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Digital In Arbeit

„Ich bin kein Zuspitzer"

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Heinz Fischer ist gegen ei­nen „Geheimparlamenta­rismus" - aber sehr für das vertrauliche Gespräch in den Ausschüssen.

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Heinz Fischer ist gegen ei­nen „Geheimparlamenta­rismus" - aber sehr für das vertrauliche Gespräch in den Ausschüssen.

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FURCHE: Sie sind bei den Koali­tionsverhandlungen dabei. Dort werden schon jetzt Dinge bis ins Detail ausgehandelt, die dann der Gesetzgeber nachvollziehen soll. Stimmt da überhaupt noch die Gewaltentrennung?

NATIONALRATSPRÄSIDENT HEINZ FISCHER: Es ist eine gute parlamentarische Tradition in al­len westeuropäischen Staaten, daß eine Regierung am Beginn ihrer Amtsperiode ein möglichst präzi­ses Konzept vorträgt. Darüber wird derzeit verhandelt. Ich finde zu­nächst nichts Unparlamentarisches daran. Ich bin auch aus einem zweiten Grund an präzisen Verein­barungen zwischen den potentiel­len Koalitionspartnern interessiert: präzise Vereinbarungen ersparen uns später Streit über die Ausle­gung. Eine völlig andere Frage ist, inwieweit dann bei der Umsetzung dieser Zielsetzungen ein parlamen­tarischer Spielraum für zusätzli­che Aktivitäten erhalten bleibt. Wir werden viel Sorgfalt bei der For­mulierung jenes Teiles verwenden müssen, wo es um die Arbeitsme­thoden der Koalition geht.

FURCHE: Und Ihr Anliegen, das Parlament lebendiger zu gestalten? Die Arbeit ist ohnehin in einem sehr hohen Maß ritualisiert.

FISCHER: Ich weiß nicht, ob das Wort „lebendig" der beste Ausdruck für das ist, was mir vorschwebt. Für Lebendigkeit sorgt eher die Opposition als der Parlamentsprä­sident. Ich möchte den Stellenwert und die Funktionsweise des Parla­ments an das heranführen, was den Schöpfern unserer Bundesverfas­sung vorgeschwebt ist: die Regie­rung als das zentrale exekutive Organ, aber ein Parlament, dem im Bereich der Erarbeitung der Nor­men und der Kontrolle der Regie­rung eine starke Stellung einge­räumt ist. Gegenüber diesem Kon­zept der Schöpfer unserer Bundes­verfassung sind manche Tätigkei­ten des Parlaments in der Praxis ein bißchen verkümmert.

Nun weiß ich, daß das ein sehr heikles Thema ist, weil es immer so betrachtet wird: Wenn das Parla­ment mehr Einfluß hat, dann kann sich das nur in form von verschärf­ten Konflikten zwischen Parlament und Regierung äußern. Da muß ich sagen: Der Präsident des National­rates kann seine Aufgabe nicht darin sehen, Konflikte zwischen Re­gierung und Parlament in die Welt zu setzen oder zuzuspitzen, im Gegenteil, er sollte eher ein aus­gleichender Faktor in der Politik sein. Aber er kann mithelfen, den Aktionsradius und die Qualität der parlamentarischen Arbeit so an­zuheben, daß dann auch ihr Ge­wicht im Zuge der politischen Wil­lensbildung zunimmt.

FURCHE: Die eigentliche Wil­lensbildung erfolgt doch in den Ausschüssen und damit unter Aus­schluß der Öffentlichkeit. Die Ple-nardebatte selbst dient nur mehr der Rechtfertigung einer bereits eingenommenen Position, nicht mehr einer Beratung.

FISCHER: Beide Thesen sind falsch. Erstens: Bedenken Sie, daß Öffentlichkeit sehr viel mit Macht und Beeinflussung zu tun hat. Die Macht der Pres­se oder des Fernsehens ""\ besteht auch nur darin, daß bestimmte Meinun­gen, bestimmte Behaup­tungen transportiert wer­den. Die Macht des Plenums des Nationalrates besteht ebenso darin. Warum ist das im Falle einer Zeitung ein mit Recht beschwo­rener Machtfaktor, war- f um soll es dann, wenn es vom Plenum des Natio­nalrats ausgeht, irrelevant sein? Zweitens: Ausschüsse sind nicht medien- oder zuschaueröffentlich. Aber natürlich ist das, was dort verhandelt wird, genauso öffent­lich wie das, was im Ministerrat verhandelt wird. Unser Parlament kennt keine Geheimdiplomatie und die Vertraulichkeit der verschlos­senen Polstertür. Die Tatsache, daß das Publikum nicht physisch prä­sent ist, hindert nicht, sowohl den Gang wie die Ergebnisse der Ver­handlungen und auch die Positio­nen der einzelnen Verhandlungs­teilnehmer transparent zu machen.

