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Human und tolerant

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Am Morgen des 30. August 1981 ist der international bekannte Historiker Univ.-Prof. Robert A. Kann im Alter von 75 Jahren völlig unerwartet gestorben. Deram 11. Februar 1906Geborene war 1930 zum Doktor juris promoviert worden und danach einige Jahre im Wiener und niederösterreichischen Justizdienst tätig gewesen.

In jener Zeit erschienen auch seine ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen - zunächst juridische -, doch zeigte sich bereits damals das besondere Interesse an der Historie. Faszinierend war es, von ihm zu hören, in welchen führenden intellektuellen Wiener Kreisen er verkehrt, wen er persönlich gekannt hat. Dieses wache Interesse an Wissenschaft, Kultur und Kunst ist Kann sein Leben erhalten geblieben.

Noch einige persönliche Daten: 1937 heiratete er Marie Breuer, die Enkelin des berühmten Histologen Josef Breuer, der vor und mit Sigmund Freud wesentliche Elemente der Hysterie entdeckt hat. Die Ehe war bis zu Prof. Kanns Tod außerordentlich glücklich, wozu auch noch die Geburt eines Sohnes und einer Tochter - schon in den USA - beitrug.

Dazwischen lagen die schwersten Jahre: Die durch den Nationalsozialismus erzwungene Emigration in die USA. 1941 bot sich eine Arbeitsmöglichkeit an der Historischen Abteilung des Institute of Advanced Studies in Princeton, New York, das von nun an der dauernde Wohnsitz der Familie blieb.

1947 wurde er Lecturer, 1956 ordentlicher Professor an der Rutgers University, der Staatsuniversität von New York.

1950 kam er zum ersten Mal nach dem Krieg wieder nach Österreich. Seit damals waren die wissenschaftlichen Kontakte vor allem mit der Universität Wien häufig. Vor kurzem wurde er auch zum Honorarprofessor für Geschichte der Neuzeit ernannt, worüber er sich noch sehr freute. Von seinen zahlreichen Ehrungen sei nur die Verleihung des „Großen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich" 1975 angeführt.

Das auch quantitativ erstaunlich große wissenschaftliche Oeuvre von Robert A. Kann reicht weit über sein international bekanntes Standardwerk über das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie hinaus.

Aus der Fülle seiner sonstigen Werke seien hier nur stichwortartig genannt: Kanzel und Katheder (Abraham a Sancta Clara und Josef von Sonnenfels), Werden und Zerfall des Habsburgerreiches, Die Sixtusaffare und die geheimen Friedensverhandlungen Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg, der Briefwechsel Marie von Ebncr-Eschenbachs mit dem schon genannten Josef Breuer 1889-1915, die Restauration als Phänomen der Geschichte, die Neubearbeitung und Herausgabe einer Auswahl aus den Briefen und Erinnerungen des großen klassischen Philologen Theodor Gomperz (1809-1912), die Franz-Ferdinand-Studien, die Geschichte des Habsburgerrciches 1526-1918.

In den letzten Wochen seines Lebens hat er sich im Uriaub mit der Edition der Erinnerungen der Schwestern Wolffenstein beschäftigt und sie auch abgeschlossen. Es handelt sich dabei um zwei alte Damen, die die NS-Zeit als „U-Boote" durch die Hilfe vor allem von Christen überleben konnten.

Ihre Memoiren sind ein von Ressentiments freies Zeugnis für das Überiebenkönnen eines solchen „Alltags". Die Einleitung, die Robert A. Kann mit besonderem Einfühlungsvermögen und voll Humanität geschrieben hat, zeigt deutlich, daß auch er mit seinem etliche Jahre nicht leichten Schicksal völlig ausgesöhnt und von vorbildlicher Toleranz war.

Obwohl Robert A. Kann nicht als Rechtsgelehrter berühmt geworden ist, hat das Studium der Rechtswissenschaften doch gewisse Spuren in seinem ganzen Werk hinterlassen, das sich nicht nur durch die genaue Aufarbeitung von einer Fülle von Fakten, sondern stets auch durch eine klare, ausgewogene und in gewissem Sinn auch systematische Betrachtung theoretischer und methodischer Fragestellungen auszeichnet.

Durch seinen Tod hat nicht nur die österreichische Geschichtswissenschaft einen großen Veriust eriitten.

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