6873965-1978_37_04.jpg
Digital In Arbeit

Humanismus durch Wahrheit und Freiheit

Werbung
Werbung
Werbung

In der Regel dient eine philosophisch-ethische Grundlegung der Begründung eines ordnungspolitischen Systems gegenüber anderen alternativ angebotenen. Alexander Schwan, Professor für Geschichte der politischen Theorie an der Freien Universität Berlin, macht nun den interessanten Versuch, die freiheitliche Politik in einer pluralistischen Gesellschaft philosophisch, theologisch und ethisch zu begründen, also in einer Gesellschaft, in welcher auch verschiedene Auffassungen über die Freiheit miteinander konkurrieren. Schwan ruft uns in Erinnerung, daß der Pluralismus, der uns heute so selbstverständlich ist, nicht immer ein so dominierender Faktor gewesen ist: In der Tat muß sich die Glaubwürdigkeit politischer Theorie und Praxis seit dem Humanismus, seit der Aufklärung, seit der Französischen Revolution „vor dem Gerichtshof der Freiheit“ ausweisen und erweisen (Schwan), der Pluralismus war jedoch auch in solchen Epochen sehr unterschiedlich intensiv pluralistisch.

Die Grundthese des Autors lautet: daß humane Politik im humanistischen Zeitalter nur dort möglich ist, wo Wahrheit und Freiheit, und zwar theoretisch und praktisch, miteinander integral verknüpft werden, wo die Auffassung von Wahrheit zentral die Bejahung' individueller und politischer Freiheit einschließt und wo der Wille zur Verwirklichung solcher Einheit deutlich wird.

Schwan verweist darauf, daß diese Aspekte aus den unterschiedlichsten Quellen gewährt werden: vom liberalen Philosophen Karl Jaspers, der Wahrheit, Freiheit, Friede und die „republikanische Regierungsart“ in einem unlösbaren Zusammenhang gedacht hat; aber auch vom Reformkommunisten Leszek Kolakowski, der davon spricht, daß die Anerkennung der Freiheit „in Wahrheit“ die unverzichtbare Grundbedingung für die Realisierbarkeit anderer humaner Werte ist; und schließlich vom II. Vati-kanum der Katholischen Kirche, das sich zu einer Erklärung über die Religionsfreiheit durchgerungen hat, in der die Geltung der Wahrheit von der Verwirklichung der Gerechtigkeit, der Liebe und insbesondere der Freiheit abhängig gemacht wird.

Schwan setzt sich ebenso gründlich mit den „anti-pluralistischen“ (Nietzsche, Heidegger, Lenin, Frankfurter Schule) und den zwischen antipluralistisch und pluralistisch angesiedelten Denkschulen (Systemtheorie, die kommunikativen Theorien nach Habermas, Apel und die Erlanger Schule) auseinander. Den kritischen Rationalismus Poppers, die Existenzphilosophie Jaspers, die Sprachanalyse und die verschiedenen Spielarten des modernen Personalismus erscheinen Schwan „dadurch ausgezeichnet, daß sie die Ansätze einer Begründung freiheitlicher und sozialer Politik gerade in der Erfahrung der Endlichkeit, Gebrochenheit und Offenheit der menschlichen Existenz finden“. Den kritischen Rationalismus und die Existenzphilosophie möchte Schwan allerdings durch einen „personalisti-schen Solidarismus“ ergänzt sehen, wie wir ihn aus der christlichen Sozialtradition kennen.

Der Mensch der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erfaßt die Gesellschaft, in der er lebt und arbeitet, als eine „pluralistische“. Diese Gesellschaft ist in eine Vielheit von Gemeinschaften und Verbänden mit je eigenen Zwecken, eigener Verantwortung und eigenen Zuständigkeiten gegliedert, sie besitzt weder in religiösem Glauben noch in politischer Ideologie ein Prinzip mit Monopolcharakter. Familien, Gemeinden, Vereine, Kammern, Gewerkschaften, politische Parteien, Bundesländer, Staaten, Staatenverbände repräsentieren die Vielfalt eines Interessenpluralismus, sie erzeugen als Schöpfer ihrer jeweils eigenen Ordnung einen Rechtspluralismus, als Träger eigener Vollzugsgewalt einen Machtpluralismus, die alle zusammen im Nebeneinander grundlegender Uberzeugungen, im weltanschaulichen Pluralismus, gründen.

Interessanterweise nimmt der Autor aber weniger darauf Bezug, sondern setzt sich vielmehr „für den theologischen Bereich“ mit Karl Barth und dem II. Vatikanum auseinander: wenn dessen Festlegungen auch noch verwirklicht werden müssen, so hat das Konzil, „wenn auch nicht ohne einiges Zagen und manche Zweideutigkeit, so insgesamt doch mit achtungsgebie-tender Entschlossenheit immerhin den Weg einer Bejahung und Förderung der im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts allein noch menschenwürdigen Gesinnung und Praxis der Freiheit definitiv vorgezeichnet und seinerseits vielversprechend eingeschlagen“.

Wenn man auch der Schlüssigkeit mancher der zahlreichen Anregungen wohl erst nach Vorliegen der angekündigten systematischen Darstellung der Politischen Philosophie wird gerecht werden können, so ist immerhin die konsequente Zusammenschau von Personalismus-Solidarismus-Pluralismus-Freiheit eindrucksvoll. Es stimmt auch optimistisch, daß eine solche Gesinnung nicht auf ein traditionelles „Lager“ eingeschränkt ist. So hebt etwa der der CSU nahestehende Münchner Politikwissenschaftler Michael Zöller hervor, daß Schwan als Katholik die Entwicklung seiner Kirche seit dem Konzil auch publizistisch begleitete, als Mitglied der SPD auf die Abgrenzung gegen marxistische Tendenzen drängte und als Gelehrter den Gegnern der Wissenschaftsfreiheit Paroli bot.

WAHRHEIT - PLURALITÄT -FREIHEIT. Studien zur philosophischen und theologischen Grundlegung freiheitlicher Politik. Von Alexander Schwan. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg. 287 Seiten. öS 232.40.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung