten (spiegelbildähnlichen) Bibel beruht; wie etwa: „Selig die Starken, denn sie sollen die Erde besitzen. Wenn dir ein Mann die rechte Wange schlägt, dann zertrümmere ihm die andere.“ Hexerei, Okkultismus und Hokuspokus werden von den Anhängern dieser Sekte nicht betrieben sondern lediglich eine Philosophie des Egoismus, Materialismus und der Skru-pellosigkeit.

Eine andere Religionsgemeinschaft, die auf das stolze Alter von zehn Jahren zurückblicken kann, verehrt gar eine Dreifaltigkeit: Jehova, Luzifer und Satan, als einander bekämpfende Gottheiten. Auch die Anhängerzahl dieser Sekte geht bereits über ein Maß hinaus, bei dem man noch von harmloser Spinnerei sprechen könnte.

Daneben gibt es noch eine Unmenge von Klubs, Zirkeln und „Religionsgemeinschaften“, die satanistischen Wonnen fröhnen, von denen sich die meisten allerdings als simple Sexklubs entpuppen, deren Mitglieder offenbar nur mit Hilfe des dämonisehen Hokuspokus zu Lustgewinn gelangen können.

Etwas anderes ist hingegen die sogenannte Hexerei. Zahlreiche Wissenschaftler haben nachzuweisen versucht, daß der Ursprung des Hexenglaubens und der Hexerei in heidnischen Kulten zu suchen ist; tatsächlich findet sich auch heute noch der Glaube an wohlwollende oder übelwollenden Naturgewalten stärker ausgeprägt als der Glaube an satanische Elemente.

Hexer und Hexen, so die Millionärin Sybil Leek aus Kalifornien, betreuen ihre finanzkräftigen Gemeinden. Reinkarnationstänze zum Vollmond (selbstverständlich in unbekleidetem Zustand), gehören ebenso zur mystischen Quacksalberei wie ein archaisches Vokabular und mystisch anmutende Namen oder Titel.

Wenn auch die Anhängerschaft bei okkulten Sekten dem Anhänger die strikte Unterwerfung unter göttliche Verbote erspart (übrigens einer der Hauptgründe für „Konvertierungen“), so versuchen sie sich in der Deutung der Zukunft. An erster Stelle rangiert nach wie vor die Astrologie, wobei geschickte Deuter das „relativ simple“ Ermittlungsverfahren durch astrologisches Beiwerk anderer Kulturen anreichern: je komplizierter und geheimnisvoller, desto besser. Der geschäftliche Erfolg ist gesichert. Ähnlich verhält es sich auch beim Kartenlegen, Kristallku-gelbefragen und ähnlichem Klamauk. Wirklich interessant wird es jedoch erst, wenn individuelle „Seher“ auftreten. Nostradamus hat viele Jünger. Wohl eine der bekanntesten Wahrsagerinnen, die Amerikanerin Jean Dixon, pflegt auch heute noch das altbewährte Rezept: durch möglichst orakelhafte Aussprüche eine hohe Wahrscheinlichkeit für nachträgliche Verifizierungen zu gewährleisten. ■

Für Interessenten an diesem Bereich eröffnet sich heute ein weites Betätigungsfeld; Krankenheilungen, Abhaltung von Seancen, Kontakte mit dem Jenseits und psychologische Beratung. Die Wunderheiler sterben nicht aus, die Tatsache, daß sie immer wieder auf Erfolge hinweisen können, bewegt viele — und ein bißchen Geheimnistuerei und Schabernack müssen herhalten, um eine gewinnbringende Tätigkeit zu garantieren. Die biederen Leutchen, die sich solchen Menschen — sei es auch mit Erfolg — anvertrauen, bedenken nicht, daß der Beistand eines Priesters, eines Psychotherapeuten oder eines beliebigen verständnisvollen Menschen wahrscheinlich ebenso geholfen hätte.

Prof. Huston Smith (Boston) bezeichnet die Renaissance des Okkulten als Antwort auf das Versagen der Technologie bei der Gestaltung einer besseren Welt. Vernunft und Wissenschaft haben in den Augen vieler versagt. Zweifellos ist ein Bedürfnis nach Mystik vorhanden, das Geheimnisvolle hat in unserem technischen Zeitalter eher an Reiz gewonnen, denn verloren. Viele traditionelle Kirchen haben diesen Trend einfach übersehen. So hat die katholische Kirche die alte Forderung nach Abhaltung der Messe in der Landessprache zu einem Zeitpunkt erfüllt, als dieses Bedürfnis gar nicht mehr so groß war. In der beständigen Sorge, dem Vorwurf der „Zauberei“ ausgesetzt z\ sein, verschwanden Weihwasserschwengel und Weihrauch.

Neben die Lust am Geheimnisvollen tritt schließlich aber auch noch die Neugier. An New Yorker Universitäten werden Vorlesungen über Hexerei, Magie und Astrologie gehalten, wobei von Wissenschaftlern allerdings versichert wird, daß es sich bei den Anhängern okkulter Sekten entweder um Schwindler und üble Geschäftemacher, oder aber um psychisch Gestörte handle, die Psychosen als psychische „Phänomene“ mißverstehen.

Dennoch ist nicht alles Schwindel und Scharlatanerie. Es muß in diesem Zusammenhang darauf verwiesen werden, daß die Wurzel des Okkultismus auch ein Quentchen Glaubensersatz enthält; Magie — als menschliches Bemühen, gottähnlich zu werden.

Die Astrologie wiederum hat ihren Ursprung im babylonischen Sterngötterglauben, und auch der Teufel ist keine Entdeckung des Christentums. Bereits im Alten Testament tritt er — allerdings als Untertan Jahwes und daher anders als bei den Persern — in Erscheinung. Im Neuen Testament wird er zum ernstzunehmenden Widerpart (Versuchung Christi). Aber auch schon die Mesopota-mier kannten einen „Teufel“, und dies sogar vor den Persern.

Erst durch die Gnostik wurde eine wahre Mythologie des Teufels geschaffen. Und im 13. Jahrhundert begann eine ernsthafte Verfolgung aller Arten von Hexerei und Magie, wobei jedoch die ursprünglich heidnische Vorstellung der Beschwörung feindlicher Naturkräfte kaum mehr eine Rolle spielte, sondern vielmehr der „Pakt“ mit dem Teufel. Die Figur Satans wurde zum Inbegriff der Rebellion gegen das mittelalterliche Establishment, für viele mag der erträumte „Pakt“ mit dem Teufel die letzte Hoffnung dargestellt haben: die Verpfändung der Seele und die gleichzeitige Verwirkung einer jenseitigen Erlösung als Gegenleistung für die erstrebte diesseitige Sicherheit.

Gründe? Enttäuschung über den technischen Fortschritt, Rebellion gegen weltliche Macht, Frustration, Zivilisationsflucht? Wahrscheinlich schafft die neuzeitliche Nüchternheit das Bedürfnis, in Gebiete vorzudringen, denen — in welcher Form auch immer — etwas „Geheimnisvolles“ anhaftet. Demnach wäre Okkultismus in seiner gegenwärtigen Form als „Pop-Religion“ nur eine vorübergehende Erscheinung und das Interesse daran würde bald, nach entsprechend abnehmender Neugier, wieder nachlassen.

Ereignisse, wie jenes in der Schweiz, oder auch die noch immer nicht erschöpfend geklärten Morde der Manson-Bande sind freilich noch in deutlicher Erinnerung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung