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Holland ist zur Hälfte hirtenlos

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Der eine war das Sorgenkind des Episkopats der Niederlande, der andere galt als idealer Bischof. Die Rede ist von Jo Gijsen und Ronald Bär, die beide kurz nacheinander als Bischöfe zurückgetreten sind.

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Der eine war das Sorgenkind des Episkopats der Niederlande, der andere galt als idealer Bischof. Die Rede ist von Jo Gijsen und Ronald Bär, die beide kurz nacheinander als Bischöfe zurückgetreten sind.

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Der Rücktritt von Johannes Gijsen als Bischof von Roermond „aus gesundheitlichen Gründen" war ohne Zweifel die geringere Überraschung. Mit seinem kompromißlosen Konservativismus hatte Gijsen auch manche seiner Geistverwandten brüskiert und letztendlich bei seinen Kollegen und in Rom die Sympathien verspielt. Vor zwei Jahren hatte er schon die meisten seiner Aufgaben zwei Vikaren übergeben müssen.

Völlig unerwartet kam dagegen am 14. März die Ankündigung, daß der Bischof von Rotterdam, Ronald Bär, wegen „psychischer Überbelastung" seinen Sitz räumen würde. Denn nicht nur schien Bärs Zustand noch kurz vorher ausgezeichnet, sondern er befand sich auch in bezug auf Popularität und Einfluß gerade auf seinem Höhepunkt.

Noch am gleichen Abend ließ das katholische Fernsehen die nächste Bombe hochgehen. Habe, so fragte man Erzbischof Adrian Simonis, der Rücktritt etwas mit Gerüchten über homosexuelle Kontakte zu tun? Während Simonis verneinte, meinte ein ehemaliger Sekretär der Kirchenprovinz, daß es ihn „keineswegs überraschen würde, wenn Bär erpreßt worden wäre". Womit die Gerüchtemaschine erst recht in Bewegung kam. War Bär das Opfer einer breiten Verschwörung konservativer Kräfte, oder war sein „Sturz" gar die Rache für den Rücktritt Gijsens? Laut der vormals katholischen Tageszeitung „de Volkskrant" hatten Gegner Bärs seit längerer Zeit belastendes Material zu sammeln versucht, um dieses Simonis zuzuspielen.

Letzterer beschränkte sich auf die Feststellung, daß ein Armeepfarrer ihm über die Gerüchte erzählt habe, er diese aber nicht untersuchen wollte, „um ihnen nicht noch mehr Gewicht zu verleihen". Daß er selber der Drahtzieher gewesen wäre, nannte der Erz-bischof „schlicht und einfach Verleumdung".

Fest steht auf jeden Fall, daß die Affäre Bärs Entschluß zumindest mitgeprägt hat. „Er hat mir erzählt, daß er sich seit einem Jahr hat zwingen müssen, um seinen Funktionen nachzukommen, und daß er das Öffentlich-Werden von Gerüchten nicht noch dazu haben mußte", erklärte der im Vorjahr zurückgetretene Bischof Hubertus Ernst von Breda.

Unumstritten ist auch, daß mit dem

Rotterdamer Bischof der holländischen Kirchenprovinz ein wichtiger Brückenbauer abhanden gekommen ist. Galt er bei seiner Ernennung 1983 noch als ausgesprochen konservativ und romtreu, so wurde er bald neben Ernst der einzige wirkliche Ansprechpartner für den progressiven Teil der Kirche.

„Bär war wie ein Politiker, der in gewissem Sinne in bezug auf theologische Fragen orthodox war, aber anderseits in der beengenden Atmosphäre der Kirche Raum geschaffen hat", meint Trees Versteegen, die Vize Vorsitzende der „8.-Mai-Bewegung", eines Sammelbeckens für progressiv-katholische Gruppen.

An der Arbeit von Gijsen schätzte Versteegen dagegen nur, daß sie die Gläubigen zu einer größeren Unabhängigkeit gebracht hat. „Was ich interessant finde ist, daß viele Leute mit der Gestaltung eines katholischen Engagements trotzdem weitergegangen sind." Wie man den Abschied der beiden Bischöfe werten soll, wisse man jedoch erst, wenn man die Nachfolger kennt.

Unter dem im Namen Gijsens faktisch regierenden Vikar Jos Punt, der auch als potentieller Nachfolger genannt wird, hat sich das Gesicht der Diözese Roermond inzwischen schon stark geändert. Ganz anders als der als autoritär und kalt geltende Gijsen scheint Punt schon wegen seiner eigenen Lebensgeschichte für Milde und Offenheit prädestiniert.

Als Student im Amsterdam der wilden sechziger Jahre suchte er sein Heil in Makrobiotik, transzendentaler Meditation und bei den Rosenkreuzern, bis er schließlich wieder zum alten Glauben zurückfand.

„Maria, Christus, die Engel, ich konnte auf einmal alles wieder glauben."

Daß er ausgerechnet in dem Gijsen nahestehenden Seminar Rolduc seine Priesterausbildung anfing, war laut Punt nicht unbedingt eine Entscheidung für dessen Linie. „Damals war ich mir einer Polarisierung zwischen progressiv und konservativ noch gar nicht so bewußt." Trotzdem betrachtet er den scheidenden Bischof als jemanden, „der eine wichtige Pioniersrolle erfüllt hat", und erwartet vom Nachfolger, „daß dieser die guten Ansätze, die gemacht worden sind, fortsetzen wird".

Auf jeden Fall wird der holländische Episkopat demnächst eine radikale personelle Erneuerung durchmachen, denn neben Gijsen und Bär ist auch Ernst durch einen Nachfolger zu ersetzen. Auch der Rücktritt des Gro-ninger Bischofs Johann Bernard Möller dürfte bevorstehen. Womit außer Simonis nur noch zwei sehr konservative und wenig populäre Bischöfe zurückbleiben würden. Der Vatikan hat die Aufgabe, nun die Weichen für die Zukunft zu stellen.

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