FURCHE: Auch eine Teilöffnung der Ausschußarbeit halten Sie für ausgeschlossen?

FISCHER: Das ist für die Unter­suchungsausschüsse gemacht wor­den. Mit teilweisem Lob, aber auch mit deutlicherem Erkennen der damit verbundenen Problematik. Eine sinnvolle Lösung liegt in einer sachgerechten Differenzierung. Das heißt, der parlamentarische Prozeß muß eine starke öffentliche Kom­ponente haben. Es kann keinen Ge­heimparlamentarismus geben. Was, worüber und aus welchen Gründen das Parlament beschließt, bedarf der Transparenz und der Zugäng­lichkeit durch die Medien. Auf der anderen Seite bin ich über­zeugt, daß es vorteilhaft ist, wenn es in diesem Heranwachsen ei­ner Entscheidung auch die Möglich­keit des vertrau­lichen Gesprä­ches, das nicht im Lichte von Scheinwerfern steht, gibt. Ich glaube, daß Parlamenta­rier manche Lö­sungen leichter finden, wenn sie Gelegenheit haben, einmal im kleinen Kreis zu analysie­ren, zu sondieren, Standpunkte zu erarbeiten. An dieser Kombination möchte ich festhalten. Würde man Ausschüsse öffentlich zugänglich machen, so habe ich dagegen kein prinzipielles oder verfassungs­politisches, sondern ein praktisches Argument. Sonst verlagern sich die Vorberatungen in vertrauliche Un­terausschüsse oder in irgendwel­che inoffizielle Gespräche. Der par­lamentarische Prozeß würde weni­ger ergiebig, weniger flexibel und weniger konstruktiv.

FURCHE: Stichwort Untersu­chungsausschüsse - wie sieht deren Zukunft aus? Ist deren Öf­fentlichkeit reversibel?

FISCHER: Ich glaube nicht, daß man diese Entscheidung rückgängig machen kann oder soll. Aber das Konzept der Untersuchungsaus­schüsse muß neu durchdacht wer­den. Sie sind zwar ein unverzicht­bares Element parlamentarischer Kontrolle, aber ihre jetzige Kon­struktion enthält einige Grundfeh­ler. Man hat es sich zu einfach gemacht, als man seinerzeit in die Geschäftsordnung hineingeschrie­ben hat, der Nationalrat könne Un­tersuchungsausschüsse einsetzen und für ihre Tätigkeit gelte sinnge­mäß die Strafprozeßordnung. Denn die Untersuchenden sind Politiker, das Un­tersuchungsziel ist nicht ein Urteil über Menschen zu fäl­len, sondern Sachverhalte aufzuklären. Die Strafprozeßord­nung ist das In­strument, das der unabhängige Richter anwendet wenn er zwischen Schuld und Unschuld zu unterscheiden hat. Aus dem Spannungsver­hältnis, daß der Untersu­chungsausschuß da­mit scheinbar in die Rolle von Richtern schlüpft, die ein Urteil sprechen, entstehen viele der Probleme die uns in letzter Zeit beschäftigt haben.

FURCHE: Eine neue Ge­schäftsordnung mit Regelungen für das Ent­schlagungsrecht und für die Amts­verschwiegenheit steht ohnehin aus.

FISCHER: Ich bin jetzt erst drei Wochen im Amt und habe alle Hände voll zu tun, den Start dieser neuen Gesetzgebungsperiode gut über die Bühne zu bringen. Aber wenn ich nach Weihnachten ein bißchen Luft habe, werde ich mich mit diesem Thema beschäftigen.

FURCHE: Und die Erledigung der Forderung eines ständigen Parla­mentsausschusses zur Kontrolle staatspolizeilicher wie nachrich­tendienstlicher Einrichtungen ?

FISCHER: Die Zeit ist reif. Ich glaube, daß es auch auf der Linie einer Parlamentarisierung unseres politischen Lebens liegt, diese Dien­ste einer parlamentarischen Kon­trolle zu unterstellen. Nach dem jetzigen Stand der Koalitionsver­handlungen wird sich dazu auch eine Aussage im Papier finden.

Das Gespräch mit Nationalratspräsident Heinz Fischer (Foto Hopi) führte Hannes Schopf.

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