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Human oder indifferent?

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Neue demoskopische Erkenntnisse über den Antisemitismus in Österreich emotionalisierten die öffentliche Meinung und schieden die Geister. Österreich erfuhr dabei nicht nur Negatives über sich selbst, sondern auch einiges Positive.

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Neue demoskopische Erkenntnisse über den Antisemitismus in Österreich emotionalisierten die öffentliche Meinung und schieden die Geister. Österreich erfuhr dabei nicht nur Negatives über sich selbst, sondern auch einiges Positive.

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Es schlagen uns stets Stunden der Wahrheit, meist ungemütliche Stunden der Wahrheit, wenn, so wie etwa 1976,1980,1988 und soeben wieder, die Ergebnisse von Umfragen über den Antisemitismus in Österreich vorgelegt werden. Die Kritik an der Methodik der Umfrage gehört dabei zum Ritual. Und so mancher, der es gewohnt ist, sich in seinem ökonomischen Wirkungskreis an Umfrageergebnissen zu orientieren und dabei auf die Meinungsforscher zu verlassen, wird zum kritischen Hinterfra-ger, wenn es um den Antisemitismus geht.

So auch diesmal. Aber diesmal kam noch etwas dazu, was vielen ein Ärgernis war. Nämlich, daß die Umfrage von einer amerikanischen jüdischen Organisation in Auftrag gegeben worden war. Durchgeführt haben sie freilich österreichische Meinungsforscher (Gallup-Institut). Wie an jeder Umfrage, kann man auch an dieser Detailkritik üben.

Aber man darf Kritiker, die besondere „Fallen" für Österreich zu finden meinten, auch daran erinnern, daß die Frage, welche die unverblümtesten, eingeschworensten Antisemiten aus der Reserve lockt, zu den Standardfragen zählt, die in Österreich seit 1976 gestellt werden.

Sie lautet: „Wie sehr stimmen Sie der folgenden Aussage zu: Wenn ich einem Juden die Hand gebe, fühle ich ein Gefühl des persönlichen Widerwillens." Mögliche Antworten: Lehne ich voll ab, lehne ich eher ab, stimme sehrbeziehungsweiseeher zu, weder noch.

Die jüngste Untersuchung enthält eine sehr schlechte und eine halbwegs gute Nachricht. Die schlechte Nachricht: Der Antisemitismus in Österreich hat seit der letzten Umfrage (1988) entweder erheblich zugenommen, oder Leute, die ihren Antisemitismus früher im Gespräch mit den Meinungsforschern verbargen, bekennen sich nun dazu, oder, die wahrscheinlichste, von den meisten Fachleuten geteilte Ansicht, beide Deutungen ergänzen einander.

Die gute Nachricht: Jene Befragten, die mit dem Antisemitismus nichts im Sinne haben, sind in einer absoluten Mehrheit. Aber dies muß leider relativiert werden. Nur 39 Prozent sind vor antisemitischen Anwandlungen so gefeit oder haben sich so „radikal" vom Antisemitismus verabschiedet, daß sie die Frage nach persönlichem Widerwillen beim Händedruck mit einem Juden voll ablehnen. Die übrigen 13 Prozent zur absoluten Mehrheit tun es nur eher.

Die Zahl derer, die den Satz voll oder eher ablehnen, sank von 1976bis 1986/87 von 82 auf nur noch 74 Prozent, heute haben sie gerade noch eine knappe „Absolute" von 52 Prozent. Noch schlimmer: Gerade der entschiedene Widerstand gegen den-„härtesten Antisemitismus", der sich im

„persönlichen Widerwillen" äußert (Zitate aus dem .Journal für Sozialforschung", wo die Ergebnisse vorgestellt wurden), sinkt besonders markant. 1986/87 lehnten noch 74 Prozent den zitierten Satz ab - heute nur noch 39 Prozent (!).

Da diese Frage, wie gesagt, seit 1976 gestellt wird, ist sie jeder Kritik enthoben. Über viele Jahre gleichlautende Fragen ermöglichen langfristige Vergleiche. Daß nur 39 Prozent eine solche Zumutung „voll ablehnen", ist das katastrophalste Einzelergebnis der ganzen Umfrage. Es beweist, wie hauchdünn die Haut über der alten Wunde erst ist. Ja, ich halte sogar für möglich, daß diese Zumutung 1937 von mehr als 39 Prozent der Österreicher „voll abgelehnt" worden wäre.

Eine wichtige Facette des österreichischen Antisemitismus-Problems, aber das ist die sehr persönliche Ansicht des Autors dieses Beitrags: Es kann kaum Zweifel daran bestehen, daß uns der österreichische Antisemitismus heute in anderen sozialen Schichten begegnet als in der Zeit, in der die Nazis zur Macht kamen und auch noch in der Nachkriegszeit. Daß nicht die Arbeiterschaft, sondern ein großer Teil des Bürger- und Kleinbürgertums in Österreich den harten Kern der Nazi-Anhängerschaft bildete, kann als gesichertes Wissen gelten. „Die oben" haben aber den Antisemitismus historisch gesehen erst heute früh abgelegt, noch sind sie nicht wirklich ganz von ihm frei. „Die unten", und dort vor allem die Antina-zis, haben nach dem Krieg Anschauungsunterricht genossen, als sie sahen, wie man sich oben abputzte. Und im sozialen Aufstieg haben sie dann mit den Ansichten der Schicht, in die sie hineinwuchsen, auch eine Portion Antisemitismus übernommen oder zumindest Widerstand gegen ihn, soweit vorhanden, abgebaut. Das Resultat hört am ehesten auf den Namen Indifferenz. Übrigens: Der harte Kern der beim Händedruck Widerwillen Empfindenden stieg seit 1986/87 von drei auf sechs Prozent.

39 Prozent Vollablehnungen der Händedruck-Zumutung scheinen trefflich geeignet, die These zu stärken, daß der österreichische Antisemitismus, soweit er abgebaut wurde, bei sehr vielen, vielleicht den meisten, nicht einer engagierten Humanität Platz gemacht hat, sondern eben einer weit verbreiteten, ausgeprägten Wurschtigkeit.

Dazu paßt auch, daß 56 Prozent der Österreicher (aber nur 36 Prozent aller Deutschen) gegen die Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechern sind. Weil so oft von den „faschistischen" Slowaken die Rede ist: Dort wollen nur 26 Prozent, daß wir die Erinnerung an den Holokaust hinter uns lassen — hierzulande 34 Prozent.

Der große Trend der Antworten kann freilich auch, statt vergangen-heitsbezogen.als Alarmzeichen für den Zustand unserer Gesellschaft oder, wie Ernst Gehmacher vom Institut für empirische Sozialforschung meint, als Reaktion der großen Zahl von Verlierern auf die Veränderung dieser Gesellschaft gedeutet werden: Der Fremdenhaß nimmt in ganz Europa zu und ist durchgängig in hohem Maße mit Antisemitismus gekoppelt. Wo sich Fremdenhaß regt, ist der Antisemitismus immer dabei. Auch dies ein handfester Grund für dessen Ausbreitung „nach unten".

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