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Hü und Hott im Steuerdschungel

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Der Finanzminister durfte nicht, die ÖVP hat zumindest mehr oder weniger konkrete Vorschläge einer längst überfälligen Steuerreform auf den Tisch gelegt. Aber ohne Abbau von Tabus wird es nicht gehen.

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Der Finanzminister durfte nicht, die ÖVP hat zumindest mehr oder weniger konkrete Vorschläge einer längst überfälligen Steuerreform auf den Tisch gelegt. Aber ohne Abbau von Tabus wird es nicht gehen.

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Von vielen Seiten wird moniert, die österreichische Lohn- und Einkommensteuer sei so komplex, daß sich kein Mensch mehr auskenne. Daher müsse man, so die Forderung, die zahllosen Ausnahmeregelungen reduzieren und könne dann — bei gleichem Steueraufkommen — auch die Grenzsteuersätze senken und die Progression mildern.

Wirtschaftspolitisch eine zweischneidige Sache: denn die Sonderbestimmungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) haben zumindest zwei Funktionen.

Erstens setzen sie Verhaltensanreize, zum Beispiel durch Steuerminderung bei Sparen und Investieren. Diese Anreize sind gerade bei hohen Grenzsteuersätzen wirksam. (Man denke etwa an den Erfolg der treffend so genannten Genußscheine.) Tarifsenkungen reduzieren diese Steuerungsmöglichkeit.

Zweitens hat jede Ausnahmeregelung eine Lobby, die sich gegen deren Beseitigung wehrt: gerade diese Ausnahme sei gerecht, oder leistungsfördernd, oder verwal-tungsvereinfachend, oder alles zusammen.

Die,bekanntgewordenen Pläne von Finanzminister Herbert Saldier waren tendenziell der eingangs genannten, eher liberalen als etatistischen Reformidee verpflichtet. Nicht unerwartet wurde der Finanzminister zurückgepfiffen.

Es ist unmöglich, die Tarife deutlich zu reduzieren, ohne sich an den heißen Eisen der Lohnsteuer-Sonderbestimmungen die Finger zu verbrennen: der Begünstigung von Uber stunden und Abfertigungen und der weitgehenden Steuerfreiheit des 13. und 14. Monatsgehalts, abgesehen von den Werbungskostenpauschalierungen bestimmter Berufsgruppen und den diversen Absetzbeträgen.

Von diesen Sonderregelungen sind fast ausnahmslos Arbeitnehmer betroffen, die primäre Zielgruppe der SPÖ. Von der anschließenden Einkommensteuer-Tarifsenkung würden jedoch auch die Freiberufler, die Gewerbetreibenden usw. profitieren.

Das hält die SPÖ offenbar politisch nicht durch. Eine symmetrische Beteiligung der Selbständigen könnte an den Investitionsbegünstigungen kaum vorbeigehen: noch ein Tabu müßte angekratzt werden. (Ohne gründliche analytische Vorarbeiten sollte diese Frage auch nicht angegangen werden.)

Die jüngst veröffentlichten Steuerreformpläne der ÖVP zollen dem Ziel einer allgemeinen Tarifsenkung der Einkommensteuer nur ein Lippenbekenntnis. In einer 3. Phase der vorgeschlagenen Reform (um 1993) sollte die „Tarif progression" (=?) um zwanzig Prozent verringert werden, „bei gleichzeitiger Reduktion von Steuerausnahmebestimmungen" — welchen, wird nicht gesagt.

Konkret ist jedoch eine Reihe von Vorschlägen der ÖVP, die kurzfristig verwirklicht werden sollen. Die meisten davon ändern am gegenwärtigen Einkommensteuer-System grundsätzlich nichts, bauen aber bestehende Begünstigungen für den Unternehmensbereich — Investitionen, Umweltschutz- und Forschungsaufwendungen — weiter aus.

Sicherlich diskutabel sind einzelne Vorschläge zur Risikokapitalbildung und Beseitigung der gegenwärtigen Doppelbesteuerung von Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften (die im übrigen auch von der Regierungskoalition angestrebt wird).

Äußerst problematisch ist jedoch die angepeilte zwanzigpro-zentige Steuersenkung für gewerbliche Klein- und Mittelbetriebe. Hier wird gleich doppelt diskriminiert: zu Lasten der nichtgewerblichen und innerhalb der gewerblichen Einkünfte.

Ähnliche Fragen stellen sich bei der an sich interessanten indirekten Lohnsubventionierung für Jugendliche: Wird am Ende die Entlassung Nicht jugendlicher unabsichtlich gefördert? Man müßte die voraussichtlichen Effekte zum Beispiel mit den Wirkungen des seinerzeitigen, anders strukturierten Invalideneinstellungsgesetzes vergleichen.

Die Anhebung der Absetzbeträge schließlich (2. Reformphase) ist fiskalisch teuer und bedeutet bei Beibehaltung der gegenwärtigen Grenzsteuersätze eine weitere Verschärfung der Progression; dessen scheinen sich die ÖVP-Steuerprogrammautoren nicht bewußt zu sein.

Die Reformideen Salchers waren — soweit bekannt — ein Paket aus Begünstigungen und Belastungen. Die VP-Vorschläge sind weder auf kommens- noch verteilungsneutral, tun aber unmittelbar niemandem weh; mißt man sie am Endziel der allgemeinen Tarifsenkung, so bleibt unklar, wie der Weg dahin führt.

Bei bescheideneren Ansprüchen sind die VP-Steuerreform-pläne in Details erwägenswert, wenn man im Auge behält, daß sie das Budgetdefizit im allgemeinen erhöhen.

Im übrigen könnte man abschließend darauf hinweisen, daß die Vorstellung, Lohn- und Einkommensteuer seien in Österreich besonders hoch, fragwürdig ist.

1981 - und seither dürfte sich kaum etwas geändert haben — liegt die Summe aus Lohn- und Einkommensteuer-Aufkommen (in Prozent des Sozialprodukts) um 13 Prozent unter dem OECD-Europa-Durchschnitt und niedriger als in Deutschland, den USA und der Schweiz (!).

Deutlich über dem Durchschnitt liegen hingegen die indirekten Steuern mit plus 17 Prozent und die Sozialversicherungsbeiträge mit plus 33 Prozent (siehe Tabelle).

Eine Vereinfachung des Einkommensteuer-Systems mit besserer Durchschaubarkeit und einer Reduzierung der Grenzsteuersätze könnte insofern beitragen, den verbreiteten Einkommensteuer-Verfolgungswahn der Österreicher zu dämpfen.

Der Autor ist Universitätsprofessor und Vorstand des Instituts für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien.

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