Der Streit um den Verzicht

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Von der Corona- zur Klimakrise: Selbstbeschränkung könnte zum Mega-Thema des 21. Jahrhunderts werden.

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Von der Corona- zur Klimakrise: Selbstbeschränkung könnte zum Mega-Thema des 21. Jahrhunderts werden.

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Neben der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Gefahr birgt die Coronakrise ein weiteres Problem: Das Virus ist ein sozialer Spaltpilz. Je länger die Krise dauert, desto zersetzender könnte seine Wirkung werden. Denn an den Maßnahmen zu seiner Eindämmung scheiden sich die Geister. Das bunte Spektrum von Corona-Skeptikern, -Leugnern und Verschwörungstheoretikern ist zwar sehr heterogen, teilt jedoch ein zentrales Anliegen: die eigene Freiheit über Disziplin und Compliance mit den politischen Verordnungen zu stellen.

Bei der Klimakrise ist diese Konstellation noch umgekehrt: Hier kämpfen Bewegungen wie „Fridays for Future“ dafür, dass endlich schärfere politische Maßnahmen zwecks Klimaschutz ergriffen werden. Doch es ist denkbar, dass irgendwann auch hier Verordnungen in Kraft treten werden, die uns Verzicht und Selbstbeschränkung auferlegen – wenn die negativen Folgen des Klimawandels nicht mehr zu übersehen sind. Der bereits schemenhaft heraufdämmernde „Corona-Clash“ zwischen Compliance und Widerstand könnte dann zur Blaupause für neue soziale Spannungen werden. Denn es würde sich wohl eine Front jener bilden, die nicht bereit wären, von ihrem bisherigen Lebensstil bzw. Ressourcenverbrauch Abstriche zu machen.

Der bereits schemenhaft heraufdämmernde ‚Corona-Clash‘ zwischen Compliance und Widerstand ist eine Blaupause für künftige soziale Spannungen.

Psychisch stünde dabei eine mächtige Prägung zur Disposition: der „Homo consumens“. Für Erich Fromm verweist dieser Begriff auf einen Menschen, der mehr und mehr konsumiert, um seine innere Leere, Angst und Einsamkeit zu überdecken. Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer hat 1972 einen ganzen Buchtitel daraus gemacht: An die Stelle des „Homo sapiens“, der klug genug sei, die Folgen seiner Handlungen abzuschätzen, sei der „Homo consumens“ getreten, der den Planeten ebenso vergifte wie die eigene Psyche. Diese Begriffsfolien verweisen auf eine wirkmächtige Orientierung, die kulturell rasch und tief eingesickert ist.

Die psychologisch unterfütterte Konsumkritik der 1960er- und 70er-Jahre klingt heute wieder brandaktuell. Und sie wird angesichts neuer Bedrohungsszenarien weiter ausgearbeitet. Das zeigt Joachim Bauer in seinem neuen Buch "Fühlen, was die Welt fühlt" (Blessing 2020) ebenso wie Manfred Folkers und Niko Paech in „All you need is less“ (oekom 2020). Ein Aspekt erscheint darin besonders bemerkenswert: „Verzicht“ muss endlich positiv umgedeutet werden. Denn etwas nicht zu nutzen oder zu erwerben, bedeutet in übersättigten Gesellschaften oft sogar Entlastung – Schutz vor Stress, Zeitmangel und Reizüberflutung. Die oben erwähnten Autoren sehen Konsumverzicht daher als lohnende Praxis. Doch Genügsamkeit ist äußerlich unscheinbar: Sie schafft keine monumentalen Symbole (nicht einmal Windkraftwerke oder Wasserstoffantriebe), sondern kann nur von innen heraus zum Leuchten gebracht werden.

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