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„ICH BIN KEIN TOURIST, ICH WOHNE HIER!”

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„Ich bin kein Tourist, ich wohne hier.” Diesen Auto-Aufkleber sieht man auch in Kärnten immer öfter. Ein Ausdruck stillen Protests gegen den allgegenwärtigen Tourismus. „Aufstand der Bereisten”, nennt es der Schweizer Tourismusforscher Krippendorf. Um diese gefährliche Tendenz im Keim zu ersticken, wartet das Tourismuskonzept 2000 erstmals mit Lösungsansätzen auf. „Denkt an die Bedürfnisse der Einheimischen”, steht dort zum Erstaunen der Touristiker schwarz auf weiß.

Als in den siebziger Jahren shortsbehoste, weißhäutige Touristen auch in den letztenWinkel einsamer Bergidylle eindrangen, wußten es bald auch die Bergbauem: mit den Germanen aus dem Norden läßt sich's ganz gut verdienen. Da wurde sogar hingenommen, daß die „Zuag'rasten” zum Großvater auf die Ofenbank rückten, daß sie seinen Schnaps austranken, partout um fünf Uhr früh beim Melken dabeisein wollten und die Großstadtkinder die „Scheckige” beim Schwanz zogen. Was soll's, die Werbung nannte sie „Freunde” und so mußte es wohl auch sein.

Eine Entwicklung der ungesunden Unterwürfigkeit begann. Ende der siebziger Jahre, als Kärnten den größten Tourismusboom zu verzeichnen hatte (1978:18 Millionen Nächtigungen), wollte jeder an dem immer fetter werdenden Tourismuskuchen mitnaschen. In den Monaten Juli und August zog die Familie ins Schlafzimmer t wenn's sein mußte, auch in die Badewanne - um den Urlaubern den Rest der Wohnung zu überlassen. Die harte Mark, der Wohlstand lockten. Kärntner Brauchtumsabende endeten oft in einmütigem Geschunkel und schließlich stimmte sogar das Original Kärntner Doppelsextett in die „blauen Kornblumen” ein und fragte sich, „warum es denn am Rhein gar so schön sei”.

Wohnklötze gegen Almhütten

Wie die Pilze wuchsen Hotels, Pensionen, Appartements aus dem Boden touristischer Zentren, ohne auf gewachsene Ortskeme, auf die ursprüngliche Bausubstanz oder die grüne Wiese zu achten. Gespür bewies die Kärntner Bevölkerung jedoch bereits Anfang der achtziger Jahre, als sie in einer Volksbefragung ein Feriendorf mitten im weitläufigen unverbauten Almgebiet der Nocken verhinderte. Heute dehnt sich dort -wieder zur Freude der Touristen - ein Nationalpark aus.

Zugegeben - die Kärntner haben gut am Tourismus verdient und tun es zum Glück noch heute. Trotzdem scheint bei vielen die Toleranzgrenze erreicht zu sein. Der Ruf nach Qualität statt Quantität ist erstes Anzeichen des Wunsches nach Gästelimitierung.

In seinem Forschungsbericht „Alpsegen-Alptraum” (Bern 1986) wies Krippendorf auf die Nutzen und Gefahren des Tourismus hin und stellte sie in einer Waagschale als empfindliches Gleichgewicht dar. Auf der einen Seite stoppt Tourismus die Abwanderung, schafft Arbeitsplätze, mehrt das Einkommen, verbessert die Wohnverhältnisse, schafft Infrastruktur, Selbstbewußtsein und Zugehörigkeitsgefühl. Auf der anderen Seite wiegen der Verschleiß des Bodens, die Fremdbestimmung, die Belastung der Natur, die Untergrabung der Eigenart schwer.

