Im Zeichen der Venus

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In der Wissenschaft sprudelt es derzeit an Deutungen für den Sadomasochismus: Macht und Ohnmacht, Lust und Schmerz liegen teils nahe beisammen.

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In der Wissenschaft sprudelt es derzeit an Deutungen für den Sadomasochismus: Macht und Ohnmacht, Lust und Schmerz liegen teils nahe beisammen.

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So wie die Romantik ihre schaurigen Seiten hat, kann auch die romantische Liebe in Abgründe entgleiten. Im Werk von Leopold von Sacher-Masoch hat diese Tendenz eine große Gestalt gefunden. Vor 150 Jahren ist seine Novelle „Venus im Pelz“ erschienen, in der eine Liebesbeziehung beschrieben wird, die von tiefer Unterwürfigkeit geprägt ist – so extrem, dass sich die Hauptfigur (der junge Adelige Severin) von einer unkonventionellen Frau (Wanda, die „Venus im Pelz“) sogar demütigen und auspeitschen lässt.

Severin erscheint es reizvoll, „der Sklave eines hübschen Weibes zu sein, das ruhig und selbstbewusst zu herrschen versteht“. Dass der österreichische Autor Sacher-Masoch später zum Namensgeber einer sexuellen Obsession werden sollte, liegt an einem literarisch interessierten Mediziner. In seinem Versuch einer Kategorisierung sexueller Perversionen („Psychopathia sexualis“, 1886) verwendete der Psychiater Richard von Krafft-Ebing erstmals den Begriff des „Masochismus“. Er definierte ihn als Verbindung von „Wollust“ und „erduldeter Grausamkeit und Gewaltthätigkeit“.

Darüber war Sacher-Masoch alles andere als erfreut, denn im neuen klinischen Feld des Sadomasochismus stand sein Werk nun Seite an Seite mit der menschenverachtenden Gewaltpornografie des Marquis de Sade. Das späte 19. Jahrhundert war eine brodelnde Zeit des geistigen Aufbruchs, in der vieles, was vorher beflissen verschwiegen wurde, geradezu lustvoll in poetische Bilder und wissenschaftliche Begriffe gegossen wurde. Bald schon trat Sigmund Freud auf den Plan. Er sorgte dafür, dass sich niemand mehr vom „Schwarzen Peter“ der Perversion abgrenzen konnte. Seiner Theorie zufolge ist der Mensch in seiner frühkindlichen Entwicklung hemmungslos vergnügungssüchtig und „polymorph pervers“. Der Keim für Neigungen, die später bewusst ausgelebt werden können, ist demnach schon früh gesät.

Heute hat der Sadomasochismus als sexuelle Störung ausgedient: Solange jemand SM- bzw. BDSM-Rituale einvernehmlich praktiziert und niemand darunter leidet, fällt das nicht mehr in eine Krankheitskategorie. Mit Filmen wie „Fifty Shades of Grey“ oder „Nymphomaniac“ wurde die sexuelle Neigung einem Millionenpublikum nähergebracht. In der Wissenschaft sprudelt es derzeit an Deutungen, von der Hirnforschung bis zur Soziologie: Macht und Ohnmacht, Lust und Schmerz, so lernen wir, liegen teils nahe beisammen.

Und „besteht nicht in der Verliebtheit immer die Gefahr, dass wir uns zu sehr dem anderen ausliefern?“, fragt der Psychotherapeut Wolfgang Krüger in seinem Buch „Die erfüllte Sexualität. Erkenntnisse aus zwölf erotischen Romanen“ (2020). Vom romantischen „Candle-Light-Dinner“ führt der Weg aber nicht zwangsläufig in die strenge Kammer. Die meisten hoffen dann doch wohl eher auf ein sanftes Himmelbett.

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