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Honigland - Bitter land

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T and, mein Land, das alte FraL gezeichen aus dem alten Sagenbuch! Salzland, Honigsüß- und Bit'terland der Tränenquellen, grünes, gelbes Roggenland, verdammt! . . . Fett und Dreck und Rost rinnt alten Gäulen aus den Mäulern, bis zum Hals steck ich im Sumpf. . . Dieses Keinland, Meinland, schläfrig trunken, schlapp und matt im Suff . . . , singt Wyssozki und dreht deine Seele durch den Fleischwolf seiner heiseren, zornbebenden Kehle.

Wenn ich dich so dahocken sehe, heute wie damals, das tränennasse Gesicht zwischen den Lautsprechern des Kopfhörers, die wie übergroße Ohren sind, muß ich an eine verirrte, zausige Fledermaus denken, die an fremdem Ort der Erinnerung an die Felsnischen nachhängt, in denen sie einmal genistet hat.

Ist das .derselbe Mann, der bei jeder Gelegenheit betont, er .habe keine Heimat, er brauche auch keine, sein Land hal;>e sc.hoi;i lange vor seiner Geburt aufgehört zu existieren? Der sich und,allen schwor, nie wi????der seinen Fuß in dieses Land zu setzen, der auf den Boden spuckte vor Verachtung und kein gutes Haar an ihm ließ, als er noch dort lebte? Der fortging, immer noch fortgeht, auch wenn es dieses Land,

das er verließ, längst nicht mehr gibt. Dieser gottlose, gnadenlose, kompromißlose, heimatlose Fremde - welcher Fluch dich wohl verfolgt? ... .

Wenn es nicht deines ist, so laß .es meines sein: Land, in dem alles schief ist, verkehrt, das Alte zertreten, verkommen, das Neue fremd, in dem keine Fenster schließen·und die Türen klemmen, die Autobusse ächzen und regelmäßig ihren Geist aufgeben und die Samoware nur mehr auf den Plakaten des staatlichen Reisebüros dampfen .. Land, in dem die dunklen Geschäfte florieren und der einzige Schmuck der Auslagen die Eisblumen an den Scheiben sind. Betrunkene liegen dort auf der Straße, und Stiegenführen nirgendwohin. Kinderwagen haben drei Räder und Apotheken keine Watte. Städte sind Dörfer und Dörfer unbewohnbar wie Wüsten, Klöster sind Fabriken und Schulen Kasernen. Vergangenheit ist Gegenwart und Frieden nichts anderes als ein aufgeschobener Krieg. Und das Wurzelgeflecht de's Schweigens ist alt wie die menschliche Sprache . . .

Und doch ist sein Lachen einzig auf der Welt

Dröhnend klettert es die Wände hoch, polternd torkelt es die Stiegen hinunter, wiehernd galoppiert es zur Stadt hinaus, schluchzend wälzt es sich im Gras, verläuft sich gicksend zwischen den weißen Stämmen der Frühlingsbirken. Ein Picknick von Freunden findet hier statt, und Boris, der auch bei Ausflügen auf sein elegantes Aussehen nicht verzichten will und seine neue Hose anhat, kann sich den · Dreck darauf nicht erklären. Das kann nur Lehm sein, sagt ei:, ich hab vorhin die Tasche in so einen Haufen gestellt und beim Tragen . . . Dimas Blick ist prüfend auf den braunen Fleck ·gericbtet, dann beugt er seinen Kqpf schm1p„ pernd zu Boris' Wade herunter. Scheiße ist das, mein Freund, Scheiße . . .

Mit einem vorsintflutlichen Motorboot aus Armeebeständen - Dimas Vater ist General - sind wir, sechs Erwachsene und drei Kinder, die Moskwa hinaufgefahren, um uns abseits der übervölkerten Ausflugsziele dem Müßiggang zu überlassen. Inna ist auf der Suche nach frischem Sauerampfer in den Büschen verschollen, ihre fünfjährige

Tochter heult, weil ihr Iljuscha und Jura keine Ruhe lassen. Die beiden Väter, Dima und Vadim, haben es aufgegeben, den Kindern Blumen und Käfer zu erklären, und drohen in den Lachpausen nur matt, den Buben den Hintern zu versohlen und die Heulsuse in den Fluß zu werfen. Hingebungsvoll präparieren sie ihre Schaschlykspieße, während Boris die Bescherung auf seiner Hose studiert und sich den Spott der Freunde gefallen lassen muß. So eine Hose bekommt man nicht alle Tage, und sie kostet einen halben Monatslohn. T????otzdem sind die Tränen auf Boris' Wangen kein Zeichen von Untröstlichkeit, ganz im Gegenteil. Unbändige Heiterkeit ist -es, die ihn zum Weinen bringt.

Veine Tragik ohne Komik. Ob es ????der sterbenskranke General- . sekretärderKommunistischenPartei ist, dessen verlorener Blick verrät, daß es ihm nicht um die große Rede geht, die er gleich vor den Augen der Welt halten wird, sondern darum, wie er, ohne zu stolpern, das Podium erreicht, oder das verlorene Gebiß des Quartalsäufers aus unserem Haus, das ein Nachbar

im Hof fand, Mißgeschicke oder Makabres - es blüht der Witz, das Wortspiel, die Phantasie, die Selbstironie. Unerschöpflich sind die Anekdoten, die auf dem Boden „ unserer sowjetischen Wirklichkeit" wuchern, die politischen Witze und respektlosen Anspielungen, und nur allzuleicht vergißt man, daß man es sich gut überlegen muß, in welchem Kreis man sie zum besten gibt.

Ein schönes Geschenk machte das Arbeiterkollektiv des Minsker experimentellen Werks für Baumaschinen dem 24. Parteitag. Es pro ·duzierte das erste Exemplar eines gigantischen Baggers mit einem Fassungsvermögen der Scnaufe( von fünfundzwanzig Kubikmetern . . . Die Produktion von Milch und Fleisch verdoppelt hat in den . letzten zwei Planjahrfünften die Sowchose Maletsch im Brester Gebiet. Der Getreideverkauf ist auf das 3,2fache und der von Kartoffeln auf das 2,4fache gestiegen. „

Auszug aus dem im August erscheinenden Werk: HONIGLAND - BITTERLAND. Ein Roman aus Moskau. Von Marion Jerschowa. Styria Verlag, Graz/Wien/.Köln 1990. 320 Seiten, öS 250,-.

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