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Hongkong vor der Wende

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Hongkong wird 1997, nach 99jähriger britischer Verwaltung, wieder an China zurückgegeben. Damit geht die Stadt einer ungewissen Zukunft entgegen. Doch nach wie vor werden neue Hotels errichtet und Geschäftsbeziehungen mit dem Ausland angebahnt. Besucher haben den Eindruck, daß die Bevölkerung diesen einschneidenden Schritt gar nicht wahrhaben will.

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Hongkong wird 1997, nach 99jähriger britischer Verwaltung, wieder an China zurückgegeben. Damit geht die Stadt einer ungewissen Zukunft entgegen. Doch nach wie vor werden neue Hotels errichtet und Geschäftsbeziehungen mit dem Ausland angebahnt. Besucher haben den Eindruck, daß die Bevölkerung diesen einschneidenden Schritt gar nicht wahrhaben will.

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Uschi Moser, eine Schweizerin, die seit mehr als zehn Jahren in Hongkong lebt, erklärt im Gespräch mit der FURCHE, daß die Bewohner Hongkongs nur in Fünf-Jahres-Zeitspan-nen denken und planen. So ist es auch nicht verwunderlich, daß 1993 noch neue Hotels errichtet werden. „Diese Hotels werden 1994 bezugsfertig sein”, sagt sie, „und da die Hotels in Hongkong während des ganzen Jahres zu 90 Prozent ausgelastet sind, werden sie bereits ab 1996 einen Gewinn abwerfen.

Hongkong, mit seiner fortschrittlichen Technologie, tonangebenden Architektur und allem Komfort der Neuzeit, gehört zwar zu den modernsten Städten der Welt, doch ist es kulturell immer noch eine asiatische Stadt. Ein Blick zwischen die modernen Wolkenkratzer auf eine der belebten Straßen mit der Vielfalt an chinesischer Kalligraphie auf Straßen- und Ladenschildern genügt, um zu begreifen, daß das Kulturerbe von Hongkong chinesisch ist. Wer früh am Morgen durch einen Park in das Zentrum schlendert, kann Bewohner beim Ausführen der langsamen, exakt einstudierten Tai Chi Chuan-Übungen beobachten. Viele gehen mit ihrem Lieblingssingvogel spazieren, ehe sie mit ihm das Teehaus aufsuchen.

Obwohl die Hongkong-Chinesen den Lebensstil des 20. Jahrhunderts ihr eigen nennen, halten sie wie eh und je an ihren althergebrachten Sitten und Bräuchen fest. Es gibt noch immer böse Geister, vor denen man sich schützen muß, „unglückliche” Zahlen (beispielsweise die Ziffer „4” bedeutet Unglück und Tod), die man unter allen Umständen meiden, und Drachen, denen man gebührenden Respekt zollen muß. So wurde beispielsweise am Rande Hongkongs ein Hochhaus mit einem riesigen „Loch” errichtet, damit der „Drache, der am Berg wohnt, ungehindert auf das Meer sehen kann”.

Nach zwei Jahren zäher Verhandlungen unterzeichneten die Ministerpräsidenten Großbritanniens und Chinas am 19. Dezember 1984 ein Abkommen über die Zukunft Hongkongs, das am 27. Mai 1985 ratifiziert wurde. Es sieht vor, daß Hongkong nach 1997 auf die Dauer von 50 Jahren den Status einer halbautonomen Sonderverwaltungszone (Spezial Administrative Region) Chinas erhalten werde, wobei Hongkong auch weiterhin sein „kapitalistisches” Wirtschaftssystem, seine Währung, die Politik des freien Marktgeschehens und seinen Lebensstil 50 Jahre lang beibehalten kann.

Alles, was die Bewohner Hongkongs bisher erworben haben, soll weiterhin ihnen gehören. „Das Leben wird genauso weitergehen, wie bisher”, meinte Uschi Moser, die mit ihrem Gatten eine komfortable Vier-Zimmer-Eigentumswohnung besitzt. Derzeit gibt es in Hongkong keine Besteuerung des Gesamteinkommens, es müssen lediglich 16,5 Prozent „Profits Tax” auf Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit, 15 Prozent „Salaries Tax” auf Einkommen aus arbeitnehmerischer Tätigkeit beziehungsweise 15 Prozent „Property, Tax” auf Einkommen aus Mieten/ Pacht für Land, Gebäude et cetera bezahlt werden. Einzelpersonen, die sich jährlich nicht mehr als 60 Tage in Hongkong aufhalten beziehungsweise arbeiten, müssen gar keine Steuern zahlen, selbst dann nicht, wenn sie ein Einkommen haben.

Ob dies auch künftig so sein wird, kann heute noch niemand genau sagen. Finanzexperten und Hongkong-Kenner glauben aber, daß die Chinesen neue Steuern einführen beziehungsweise bestehende Steuern derart anheben werden, daß jeder Ausländer „freiwillig” das Land verlassen wird, wobei all sein Hab und Gut, das er nicht mitnehmen kann - Gebäude, Grundstücke -, der chinesische Staat kassieren wird.

Da Hongkong über keinerlei eigene Rohstoffquellen verfügt, ist es auf die Einfuhr von fast allen Lebensmitteln angewiesen. Es liegt jedoch strategisch sehr günstig und verfügt über einen ausgezeichneten natürlichen Hafen sowie über eine tatkräftige und unternehmerisch denkende Bevölkerung. Die über 50.000 Betriebe der „herstellenden Industrie” exportieren etwa 90 Prozent ihrer Produkte.

Die leichte Konsumgüterindustrie dominiert. Rund 65 Prozent aller Arbeitsplätze entfallen auf die Bereiche Bekleidung und Textilien, Elektronik, Plastikprodukte, Spielwaren und Uhren. Produkte dieser Wirtschaftszweige machen 80 Prozent von Hongkongs Eigenexporten aus.

Innerhalb der verschiedenen Branchen hat es in den letzten Jahren beachtliche Veränderungen und Verbesserungen gegeben. Viele der einfachen Produkte sind zugunsten von anspruchsvolleren eingestellt worden. Dies hat zu einer technischen Qualifizierung der Betriebe und zu höheren Qualitätsanforderungen geführt. Diese Entwicklung ist zum einen durch die wachsende Konkurrenz aus Billiglohnländern noch verstärkt worden, zum anderen spielt aber auch das Produktionsminus auf einigen Märkten Hongkongs eine Rolle.

Führende Handelsnation

Hongkongs Erfolg als führendes Dienstleistungs-und Produktionszentrum Asiens gründet sich auf seine freie Marktwirtschaft, den freien Handel und auf die exzellenten Kommunikationsmöglichkeiten mit der übrigen Welt. All das hat Hongkong zur elftgrößten Handelsnation der Welt gemacht. Derzeit gibt es rund 600 Firmen, die entweder ganz oder teilweise ausländischen Investoren gehören. In diesen Firmen arbeiten zwölf Prozent der Hongkonger Industriebeschäftigten. Mit 34 Prozent Anteil ist die USA seit langem der größte ausländische Investor, gefolgt von Japan (26,8 Prozent), China (11,3 Prozent) und Großbritannien (neun Prozent).

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