7034493-1989_43_15.jpg
Digital In Arbeit

Homo Politicus Montanus

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Sie haben nicht nur alle Achttausender bestiegen und durchqueren nun den Antarktischen Kontinent zu Fuß, Sie verstehen sich auch als Bergbauer?

MESSNER: Wir haben Kühe, Schafe, einen Esel, Zwergziegen, schottische Hochlandrinder, wir haben Gänse, Truthähne, genügend Hühner für Eier, wir werden im nächsten Sommer auch genügend Schweine haben...

FURCHE: Wo bleibt da die EG-gerechte Spezialisierung?

MESSNER: Wir verkaufen die Überschüsse in einem Bauerngasthaus „Schloßwirt“, das ich mit einer Köchin und Bedienung selbst betreibe. Wirtschaftlich ist es noch negativ, aber es ist die einzige Möglichkeit, heute einen Bergbauernhof biologisch und ökologisch sauber zu betreiben.

. FURCHE:WarumbringenSiedie Produkte nicht auf den Markt?

MESSNER: Da kann ich nicht konkurrieren. Ich müßte den Kühen Kraftfutter füttern und den Schweinen eventuell Hormone spritzen, sonst kriege ich viel zu wenig dafür. Ich verkaufe meine Milch ums Doppelte dessen, das ich von der EG kriegen würde, und wenn ich zuviel Milch habe, weil mein Gasthaus nur sechs Monate im Jahr offen ist, gebe ich sie den Schweinen und diese Schweine, die mit sauberer Milch ernährt worden sind, werden dann im Sommer den Gästen als Schweinebraten präsentiert. Da ich alles selber verkaufe, produziere ich zwar nur die Hälfte, das aber sauber, und kann trotzdem leben. Das ist nach meiner Ansicht eine mögliche Form der Landwirtschaft in den Alpen. Eine andere wäre die Selbstversorgung, ein Bauer sagt also, ich brauche nichts, folglich gehe ich nicht auf den Markt. Die dritte Lösung ist die, und sie wird die einzige sein, die sich hält, daß diese Bauern aus der EG-Konkurrenz ausgeklammert und als Landschaftsgärtner honoriert werden.

FURCHE: Sie malen die Zukunft der Alpen sehr schwarz.

MESSNER: Die Bauern in den Alpen können auf Jahrzehnte hinaus nie mit den holländischen oder Po-Ebene-Bauern konkurrieren. Das ist unmöglich. Ich kann nicht auf einem Hang mit 45 Grad Neigung und mit kargen Böden mit einem Po-Ebene-Bauem konkurrieren, aber unsere Bauern glauben das heute noch, weil man ihnen immer einredet, ihr müßt noch bessere Kühe kriegen, den Wiesen noch besseren Kunstdünger und den Kühen noch besseres Kraftfutter geben, und Hormone, aber davon redet man nicht, dann geben sie soviel Milch, daß es sich trägt. Aber das trägt sich nicht. Der Bauer kann nur überleben, weil er 18 Stunden im Sommer und zehn Stunden im Winter arbeitet, und das ist eine Schweinerei. Für einen Bauern, der oben auf 1500 Meter im Steilhang arbeitet, kostet eine Maschine mehr als er im Jahr verdient.

FURCHE: So weitermachen wäre das Todesurteil für die Alpen?

MESSNER: Das ist es ja schon. Die EG funktioniert so. Ich will mit meinem Exempel sagen: Es geht auch anders. Ich kriege keine Subvention, sondern mache es eben umgekehrt. Die EG gibt es für mich nicht, keinen Milch- und keinen Fleischhandel. Klinkt euch aus der EG aus, und wenn sie in der Po-Ebene und in Holland nicht früher oder später sauber produzieren, geht unsere Gesundheit eh zugrunde. Ich lebe ja auch dauernd im Hotel und leider nicht von meinem Bauernhof allein. Aber ich weiß, wie heute produziert wird, sehe den Bauern täglich zu, und jetzt kommen sie langsam zu mir und sagen aha, so geht es auch. Aber noch sagen sie: Du kannst das nur so machen, weil du das Geld woanders verdienst. Erst, wenn ich sagen kann, schaut's, ich verdien' zwar nicht viel damit, aber ich gebe nicht

mehr aus, als ich einnehme, werden sie hellhörig werden.

FURCHE: Machen Sie sich bewußt zur Vorbildfigur?

MESSNER: Ich mache mich in diesem Fall zur politischen Figur und bin sehr froh, daß bei der Konferenz zum Schutz der Alpen in Berchtesgaden zum wesentlichen Punkt erklärt“ worden ist, daß die Bergbauern als Landschaftsgärtner anerkannt werden müssen. Ihre Leistung muß honoriert werden. Damit werden sie aus der Wirtschaft ausgeklammert, sind nicht mehr Konkurrenten, und die Landwirtschaft in den Alpen kommt eher in ein Gleichgewicht.

