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Ich bin Optimist

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Ihre Frau Danuta wird am 10. Dezember für Sie in Oslo den Friedensnobelpreis entgegennehmen. Warum reisen Sie nicht selbst?

LECH WALESA: Es gab zu viele Dinge, die diese Fahrt ausgeschlossen haben. Da gibt es mehrere Aspekte, auch den der Rückkehr.

Und Ihre Dankrede? Was wird •die Kemaussage sein?

WALESA: Meine Rede ist im großen und ganzen vorbereitet und der Rahmen ist vorgegeben. Man kann sich nicht sehr weit von den traditionellen Reden, die aus diesem Anlaß gehalten werden, entfernen.

Bei Treffen mit der Untergrundführung der ,JSolidarnošč" am 19. und 20. November wurde zum Widerstand gegen die geplanten Preiserhöhungen aufgerufen. Ein Aufruf zum Streik?

WALESA: Die Preiserhöhungen werden die wirtschaftlichen Probleme nicht lösen und ein Streik kann die Not nicht lindern. Unsere Maßnahmen werden friedlich und zweckmäßig sein. Notwendig wäre eine Veränderung der Gesellschaft, aber nichts deutet darauf hin, daß eine Verständigung herbeizuführen ist. Wir spielen auch weiterhin Schach und Dame auf einem Brett.

Was ist nach der jüngsten Regierungsumbildung zu erwarten?

WALESA: Ich beurteile nur das, worin ich mich auskenne, um zu wissen, woran ich bin. Einstweilen sehe ich nichts Tröstliches und erwarte nichts Gutes. Ohne eine Verständigung mit der Gesellschaft sehe ich keine Möglichkeit, das Land zu retten. Man hat den Ehrgeiz und den Stolz der Gesellschaft zerschlagen und ihr die Hoffnung genommen. Das ist die Ursache der Probleme. So lange wir uns nicht des Morgens einigermaßen sicher fühlen, kann von einer engagierten Arbeit heute keine Rede sein. Das geht nicht ohne Verständigung.

Zur Bewältigung der Krise hat die ,£olidamošč" im Untergrund für den 16. Dezember Vorschläge angekündigt.

WALESA: Wir wollen uns von unserem alten Programm nicht entfernen, aber thematisch mehr in die Tiefe gehen. Wir werden die Einführung einer neuen Ordnung vorschlagen.

Wo liegen die Schwerpunkte?

WALESA: Insgesamt geht es um eine Verbesserung der Zustände im Land. Vier Punkte stehen im Vordergrund. Der erste Vorschlag betrifft den Einfluß der Kader. Der zweite Punkt ist die Durchsetzung einer logischen und sinnvollen Arbeit sowie eine entsprechende Entlohnung dafür.

Drittens geht es um die Verteidigung der Interessensvertretung des einzelnen und aller Gruppen der Gesellschaft. Und viertens geht es uns um wirklich unabhängige Gerichte. Das werden wir am 16. vor stellen. Dann beginnt in den nächsten ein bis zwei Monaten die Detailberatung, wobei wir bei den Punkten zwei und drei anfangen werden. Das wollen wir zusammen mit allen Kräften des Landes machen, die zählen.

„Solidarnošč“ lebt.

WALESA: Unsere Ideale sind unsterblich. Und wir erweitern uns nun um Gruppen, die wir in unserer besten Zeit nicht gehabt haben. Eigentlich ist die „Solidarnošč“ stärker geworden, hat in dieser kurzen Zeit sehr viel gelernt. Der Zusammenbruch mancher Mitglieder hat seinen Grund darin, daß wir uns die Probleme nicht richtig eingeteilt haben. Die Etappe des Suchens liegt hinter uns. Jetzt kommt — ungleich schwieriger - die Phase der Realisierungen.

Wäre die ,Solidarnošč“ heute ohne Sie noch denkbar?

WALESA: Ich bin nur ein kleines Rad — und gar nicht das beste. Aber das Schicksal schiebt mich nach vorne.

Aber Sie sind die Symbolfigur.

WALESA: Das will ich eigentlich nicht sein. Ich bin kein Museum. Ich bin erst 40 Jahre alt und denke, noch weitere 40 Jahre zu werken. Eigentlich bin ich erst beim Präludium.

Haben Sie dann und wann Angst?

WALESA: Ich bin ein gläubiger Mensch, bin Katholik. Daher fürchte ich keinen — außer Gott. Warum auch: Einmal werde ich für meine Arbeit mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, einmal muß ich dafür im Gefängnis sitzen. Aber ich bin heute Optimist: Immer gibt es einen Ausweg, aber nicht immer sehen wir ihn gleich.

Was kann der Westen heute tun?

WALESA: Ausdauern darin, was er bisher getan hat, an uns Polen denken. Das genügt uns.

Und weiter Kredite gewähren?

WALESA: Polen soll und muß geholfen werden. Aber ohne gesellschaftliche Kontrolle ist es schwer zu sagen, ob es eine Hilfe ist.

Wie schätzen Sie die Forderungen der Friedensbewegungen im Westen ein?

WALESA: Denkt im Westen daran: Es genügt nicht, nur Vereinbarungen zu schließen, sie und ihre Einhaltung müssen auch überprüft werden. Lieber weniger Verträge und Punkte, dafür aber genauere Überprüfung.

Mit Lech Walesa sprach in Danzig Hannes Schopf.

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