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Hysterie ist nicht gefragt

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Für die einen ist der Umweltschutz die große Hoffnung, für die anderen ein Reizwort. Extreme Standpunkte sind aber — wie so oft — auch hier falsch. Umweltschutz als Ersatzreligion, als Neuauflage von Rous-seaus „Retournons ä la nature“ ist abzulehnen. Die Vorstellung von möglichst totaler technischer Abstinenz und von einer Reduktion der gesamten Zivilisation auf das Niveau eines Pfadfinderlagers — ist Nonsens. Die heutige Dichte der Erdbevölkerung gestattet es uns nicht mehr, als „edle Wilde“ herumzulaufen.

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Für die einen ist der Umweltschutz die große Hoffnung, für die anderen ein Reizwort. Extreme Standpunkte sind aber — wie so oft — auch hier falsch. Umweltschutz als Ersatzreligion, als Neuauflage von Rous-seaus „Retournons ä la nature“ ist abzulehnen. Die Vorstellung von möglichst totaler technischer Abstinenz und von einer Reduktion der gesamten Zivilisation auf das Niveau eines Pfadfinderlagers — ist Nonsens. Die heutige Dichte der Erdbevölkerung gestattet es uns nicht mehr, als „edle Wilde“ herumzulaufen.

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Genauso falsch ist es aber, von „Umwelthysterde“ zu reden, ökologische Bedenken als fortschrittsfeindlich in Bausch und Bogen abzutun. Die zu Kloaken gewordenen Flüsse, die „Steinpest“ in den Städten und vieles andere spricht eine deutliche Sprache. Denn wenn die Luft schon einmal „zum Steinerweichen“ schlecht ist, dann kann sie auch den Lungen nicht sehr zuträglich sein.

Daß in Österreich die Situation noch nicht so schlimm ist wie beispielsweise in der 12-Millionen-Stadt Tokio, ist ein schwacher Trost und bestimmt noch keine Leistung unserer Verantwortlichen. Vor allem darf es kein Grund für Untätigkeit sein.

Wenn wir die Dinge weiter so laufen lassen wie bisher, werden im Jahre 1980 nicht weniger als 400.000 Tonnen giftiges Schwefeldioxyd aus den Schornsteinen der privaten Haushalte, der kalorischen Kraftwerke und der Industrie in die Atemluft strömen, so daß die Gesundheit der Bevölkerung ernstlich beeinträchtigt wäre und erheblicher Sachschaden angerichtet werden würde. Aber auch auf anderen Sektoren ist die Gefahr akut. Beispielsweise sind schon heute 642.000 Wohnungen, in denen rund 2 Millionen Österreicher leben, in einem mehr als kritischen Ausmaß durch Lärm gestört. .

Ganz schlimm steht es mit dem Wasser. In einigen Flüssen — speziell in der Mur — ist die Wasserqualität sogar schon für industrielle Zwecke zu schlecht, vom Trinkwasser gar nicht zu reden. In engem Zusammenhang damit stehen die ungeordneten Deponien in Österreich. Daß „bereits“ 73 Prozent der Bevölkerung an eine regelmäßige Müllabfuhr angeschlossen sind, besagt gar nichts, wenn man sich den Zustand

vor Augen hält, in welchem sich die meisten Gemeindedeponien befinden, die den primitivsten Anforderungen der Hygiene und des Grundwasserschutzes Hohn sprechen.

Aus allen diesen Gründen ist es begrüßenswert, daß der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen soeben eine Studie fertiggestellt hat, welche einen Maßnahmenkatalog enthält, dessen Realisierung zumindest die ärgsten Mißstände eliminieren würde. In Österreich ist nämlich bereits ein großer Nachholbedarf auf dem Gebiet des Umweltschutzes entstanden. Selbstverständlich ist es un-

realistisch, die Beseitigung aller Mißstände von heute auf morgen zu erwarten, aber es müßte einmal damit begonnen werden, und zwar viel energischer als bisher.

Wie brisant aber das ganze Thema ist, geht schon daraus hervor, daß sich im Beirat die Sozialpartner nicht einmal über die Fragen der Organisation einigen konnten. In den meisten übrigen Punkten konnte zwar Übereinstimmung erzielt werden — aber die Empfehlungen ziemlich vage gehalten wurden und das wichtigste Problem — die Finanzierungsfrage — weitgehend ausgeklammert blieb.

Im übrigen empfiehlt der Beirat als Instrumentarium die langfristige Planung und Überprüfung der Umweltauswirkungen diverser wirtschaftlicher Projekte. In Agglomerationsgebieten soll eine Umstrukturierung des Verkehrs vorn Individual-zum Massenverkehr — bei entsprechender Qualitätsverbesserung des letzteren und unter Wahrung des Grundsatzes der freien Wahl der Verkehrsmittel — erfolgen. Die Arbeiten an einem gesamtösterreichischen Raumplanungskonzept sollen beschleunigt und die weitere Expansion der Agglomerationszentren soll

begrenzt werden. Die Kompetenzen zwischen Bund und Gebietskörperschaften sollen effektiver geregelt und bundeseinheitliche Kriterien sollen geschaffen werden.

Organisatorische Maßnahmen allein genügen allerdings nicht, solange nicht die gesamte Bevölkerung aktiv mitarbeitet. Mit Recht sieht daher der Beirat in der Erziehung der Bevölkerung einen signifikanten Schwerpunkt. Die Umweltschutzproblematik soll daher künftig in den Lehrplänen der Schulen und der betrieblichen Ausbildung sowie auch in den Erwachsenenbildungsprogrammen und in den Massenmedien stärker berücksichtigt werden. Für die Hochschulen wird eine interdisziplinäre Behandlung der ökologischen Probleme gefordert.

Umweltschutz kann aber nicht gegen, sondern nur mit der Technik Erfolg haben. Forcierte Forschungsförderung und technische Umweltschutzmaßnahmen stehen daher ebenfalls auf dem Programm.

Des weiteren sollen bundeseinheitliche Höchstgrenzen für Emmissio-nen samt entsprechenden Sanktionen

fixiert werden. Die ordnungsgemäße Abfallbeseitigung soll durch zweckgebundene Preiszuschläge auf die Neuwaren finanziert werden. Mit Hilfe der Gemeinden sollen Möglichkeiten für die geordnete Ablagerung von Müll sowie auch für die Beseitigung und Wiederverwertung des besonders gefährlichen „Sondermülls“ geschaffen werden. Die für eine funktionierende Land- und Forstwirtschaft erforderliche Be-siedlungsdichte müßte durch einen Beitrag zu den im öffentlichen Interesse erbrachten Leistungen und durch Existenzsicherung lebensfähiger bäuerlicher Betriebe garantiert werden.

Hinsichtlich der Finanzierung bleiben die Empfehlungen vage. Es wird von Krediterleichterungen, Zinsenzuschüssen, gezielten Kreditaktionen sowie von steuerlichen Incentives gesprochen.

Alle diese Empfehlungen sind nicht ganz neu, aber es ist sicher ein Fortschritt, daß sie nun zu einem Programm mit offiziellem Anstrich zusammengefaßt wurden. Nur — wie sagte Erich Kästner so richtig? „Es gibt nichts Gutes — außer, man tut es.“

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