FURCHE: Und der Rest der Welt ißt, was die anderen für den Markt produzieren?

MESSNER: Das Essen ist zu billig. Das Fleisch ist fein, das wir heute essen, das Brot phantastisch, aber es ist nicht sauber, und sauber ist es nicht, weil wir es nicht richtig bezahlen. Das Essen ist zu billig im Verhältnis zum Wohnen, Autofahren, Reisen, Telefonieren und zum Strom. Wenn wir es sauber herstellen, ist es viel teurer als heute. Das müssen wir endlich einsehen.

FURCHE: Sie gelten als politisch überaus kritischer Südtiroler, haben kürzlich ein Buch über „Die Option“ geschrieben...

MESSNER: Ich bin dadurch wach geworden, daß man uns die tatsächliche Geschichte lange Zeit vorenthalten hat. Ich habe dann selber nachgelesen und recherchiert und nachgefragt und langsam, mit einigen wenigen Freunden, mir ein Bild gemacht.

FURCHE: Wie alt waren Sie, als Sie merkten, daß man Ihnen die Wahrheit schuldig blieb?

MESSNER: Mit zehn bis 14 Jahren habe ich begonnen, kritisch zu fragen. Am Ende der Volksschule, und eben daheim, und ich habe gemerkt, daß keine Antworten kommen.

FURCHE: Auch in der Familie?

MESSNER: Vor allem in der Familie. In der Schule habe ich nicht so viel gefragt, sondern hauptsächlich daheim, weil ich doch Vertrauen hatte zu meinen Eltern. Das habe ich auch heute noch und ich*habe heute auch im Blick der ganzen Geschichte Verständnis. Aber trotzdem war es nicht richtig. Ich hoffe, daß ich die Kraft habe, meinen Kindern die Geschichte so zu erzählen, wie sie wirklich war, und nicht einem anderen Volk etwas auswischen will.

FURCHE: Was ist es, das Ihnen vorenthalten wurde?

MESSNER: Wir lebten und leben als Deutschsprechende in Italien in einer etwas schwierigen politischen Konstellation, und diese Situation wurde uns immer ungerecht gegen die Italiener erzählt. Sie wurde uns immer als Heldengeschichte oder Opfergeschichte erzählt, nie unter dem Blickwinkel: Auch wir hatten ein Entscheidungsrecht. Wenn es so gewesen wäre, wie es die Südtiroler Lehrer, Eltern, Historiker uns beigebracht haben, müßte ich sagen: Die Südtiroler hatten nie eine eigenständige Regierung, nie eigenständige Köpfe, die hatten überhaupt nix. Das waren arme Ha-scherln, die entweder zufällig die Bauernhelden waren, oder sie wa-

ren Unterdrückte. Also, wir hatten eine Eigenverantwortimg, und wir haben selber Entscheidungen getroffen, unsere Väter, Großväter, Urgroßväter, nur waren diese Entscheidungen halt nicht immer richtig.

FURCHE: Sie haben mit Freunden recherchiert. Wie kamen Sie zu ihnen?

MESSNER: Ich habe relativ früh angefangen, Köpfe anzuziehen oder auch auf sie zuzugehen, und diese kleine, kritische Gruppe, die sich heute das Andere Südtirol nennt, ist zusammengewachsen, weil eben der andere Block einfach gesagt hat: Über die Geschichte reden wir nicht, wir sind die Armen. Dadurch ist der wache Teil der anderen Südtiroler zusammengewachsen und hier hat man gesagt: Also, was weißt du, wie war das wirklich, wo hast du dein Wissen her, was sagt denn dein Vater, und dann haben wir uns die Geschichte neu erarbeitet. Bis heute hat sich die Tageszeitung, die ein Monopol hat, die „Dolomiten“, geweigert, eine Besprechung über

das Buch „Die Option“, also über eine Schlüsselfrage, die bei uns auch heute nicht aufgearbeitet ist, zu bringen.

FURCHE: Wie weit sind Sie in die Politik eingestiegen, wie schaut die Bilanz Ihres Engagements aus?

MESSNER: Ich habe bei mehreren Wahlen einige Politiker mit meiner Glaubwürdigkeit, meiner Stimme, meinem Auftreten, mit finanzieller Hilfe unterstützt...

FURCHE: Sie haben auch Geld gegeben?