Tourismuskonzept 2000

„Langfristig sinnvoller Tourismus muß dieses notwendige Gleichgewicht berücksichtigen und in das Kosten-Nutzen-Denken nicht nur die wirtschaftliche Dimension, sondern auch die ökologische und soziale Komponente miteinbeziehen”, ist Tourismusberater Manfred Kohl von der Kohl-Edinger Tourismusberatung überzeugt. Er ist gemeinsam mit der Universität Klagenfurt (Institut für

Betriebswirtschaft) Verfasser des Tourismuskonzeptes 2000. In einer Anwandlung von Orientierungslosigkeit wurde dieses vom Land Kärnten in Auftrag gegeben und wird nun allseits anerkennend beurteilt.

Daß bei der Angebotsentwicklung gleichermaßen auf die Bedürfnisse der Einheimischen als auch auf die Bedürfnisse der Gäste Rücksicht zu nehmen sei, ist neu in Kärnten. „Priorität haben Angebote, die der Lebensqualität von Gästen und Einheimischen gleichermaßen dienen”, schreibt Kohl und meint damit konkret: Nicht alle Regionen Kärntens sollten touristisch entwickelt werden (Reserveräume, Ruheräume erhalten). In Orten und Regionen sollten Zonen gebildet werden, um Kollisionen zu vermeiden und Dorfstrukturen zu erhalten, Verkehr und Urlaub sollte getrennt, massierter Auftritt von Touristen vermieden werden (, JCärn-ten-Kollaps” an einem Regentag im Sommer). Radwegenetze, Wanderwege, Tennisplätze, Erlebnisbäder, kulturelle Einrichtungen sollten auch von Einheimischen nutzbar gemacht werden. Besondere Priorität räumt Kohl dem Ankauf von Seegrundstücken durch die öffentliche Hand ein, um den Zugang zu den total zugemauerten und eingezäunten Kärntner Seen wieder einigermaßen zu sichern.

Kohl warnt vor billigstem Schautourismus ohne interessanter Wertschöpfung, den er kurz „Peep-Show-Tourismus” nennt. Der Zweitwoh-nungs-Tourismus kann kaum mehr aufgehalten, nur noch eingedämmt werden - was gar nicht so einfach ist, so lange es Bürgermeister gibt, die ganz versessen darauf sind, Appartementburgen zu bewilligen. So wird erst in diesem Sommer eine grauenerregende Appartementburg am schönsten Platz des Wörthersees fertiggestellt. Der blau-rosa Koloss wann wenigstens in alle Richtungen des Sees vor Nachahmung.

Leben hinter der Schank

„Noch ist es kein Aufstand der Bereisten, aber Auflehnung ist allerorten zu spüren”, weiß der Kenner der Szene, Manfred Kohl. Die Seenbewohner ärgern sich über die hohen Preise, die sie notgedrungen für ihr Bier und den Kaffee mitzahlen müssen. Besonders frustriert sind jedoch Mitarbeiter und Unternehmerkinder. Einerseits ist immer weniger qualifiziertes Personal zu bekommen - aus keinem Berufstand ist die Abwanderung so enorm, andererseits wollen sich Untemehmerkinder den Streß ihrer Eltern und die Unterwürfigkeit vor dem Gast nicht mehr antun. Zu sehr schmerzt die Erinnerung an Vernachlässigung zwischen Schank und Wirtsküche, als sie noch am Schürzenzipfel einer ewig beschäftigten Mutter hingen.

Das Tourismuskonzept 2000 rät daher zu einer „positiven Imagekampagne für den Tourismus in Kärnten, damit die entstehende Tourismusfeindlichkeit vermieden wird”. Darin sollen die Synergien und die Nebeneffekte transparent gemacht werden. „Um eine menschliche Serviceleistung zu bekommen, muß sich auch das Verhältnis zwischen Gast und Mitarbeiter in der Dienstleistungsbranche ändern.”

Vielleicht passiert es dann bald auch in Kärnten, wie an einem Strand am Roten Meer: Ein deutscher Urlauber wollte einen israelischen Strandboy hochnäsig herumkommandieren, doch das selbstbewußte Bürschchen pflanzte sich vor ihm auf und sagte das einzig Richtige: „You are the guest, you have to be nice to me.”

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