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Holt sie aus den Heimen!

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Zurzeit werden in Österreich 12.000 Pflegekinder von rund 8.000 Pflegefamilien betreut. Trotzdem werden nach wie vor Pflegefamilien gesucht, da allein in Wien immer noch etwa 1.800 Kinder in Heimen leben, während sich die Zahl der Pflegekinder auf 2.300 beläuft.

Es wird immer wieder betont, daß es für Kinder lebensnotwendig sei, Geborgenheit und dauerhafte Beziehungen in einer Familiengemeinschaft kennenzulernen, damit sie sich zu glücklichen und selbstbewußten Menschen entwickeln.

Die Voraussetzungen für eine „Pflegeelternschaft“ werden folgendermaßen umrissen:

• Soziales Engagement,

• Gesundheit der Familie,

• ausreichende Wohnungsgröße,

• entsprechender Leumund,

• geregeltes Einkommen.

So etwa lauten die Zielsetzungen des Vereins „Initiative Pflegefamilien“. Diesen stehen Bemühungen einiger Selbsthilfegruppen gegenüber, die sich unter „grüner“ Schirmherrschaft „Vöga“ (Verein österreichischer Grün-Alternativer) anderslautende Ziele gesetzt haben.

Die Forderung nach bestehender „kompletter Familie“ und nach„geregeltemEinkommen“als Voraussetzung für die Aufnahme eines Pflegekindes geht an einem bestehenden Potential von Frauen vorbei, die — alleinstehend und berufstätig — ihre außerhäusliche Berufstätigkeit zugunsten des Berufs einer Pflegemutter aufgeben würden. Allerdings müßte dieser gesetzlich anerkannt und bezahlt werden.

Damit ließe sich das Anliegen, Kinder aus Heimen herauszuholen, verwirklichen. Schädigungen, die sich vor allem bei Kleinkindern ergeban, könnten dann verhindert werden. Anstatt von mehreren, sich abwechselnden Pflegepersonen großgezogen zu werden, könnten Kinder von nur einer Bezugsperson betreut werden.

Untersuchungen zeigen, daß beispielsweise geringfügige Hirnschäden durch gleichmäßige Bemutterung nach der Geburt abheilen. Im Gegensatz dazu werden Kinder, die mit solchen Schäden in ein Heim aufgenommen werden, dort zu mehrfach Behinderten.

In der Bundesrepublik gibt es übrigens bereits das Erziehungsgeld für Pflegemütter (etwa 7.800 Schilling im Monat). In Österreich fehlt eine solche Einrichtung. Daher mußte eine Glanzinger Kinderschwester, die ein einjähriges, behindertes Kind aufgenommen hatte, dieses zu einer Tagesmutter geben, um ihren außerhäuslichen Beruf und damit die finanzielle Absicherung nicht zu verlieren.

Heute bezahlt das Jugendamt für jedes Pflegekind einen monatlichen Betrag von 3.000 Schilling, das sogenannte Pflegegeld. Für behinderte Kinder gibt es einen Zuschlag von 50 Prozent. Außerdem gibt es die Familienbeihilfe. Die Pflegemutter selbst bekommt jedoch nichts bezahlt und hat weder Versicherungsschutz noch Pensionsanspruch.

Eine Ausnahme gibt es: Der „Verein heilpädagogischer Pflege- und Adoptivfamilien“ in Tirol bezahlt Pflegemüttern ein Gehalt von 4000 Schilling im Monat.

Schon im Jahr 1978 haben sich in Wien 14 Frauen gemeldet, die gegen Bezahlung gern ein Kind bei sich aufgenommen hätten.

Hermann Gmeiner konnte 30.000 Kinder bei „alleinstehenden Pflegemüttern“ in den SOS-Kinderdörfern unterbringen. Er hat damit bewiesen, daß es bei finanzieller und sozialer Absicherung alleinstehenden Frauen, die einen „mütterlichen Beruf“ ergreifen wollen, sehr wohl möglich ist, viele Schädigungen, die bei Heimkindern entstehen können, zu vermeiden.

Es wäre der Mühe wert, herauszufinden, wie viele Frauen welcher Altersgruppe sich für einen Arbeitsplatz „Familie“ interessieren und dafür auch in Frage kämen. Denn vor allen die ganz Kleinen brauchen Mütter! Wenn es hier eine „Marktlücke“ zu schließen gibt, so wäre die Schaffung dieses neuen Berufsstandes doch einer Überlegung wert.

Die Autorin ist freie Mitarbeiterin der Behindertenzeitung „Mobil“.

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