MESSNER: Auch Geld gegeben, ja, und meinen Kopf auf ein Werbeplakat stellen lassen und gesagt, ich unterstütze diese Ideen, vor allem grün-alternative Bewegun-

(Piper Verlag)

gen, das Andere Südtirol, das ökologisch bewußte, politisch nicht unbedingt volksparteitreu-rechtere Südtirol. Zum Glück ist die neue Landesregierung viel toleranter und offener, auch den Italienern gegenüber, heute würde ich mir viel schwerer tun, eine so strikte kritische Haltung den führenden Politikern gegenüber einzunehmen. Die junge politische Garde nach Ma-gnago ist ökologischer und sagen wir ruhig offen auch italienfreundlicher. Ich sehe das mit Freuden.

FURCHE: Sie gehen nun also zu zweit zu Fuß durch die Antarktis. Werden Sie nach Ihrer Rückkehr erklären, daß sie nicht aufgeteilt werden darf?

MESSNER: Das sage ich jetzt schon. Aber wenn ich zurückkomme, habe ich eine größere Glaubwürdigkeit, ein Recht, es zu Sagen. Ich kenne die Antarktis dann. Da unten sollen keine Mülldeponien sein, keine Bodenschätze ausgegraben, keine militärischen Stützpunkte gebaut, keine Grenzen gezogen werden, die Menschen sollen dort

Wissenschaft betreiben, Abenteuer erleben vielleicht, aber vor allem null Müll hinterlassen. Die Antarktis - das sind 80 Prozent der Süßwasserdepots der Erde!

FURCHE: Wieviel Müll hinterlassen denn Sie?

MESSNER: Wir fliegen alles wieder aus. Wenn wir scheitern, müssen wir auch auf jeden Fall dafür sorgen, daß unsere Ausrüstung nicht liegenbleibt. Unseren Müll nehmen wir auf jeden Fall wieder mit. Wir möchten ja nicht nur sagen: Die Antarktis gehört nicht den USA, nicht den Russen, nicht den Kanadiern und nicht den Chilenen, sondern der Menschheit. Wir wollen auch sagen: Wenn jemand dort hingeht, hat er die Verpflichtung, alles, waser dabei hat, wieder rauszubringen. Er darf dort nichts lassen. Einst wollte man dort den Atommüll lagern!

FURCHE: Auf die Achttausender klettert Ihnen keiner nach, aber haben Sie nicht die Befürchtung, in der Antarktis zum Pionier eines Abenteuertourismus zu werden?

MESSNER: Man kann die Achttausender um ein Hundertfaches leichter nachmachen. Dieses Abenteuer ist von der Logistik, Finanzierung und Vorbereitung her so komplex, daß die meisten, die das versuchen, daran scheitern werden. Viele haben daran gedacht, keiner hat es noch angepackt, zu Fuß, mit eigenen Kräften. Sie sind nicht einmal an den Rand des Eises gekommen, so schwierig ist das.

FURCHE: Die zahlungskräftigen Abenteuerreisenden werden halt mit Hunden gehen.

MESSNER: Jaja, ein bisserl am Rand spazieren. Wenn sie ihren Müll wieder raustragen, ist es nicht schlimm, das würde ich nicht kritisieren.

FURCHE: Sie werden älter... MESSNER: Jeder wird älter!

FURCHE: Sie sind ein Mensch, der das Abenteuer braucht. Könnte der Einsatz für Umwelt und politische Ziele den Abenteuercharakter bekommen, den Sie brauchen?

MESSNER: Ich bin, glaube ich, schon fähig, mich nach einigen Umstellungen in meinem Leben, vom Freikletterer zum Expeditionsbergsteiger in großen Höhen, jetzt zum Abenteurer in der Weite, noch einmal umzustellen. Ich werde dann vermutlich Bergbauer oder bin es ja eigentlich schon, ich versuche, in Südtirol eine biologisch-dynamische Landwirtschaft zu betreiben.

FURCHE: Also eine anthroposo-phische?

MESSNER: Nicht ganz. Ich bin nur zum Teil Steiner-Anhänger, vieles schaue ich nicht von ihm ab, sondern von den Bauern im letzten Jahrhundert.

FURCHE:Was?

MESSNER: Eine autarke Landwirtschaft. Es wird dann automatisch so sein, daß meine Energie, wenn sie nicht mehr in die Antarktis oder auf die Achttausender fließt, in politische Diskussionen, in politische Bücher, in Auseinandersetzungen dieser Art fließt, das ist ganz klar. Aber wahrscheinlich weniger als konkreter Politiker, als Vertreter irgendeiner Gruppe in einem Parlament oder einer Dorfgemeinde, das liegt mir nicht. Ich bin ein Einzelwesen und ein Einzeldenker und ein Durcheinanderbringer von Ideen vielleicht ab und zu, das reicht mir schon. Ich muß nicht unbedingt eine Gruppe vertreten. Ich glaube, da würde ich so viel streiten und mich so viel ärgern, daß ich zu viel Energie verbrauchte.

Mit Reinhold Messner sprach Hellmut Butterweck.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung