Eisenvogel und Blütenpracht

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Die Begegnung des Buddhismus mit dem Westen hat zu spannenden wissenschaftlichen Entwicklungen geführt.

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Die Begegnung des Buddhismus mit dem Westen hat zu spannenden wissenschaftlichen Entwicklungen geführt.

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Gibt es Menschen, die über Jahrhunderte in die Zukunft schauen können? Zumindest gibt es Aussagen historischer Personen, die dies nahelegen: „Wenn der eiserne Vogel fliegt, zieht die buddhistische Lehre in den Westen“, soll Padmasambhava gesagt haben – ein indischer Mönch, der ebendiese Lehre im 8. Jahrhundert n. Chr. nach Tibet gebracht hat. Seine Aussage trifft ins Schwarze, wenn man die Entwicklung im 20. Jahrhundert betrachtet: Tatsächlich erhielt die Verbreitung des Buddhismus im Westen durch billige Langstreckenflüge enorme Schubkraft. Seit den 1960er Jahren intensivierte sich der kulturelle Austausch, der mittlerweile mehrere Blüten hervorgebracht hat: Eine Blütenpracht zeigt sich heute im Dialog des Buddhismus mit der Wissenschaft – von der Medizin und Psychotherapie bis hin zur Gehirn- und Bewusstseinsforschung (siehe Interview mit Evan Thompson).

Die nächste Etappe des Buddhismus im Westen könnte die Integration in das wissenschaftlich fundierte Projekt einer Bewusstseinskultur sein.

Das westliche Interesse an den buddhistischen Lehren wuchs in einer Zeit, in der der Schatten des Zweiten Weltkriegs endgültig verblasst war. Not und Schrecken waren vorbei, Sicherheit und wachsender Wohlstand prägten das Lebensgefühl. Aus Sicht der Maslowschen Bedürfnispyramide: Die Menschen mussten sich um ihre Grundbedürfnisse keine Sorgen mehr machen und hatten den Freiraum, höheren Bedürfnissen zu folgen. Sogar das oberste Spektrum der Pyramide war nun in Griffweite: die Selbstverwirklichung. Sinnliche und materielle Fragen (Was ist ein gutes Essen? Was ist ein gutes Auto? Was ist ein gutes Gehalt?) wurden relativiert durch eine uralte Sinnfrage: Was ist ein gutes Leben? Und jene „Westler“, die mit dem Buddhismus in Berührung kamen, brachten hier eine völlig neuartige Frage ein: Was ist ein guter Bewusstseinszustand?

Das ist heute die Leitfrage für das Projekt einer „Bewusstseinskultur“, wie es der deutsche Philosoph Thomas Metzinger angeregt hat, basierend auf dem neuesten Stand der Gehirnforschung. Ein breites Spektrum von Praktiken soll hier dazu dienen, wünschenswerte geistige Verfassungen zu kultivieren – darunter auch die Achtsamkeitsmeditation. Die Integration buddistischer Lehren auf der weltanschaulich neutralen Basis einer Bewusstseinskultur könnte die nächste Etappe des Buddhismus im Westen sein. Denn in dieser Weisheitslehre findet sich differenziertes Wissen darüber, wie durch geistige Schulung heilsame Bewusstseinszustände hervorzubringen sind. Und die Frage nach guten Bewusstseinszuständen ist universell relevant, denn sie liegt der Frage nach dem guten Leben letztendlich zugrunde.

Es könnte aber auch sein, dass sich das historisch einzigartige Fenster durch Wohlstandsverluste und globale Krisen bald schließen wird – und die Mehrheit wieder primär auf den unteren Stufen der Bedürfnispyramide zu kämpfen hat.

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