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Homöopathische Kuren

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Der Energiepessimismus scheine nunmehr einer gewissen Energienaivität gewichen zu sein, erklärte vor kurzem ein österreichischer Wirtschaftsexperte. Nachdem sich die Katastrophenpanik im Gefolge des arabischen ölboykotts wieder besänftigt hat und seither sehr viel von Erdölüberschüssen die Rede ist, dominiert in weiten Kreisen — bedauerlicherweise auch in denen vieler aktiver Politiker — die Ansicht, das Energieproblem könne mit pathetischen Sparaufrufen, publicityträchtigen Einzelaktionen und marktfremden Tarifgestaltungsvorschlägen gelöst werden.

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Der Energiepessimismus scheine nunmehr einer gewissen Energienaivität gewichen zu sein, erklärte vor kurzem ein österreichischer Wirtschaftsexperte. Nachdem sich die Katastrophenpanik im Gefolge des arabischen ölboykotts wieder besänftigt hat und seither sehr viel von Erdölüberschüssen die Rede ist, dominiert in weiten Kreisen — bedauerlicherweise auch in denen vieler aktiver Politiker — die Ansicht, das Energieproblem könne mit pathetischen Sparaufrufen, publicityträchtigen Einzelaktionen und marktfremden Tarifgestaltungsvorschlägen gelöst werden.

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Tatsächlich muß aber das Energieproblem in seiner Gesamtheit gesehen werden, wobei vor allem sämtliche Substätutionsmögliohkeiten für die jeweils knappen Energieträger ins Kalkül gezogen werden müssen. Mit homöopathischen Kuren ist dabei freilich nichts auszurichten.

Im der letzten Dekade ist der österreichische Energieverlbrauch um nicht weniger als 50 Prozent gestiegen. Dabei hat der Anteil der importierten Energieträger am gesamten Energieaufkommen Österreichs bereits ein Ausmaß von mehr als 60 Prozent erreicht. Aber auch wenn in Zukunft diese Steigerungsrate reduziert wird und die inländischen Ressourcen forciert ausgebaut werden, rechnen Experten damit, daß die Importabhängigkeit bis 1985 bereits die 80-PTozenit-Grenze erreicht haben wird.

Die Abhängigkeit unseres Landes von der mternationalen Politik sowie dem Weltmarktaufkommen und den Weltmarktpreisen für Energieträger wird damit immer größer. Desgleichen nimmt .unsere Verwund-barkeit in diesem Punkt konstant zu.

Die Notwendigkeit legistischer und ökonomischer Maßnahmen zur Verbreiterung und Konsolidierung der Energiebasis ist evident. Bedauerlicherweise ist alles, was da nun bereits seit Jahren beraten Wird, in der definitiven Form, die es nun anzunehmen scheint, der Größe der Aufgabe durchaus nicht adäquat. In Ausarbeitung befindet sich ein Eneigiesicherungsgesetz, welches der Elektrizitätswirtsohaft eine Versorgungspflicht auferlegen soll, was aber im Fall einer echten Mangelsituation und einer neuerlichen forcierten internationalen Preissteigerung für Energieträger eher platonisch sein dürfte. Von einer ausreichenden Krisenibevorratung mit Energierohstaffen und ihrer Finanzierung, welche uns einzig und allein durch Engpässe hindurchhelfen könnte, ist hingegen nicht mehr die Rede.

Auch der groß angekündigte Energieplan von Minister Stari-bacher zeigt wenig substantielle Fortschritte gegenüber dem bisherigen Stand, nämlich gegenüber dem Energiewirtschaftsgesetz, dem Gesetz für Energieaußenhandel in Notzeiten, dem Gesetz für Kernkraftwerke und Pipelines und der Schaffung eines Koordinationsorgans für Erdgas.

Auf diesem Gesetaesfundament wurde dann das koordinierte Aus-bauprogramim von 1971 errichtet, das zwar fühlbare Verbesserungen bei der Kooperation zwischen den Energieträgern brachte, aber noch lange keine Generalsanlierung des Problems bedeutet. Der neue Plan geht nun aber bloß in mehr oder minder Nebensächlichem darüber hinaus. Gerade so wichtige Probleme wie die Energiesparforschung oder die Auffindung neuer Energieträger werden stiefmütterlich behandelt.

In erster Linie visiert der Plan den Ausbau der Kraftwerkskapazität an, wobei Atomkraft Priorität hat. Bis 1985 sollen nicht weniger als fünf nukleare Kraftwerke ungefähr gleicher Dimension wie Zwentendorf entstehen.

Bei solch eindeutiger Orientierung wirkt die Enunziation des Bundeskanzlers am vorletzten Sonntag, es werde ein Referendum über den Bau von Atomkraftwerken abgehalten werden, etwas fragwürdig. Was, wenn — und dies ist durchaus nicht auszuschließen — die Majorität der Bevölkerung gegen den Bau ist? Der ganze Energieplan wäre über den Haufen (geworfen. Gewiß, man darf — wie die Erfahrung lehrt — nicht alle Ankündigungen des Kanzlers für bare Münze nehmen, aber auch abgesehen davon sind — in Österreich wie auch im Ausland — die Widerstände gegen die Atomkraft im Zunehmen begriffen, wie zahlreiche BüTgerinitiatiiven beweisen*

Auch in Fachkreisen ist die Diskussion über die Sicherheit der Atommeiler neu aufgeflammt. Abgesehen davon, stellt es sich immer deutlicher heraus, daß nukleare Energie — entgegen den seinerzeitigen Erwartungen — alles andere als billig ist. Dennoch 'halben wir, wenn der Energiebedarf weiter stark zunimmt, keine Alternative, da die Entwicklung anderer Formen der Energiegewinnung Jahrzehnte in Anspruch nehmen wind.

Gewiß können alle diese Probleme weder vom Ministerrat noch vom Parlament mit einem Federstrich gelöst werden. Alber man sollte wenigstens die Energienaivität ablegen und nicht glauben, mit einigen Showeffekten ein Problem von solchen (Dimensionen erledigen zu können.

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