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Hungern auf dem Land
Über 700 der rund 4000 Millionen Erdbewohner leben noch immer in absoluter Armut, worunter ein jährliches ProKopf-Einkommen von 200 Dollar oder weniger zu verstehen ist. Die absolut Armen machen mehr als die Hälfte der Bevölkerung in jenen 57 Staaten aus, deren Pro-Kopf-Einkommen 520 Dollar im Jahr nicht übersteigt.
Über 700 der rund 4000 Millionen Erdbewohner leben noch immer in absoluter Armut, worunter ein jährliches ProKopf-Einkommen von 200 Dollar oder weniger zu verstehen ist. Die absolut Armen machen mehr als die Hälfte der Bevölkerung in jenen 57 Staaten aus, deren Pro-Kopf-Einkommen 520 Dollar im Jahr nicht übersteigt.
Was besonders alarmierend ist: Die ärmsten Staaten wachsen weniger rasch als die bessergestellten. Der Abstand zwischen den Habenichtsen und den (relativen) Krösussen der Entwicklungsländer ist heute ungefähr dreimal so groß wie 1950, wenn man einer Darstellung des Harvard-Professors Lester E. Gordon in Nummer 23 der Zeitschrift „Economic Impact“ folgt.
Diese Statistik beweist, daß Armut im ländlichen Raum eine noch ärgere Geißel als Armut in den Ballungszentren der Industriestaaten ist. Eine ziemlich ungedrosselt wachsende Landbevölkerung in diesen Zonen der Erde ist zweifellos der Hauptfaktor dieser alarmierenden Entwicklung, wozu noch ein begrenztes Entwicklungspotential und unzureichende Förderungsmaßnahmen kommen.
Auf Nahrungsmitteleinfuhren können diese Länder nicht ihre Haupthoffnung setzen. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der UNO schätzt, daß die Getreideproduktion weltweit 1975 und 1976 um je drei, 1977 aber nur noch um knapp eineinhalb Prozent und in Afrika und Nahost überhaupt nicht mehr gewachsen ist. Der Pro-Kopf-Index in Afrika lag nach FAO-Schätzungen 1977 um zehn Prozent unter den Durchschnittswerten der Jahre 1961 bis 1965.
Die Zukunftsschätzungen färben das Bild nicht rosiger. Das Nahrungsmitteldefizit in den Entwicklungsländern, das sich nach der allgemeinen Nahrungsmittelkrise von 1974 kurzfristig verbessert hatte, wird 1990 vermutlich um rund 80 Tonnen über jenem des Jahres 1975 liegen. Vergleicht man diese projektierten Defizite mit den projektierten Deviseneriösen derselben Länder, so ist „die Ansicht, daß ein Nahrungsmittelabgang dieser Größenordnung durch Importe zu kommerziellen Bedingungen ausgeglichen werden könnte, gering.“
Dieses Zitat entstammt dem eben veröffentlichten Jahresbericht 1978 der Weltbank - einer 1945 gegründeten Institution, die auf der Basis der Kapitalzeichnungen ihrer 132 Mitgliedsstaaten auf den internationalen Kapitalmärkten jene Mittel aufnimmt, die sie an bedürftige Staaten zur Förderung von Entwicklungsprojekten ausleiht.
1960 wurde mit der Internationalen Entwicklungsorganisation (International Development Agency, kurz IDA) ein Arm der Weltbank gegründet, der für die besonders bedürftigen Länder da ist. Die Weltbank gewährt „Darlehen“ zu günstigen, aber kommerziellen Bedingungen - die IDA „Kredite“ (zehn Jahre Tilgungsfreiheit, 50 Jahre Laufzeit, keine Zinsen).
Lange genug hat auch die Weltbank gebraucht, bis sie einsah, daß viele Entwicklungsländer nicht nur Straßen und Eisenbahnen, schon gar nicht in erster Linie Stahlwerke und teure Maschinen, sondern vor allem eine Förderung der Landwirtschaft brauchen. Und zwar vor allem der arbeitsintensiven (und damit auch Arbeitsplätze sider absoluten Armut“, sagte er damals in Nairobi.
Hat die Weltbank Wort gehalten? Laut Jahresbericht 1978 hat sie. 1973 hatte McNamara für die nächsten fünf Jahre eine Zielgröße von 4,4 Milliarden Dollar Weltbankdarlehen für die Landwirtschaft genannt. Das wäre eine Erhöhung in diesem Bereich um 40 Prozent und ein Anteil an der Gesamtkreditgewährung von 20 Prozent gewesen.
Tatsächlich wurden in diesem Zeitraum nominell über zehn Milliarden Dollar für die Landwirtschaft ausgegeben, was dem inneren Wert von 5,9 Milliarden Dollar des Jahres 1973 entspricht: eine Überschreitung der freiwilligen Zielsetzung um rund 35 Prozent. Etwa drei Viertel der bewilligten 363 Vorhaben, mit deren Hilfe die Einkommen von 115 Millionen Mitgliedern von Bauernfamilien gesteigert werden sollen, fördern landwirtschaftliche Kleinbetriebe.
Ein Tropfen auMen legendären heißen Stein. Er ist noch immer sehr heiß. HUBERT FEICHTLBAUER
Vor fünf Jahren hat Weltbankpräsi-dent Robert McNamara, der sich von einem waffenklirrenden US-Verteidigungsminister der Kennedy- und Johnson-Zeit zu einem überzeugten und überzeugenden Verfechter einer friedlichen Weltwirtschaftsstrategie gemausert hat, das Signal für die Neuorientierung gesetzt.
„Ohne schnelle Fortschritte in der Kleinlandwirtschaft in allen Entwicklungsländern gibt es kaum eine Hoffnung auf ein langfristiges, ausgeglichenes Wirtschaftswachstum oder eine ins Gewicht fallende Linderung
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