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Hürden auf dem Weg nach Brüssel

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Die Möglichkeit eines Beitritts Österreichs zur EG ist derzeit in der politischen Diskussion inner- und außerhalb unseres Landes ein „Nicht-Thema”. Freilich könnte sich diese Frage schon im Laufe der nächsten Jahre sehr wohl zu einem Thema entwickeln.

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Die Möglichkeit eines Beitritts Österreichs zur EG ist derzeit in der politischen Diskussion inner- und außerhalb unseres Landes ein „Nicht-Thema”. Freilich könnte sich diese Frage schon im Laufe der nächsten Jahre sehr wohl zu einem Thema entwickeln.

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Zur Sprache gebracht wurde ein Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft im Laufe des vergangenen halben Jahres dreimal, und dies von kompetenter Seite. Im Sommer letzten Jahres sprach Vizekanzler Handelsminister Norbert Steger bei der Eröffnung der Dornbirner Messe von der Wünschbarkeit eines EG-Beitritts Österreichs unter Neutralitätsvorbehalt.

Dieser Ball wurde im Ausland unter anderem von einem rührigen jungen Mitglied des Europäischen Parlaments der EG, dem deutschen Abgeordneten Hans-Jürgen Zahorka, aufgefangen. Er richtete eine diesbezügliche Anfrage an das Europäische Parlament, zu der allerdings bis heute eine befriedigende Antwort aussteht.

Unabhängig davon wurde in der Herbstsession der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg ein Bericht über die künftigen Aufgaben dieser Organisation vorgelegt, in dem ebenfalls die Beitrittsmöglichkeit der drei neutralen Staaten Schweden, Schweiz und Österreich zur Europarat-,JConkur-renz”, der EG, behandelt wurde.

Der Verfasser dieses Berichts, der Norweger Harold Lied, legte insbesondere den Blick für die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Europarat und EG frei Dabei hielt er ausdrücklich fest, daß keine der beiden Institutionen ohne enge Zusammenarbeit mit der anderen einen Beitrag zur europäischen Integration zu leisten in der Lage ist.

Falls die EG jedoch, wie es in jüngster Zeit den Anschein hat, ihren an starken supranationalen Institutionen orientierten Versuch einer Einigung Europas zugunsten größerer Flexibilität aufgeben sollte, so wäre eine der denkbaren Folgen ein Aufgehen des Europarates in der EG. Lied betont in seinem Bericht, daß Voraussetzung für diesen Prozeß ein Ausnahmevertrag sei, mit dem sich die drei erwähnten Neutralen von allen neutralitätswidrigen Aktivitäten fernhalten könnten.

Zurück zur EG: Zahorka, der sich mit der Ansicht, ein EG-Beitritt Österreichs würde von beiden Seiten von Nutzen sein, im Europäischen Parlament durchaus nicht allein weiß, legte vor kurzem auf Einladung der Europäischen Studentenvereinigung Österreichs (EStö) und der Europa-Union Tirol seine Argumente in einem Vortrag in Innsbruck vor. Sie decken sich weitgehend mit den Anliegen Stegers.

Im wissenschaftlich-technischen Wettlauf zwischen Japan und den USA im Bereich der Mikroelektronik könne nur ein integriertes Europa mithalten; Österreich könne sich sowohl aus eigener als auch aus europäischer Sicht einer intensivierten Zusammenarbeit nicht verschließen. Der weltweite gesellschaftliche Umbruch, der unsere Industriegesellschaft durch die kommende Informationsgesellschaft ablösen und die weltweite Arbeitsteilung revolutionieren wird, steigere dies zur Notwendigkeit.

Freilich, dies klingt sehr nach „Hyperstaat” bis hin zur Idee eines technizistischen Weltstaats. Daran ist heute kaum noch jemand ernsthaft interessiert. Die zunehmende Auflösung des Nationalstaatsgedankens zielt heute, im Gegensatz zu den sechziger Jahren, nicht mehr auf einen möglichen „Superstaat”.

Vielmehr ist die Souveränitätsverschiebung nach „oben” in Richtung eines integrierten Europa eng mit dem Gedanken eines Europas der Regionen gekoppelt. Und hier wird ein integriertes Europa wieder interessant: Es vermag dem Bedürfnis nach kooperierenden kleinen Einheiten eher gerecht zu werden als die antiquierte Nationalstaatsordnung.

Was nun schlägt Zahorka vor? Osterreich könne und solle als ersten Schritt in Richtung eines EG-Beitritts stärkere Ankoppelungs-versuche unternehmen. Technisch-wissenschaftliche, kultur-, entwicklungs- und umweltpolitische Zusammenarbeit, Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse und die Ausweitung der in der EG bestehenden Freizügigkeit von Arbeitskräften nannte er als mögliche Ansatzpunkte.

Ein aktueller Exkurs zum Thema EG-Transitverkehr durch Osterreich: Das Europäische Parlament hat im Budgetentwurf 1985 insgesamt zehn Millionen ECU (160 Millionen Schilling) als Zuschuß für den Bau der Pyhrnau-tobahn vorgesehen; der EG-Ministerrat hat diesen Betrag jedoch wieder gestrichen.

Der Feststellung Zahorkas, die Mitgliedschaft^ eines neutralen Staates wie Österreich bei der EG unter Neutralitätsvorbehalt sei keine völkerrechtliche, sondern ausschließlich eine politische Frage, wurde bei allem Interesse für diesen Gedanken in Innsbruck energisch widersprochen.

Der Innsbrucker Völkerrechtler, Univ.-Prof. Waldemar Hummer, stellte fest, die herrschende österreichische Völkerrechtslehre stehe „wie ein monolithischer Block” gegen eine EG-Mitgliedschaft Österreichs, sei sie auch unter Neutralitätsvorbehalt. Der österreichische Staatsvertrag und etliche neutralitätsrechtliche Überlegungen ließen dies nicht zu.

Gleichwohl macht sich in Österreich, etwa vom Innsbrucker Minderheitenexperten Univ.-Prof. Fried Esterbauer seit langem vertreten, eine Gegenmeinung breit. In den letzten Jahren haben auch die Habilitationsschriften von Michael Schweitzer und Manfred Rotter neutralitätsrechtliche Bedenken gegen einen EG-Beitritt Österreichs Punkt für Punkt widerlegt.

Die Zukunft wird zeigen, welche der beiden wissenschaftlich jeweils anders fundierten Ansichten obsiegen wird. Unabhängig davon wird bei diesem Gedankenspiel die Sowjetunion politisch und diplomatisch ein Wörtchen mitzureden haben.

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