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„Ich bin Vollblutrusse“

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Seine blauen, seine wasserblauen Augen blicken immer melancholisch, aber aufmerksam in die Welt, und nicht minder im-mer-wach erscheint der Geist — dieser Mann, Michail Baryschni-kow, ist nicht nur der derzeit wohl noch immer beste Tänzer der Welt, trotz seiner vierzig Jahre, er ist zudem belesen, beschlagen, intelligent und voller Humor.

„Ich bin trotz Flucht immer Russe geblieben“, wehrt er Kate-gorisierungen lächelnd ab, „und zwar Vollblutrusse — ich fühle als

Russe, meine Ausbildung ist russisch, mein Herz ist absolut russisch, auch wenn ich inzwischen amerikanischer Staatsbürger geworden bin.“

Was er sich vor drei Jahren einmal öffentlich wünschte, scheint vor der Erfüllung zu stehen: „Ich würde liebend gern Rußland besuchen, dort als Gast tanzen, die Gräber von Mutter und Vater aufsuchen“ - kürzlich geschah das Unerwartete: Das Kirow- wie auch das Bolschoi-Ballett haben ihn und die ebenfalls geflüchtete Tänzerin Makarowa aufgefordert, als Gastspieltänzer in Moskau und Leningrad aufzutreten.

Baryschnikow ist in Riga aufgewachsen, jener eher norddeutsch als slawisch erscheinenden baltischen Stadt, die einst zur Hanse

gehörte. Sein Vater war Generalstabsoffizier, ein Spezialist in militärischer Topographie, seine Mutter dagegen eine einfache, aber herzensliebe Bäuerin, die in einer Näherei-Genossenschaft arbeiten mußte.

Baryschnikows natürliches Talent führte ihn zwangsläufig in die Ballettschule, und schon als Fünfzehnjähriger war er bei einer Aufführung in Riga Solist in „Tarantella“. Später wurde er Mitglied des weltberühmten Leningrader Kirow-Ensembles, und als es 1974 im kanadischen Toronto gastierte, setzte sich Baryschnikow, gerade 26 geworden, ab. Freunde, die die Flucht vorbereitet und organisiert hatten, brachten ihn sofort in die USA.

„Ich hatte alle Privilegien“, begründete der Tänzer seinen damaligen Schritt, „ich hatte viel Geld, ein Auto, eine herrliche Wohnung, ich hatte ein Luxusleben in der Sowjetunion, wie es die Minister führen - aber ich hatte keine künstlerische Freiheit, ich durfte nicht verreisen, wenn ich wollte, ich war stets von KGB-Agenten beschattet — das wollte ich ändern, ich wollte frei sein.“

Er fand in New York eine neue Heimat, vor allem eine freie künstlerische Betätigung; und ihm vor allem — neben anderen Russen, wie etwa dem noch vor ihm geflüchteten Rudolf Nurejew - ist es zu verdanken, daß nicht mehr Moskau, sondern New York als die Ballett-Hauptstadt der Welt gilt.

Baryschnikow, in New York nur „Mischa“ genannt, war lange Zeit Solostar des avantgardistischen American Ballett Theatre, ist heute dessen künstlerischer Direktor. Dieser überragenden New Yorker Truppe hatt einst der unvergessene George Balanchine seinen Stempel aufgedrückt.

Mischa hat in der Nähe des Theaters, am Lincoln Center, eine kleine Stadtwohnung, aber meist fährt er nach der Vorstellung in sein Landhaus am Hudson, mit seinem silbergrauen Mercedes eine halbe Stunde von Manhattan entfernt. Dort fühlt er sich am wohlsten, denn er hat dieses Landhaus wie eine Datscha eingerichtet, mit russischen Möbeln und vielen Ikonen.

Er hatte Affären wohl mit jeder Partnerin, wenn man einem Buch

seiner Ex-Geliebten Kirk Gelsey glauben darf, die lange Zeit mit ihm „Schwanensee“ und „Giselle“ tanzte, bis ihre Karriere von Kokain-Abhängigkeit unterbrochen wurde.

Mischa lebte lange Zeit mit der amerikanischen Schauspielerin Jessica Lange zusammen, mit der er auch eine jetzt siebenjährige Tochter hat, Alexandra - aber bleibend gebunden hat sich der Vagabund, wie er sich selbst einmal bezeichnete, bisher nicht.

„Ich bin mit meiner Kunst verheiratet“, wehrt er ab, „und ich bin glücklicher, überglücklicher Vater, verstehe mich zudem noch gut mit der Mutter meines Kindes - das reicht erst einmal.“

Und jetzt sieht dieses begnadete Tanztalent, dieser einhellig als bester Ballettstar der Welt eingestufte Michail Baryschnikow, einer Art Heimkehr entgegen - wovon er oft, wie er zugibt, sehnsüchtig geträumt hat.

„Aber ich weiß auch“, sagt er, „daß ich mich in Moskau, in Leningrad und auch in Riga schnell wieder nach New York zurücksehne.“

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